Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Fratze kommt zum Vorschein
Eine Portion Heuchelei lässt sich nicht leugnen angesichts der Empörung über die zuletzt bekannt gewordenen Trump-Entgleisungen: Dass der Mann ein niveauloser Chauvi ist, kann im Ernst niemanden überraschen. Angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die er bisher im Wahlkampf verbreitet hat, liegt die Frage nahe, wieso gerade ein Video aus dem Jahr 2005 seine Parteigenossen nun veranlasst, das schlingernde Schiff zu verlassen.
Aber Film und Ton sind mächtige Waffen, und die vulgäre Sprache, mit der Trump sich hier vernehmen lässt, hat er bislang auf offener Bühne vermieden. Bestimmte Wörter sind in den USA mit einem so tief greifenden Tabu belegt, dass sie selbst als Zitat nur abgekürzt verwendet oder akustisch überblendet werden.
Trumps Ausfälle stoßen nicht nur Frauen vor den Kopf, eine Wählergruppe, bei der er ohnehin schlechte Karten hat. Sie macht es Wertkonservativen noch schwerer, ihn als Bollwerk gegen den liberalen Sittenverfall zu wählen.
Der Immobilien-Tycoon versucht seit Wochen, Unentschlossene davon zu überzeugen, dass sich unter der rauen Schale ein seriöser Staatsmann verbirgt. Die pubertäre Fratze, die stattdessen zum Vorschein kommt, bewirkt, was selbst Trumps bizarre politische Pläne nicht vermochten: Prominente Republikaner kündigen ihrem Kandidaten die Gefolgschaft.
Zu diesem späten Zeitpunkt zeugt das allerdings nicht von Stil, sondern von Berechnung – solang sie Trumps Sieg für möglich hielten, trauten sich die wenigsten Konservativen, ihm offen entgegenzutreten. Nun wollen sie ihre Sitze im Senat und im Repräsentantenhaus retten, über die am 8. November ebenfalls abgestimmt wird.
Noch sind allerdings vier Wochen Wahlkampf zu überstehen. Für amerikanische Verhältnisse ist es dabei keineswegs ausgeschlossen, dass der Wind sich in dieser Zeit noch einmal drehen könnte.