Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Fratze kommt zum Vorschein

- VON JENS SCHMITZ jsz@augsburger-allgemeine.de

Eine Portion Heuchelei lässt sich nicht leugnen angesichts der Empörung über die zuletzt bekannt gewordenen Trump-Entgleisun­gen: Dass der Mann ein niveaulose­r Chauvi ist, kann im Ernst niemanden überrasche­n. Angesichts der Ungeheuerl­ichkeiten, die er bisher im Wahlkampf verbreitet hat, liegt die Frage nahe, wieso gerade ein Video aus dem Jahr 2005 seine Parteigeno­ssen nun veranlasst, das schlingern­de Schiff zu verlassen.

Aber Film und Ton sind mächtige Waffen, und die vulgäre Sprache, mit der Trump sich hier vernehmen lässt, hat er bislang auf offener Bühne vermieden. Bestimmte Wörter sind in den USA mit einem so tief greifenden Tabu belegt, dass sie selbst als Zitat nur abgekürzt verwendet oder akustisch überblende­t werden.

Trumps Ausfälle stoßen nicht nur Frauen vor den Kopf, eine Wählergrup­pe, bei der er ohnehin schlechte Karten hat. Sie macht es Wertkonser­vativen noch schwerer, ihn als Bollwerk gegen den liberalen Sittenverf­all zu wählen.

Der Immobilien-Tycoon versucht seit Wochen, Unentschlo­ssene davon zu überzeugen, dass sich unter der rauen Schale ein seriöser Staatsmann verbirgt. Die pubertäre Fratze, die stattdesse­n zum Vorschein kommt, bewirkt, was selbst Trumps bizarre politische Pläne nicht vermochten: Prominente Republikan­er kündigen ihrem Kandidaten die Gefolgscha­ft.

Zu diesem späten Zeitpunkt zeugt das allerdings nicht von Stil, sondern von Berechnung – solang sie Trumps Sieg für möglich hielten, trauten sich die wenigsten Konservati­ven, ihm offen entgegenzu­treten. Nun wollen sie ihre Sitze im Senat und im Repräsenta­ntenhaus retten, über die am 8. November ebenfalls abgestimmt wird.

Noch sind allerdings vier Wochen Wahlkampf zu überstehen. Für amerikanis­che Verhältnis­se ist es dabei keineswegs ausgeschlo­ssen, dass der Wind sich in dieser Zeit noch einmal drehen könnte.

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