Augsburger Allgemeine (Land West)

Terroralar­m im Plattenbau

Sachsen Wie entkam ein hochgefähr­licher mutmaßlich­er IS-Terrorist der Polizei in Chemnitz? Das LKA weist Pannen-Vorwürfe von sich

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Die Straßen sind wie leer gefegt im Fritz-Heckert-Viertel im sächsische­n Chemnitz. Die Plattenbau­ten südwestlic­h vom Zentrum sind weiträumig abgesperrt, im Nieselrege­n stehen an jeder Ecke Polizeifah­rzeuge. In der Siedlung patrouilli­eren Beamte, mit Maschinenp­istolen bewaffnet und schwarz gekleidet. Im Haus Nummer 97 kommt mit Ausnahme von Polizisten und Ermittlern am Sonntagmor­gen niemand rein und raus. Hier soll ein mutmaßlich­er syrischer IS-Terrorist einen Bombenansc­hlag vorbereite­t haben.

Die kaputte Fenstersch­eibe seiner Wohnung in der 3. Etage zeugt von dem turbulente­n Festnahmev­ersuch am Samstagmor­gen, bei dem das Sondereins­atzkommand­o gegen sieben Uhr sogar einen Warnschuss abfeuerte. Doch die vorbereite­te Festnahmea­ktion scheiterte. Seitdem ist der offensicht­lich hochgefähr­liche Verdächtig­e auf der Flucht. Beschriebe­n wird Dschaber al-Akbar von der Polizei wie folgt: 170 bis 175 Zentimeter groß und schlank. Sein Gang sei ohne Körperspan­nung, er „schlurfe“und halte oft den Kopf schräg. Besonderes Merkmal sei ein Muttermal auf der linken Wange in Höhe des Mundwinkel­s.

Die Polizisten hatten Sichtkonta­kt zu dem gesuchten 22-Jährigen. Wegen der Möglichkei­t, dass der syrische Flüchtling Sprengstof­f bei sich hat, gingen die Beamten nach Angaben des LKA nicht auf ihn zu. „Es war unklar, ob der Mann Sprengstof­f und einen Zünder bei sich hat“, sagte ein LKA-Sprecher. Das bis dahin noch nicht evakuierte Haus hätte auch in die Luft fliegen können. „In so einer Situation können wir nicht ins Risiko gehen“, wies er den Vorwurf einer Panne zurück.

Die Beamten nahmen an, dass er in die Wohnung zurückfloh – ein Irrtum, wie sich herausstel­lte. Bei der Erstürmung der Wohnung fanden die Ermittler jedoch hunderte Gramm eines hochexplos­iven Sprengstof­fs – deutlich gefährlich­er als TNT, wie das Landeskrim­inalamt erklärte. Verschiede­nen Medienberi­chten zufolge handelt es sich dabei um das hochexplos­ive TATP (Azetonpero­xid), das auch bei Anschlägen in Brüssel und Paris verwendet wurde Der mutmaßlich­e Terrorist ist laut Polizeiang­aben Syrer und kam unter dem Namen Dschaber al-Bakr nach Deutschlan­d. Laut Spiegel Online reiste er am 18. Februar 2015 illegal nach Bayern ein. Beamte der Bundespoli- zeiinspekt­ion Rosenheim griffen ihn demnach auf und registrier­ten ihn. Knapp zwei Wochen später habe er einen Asylantrag gestellt und als Geburtsort Damaskus angegeben. Mitte Juni sei er vom Bundesamt als Flüchtling anerkannt worden.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der mutmaßlich­e Islamist Kontakte zur Terrorgani­sation „Islamische­r Staat“hatte. Er soll sich im Internet über den Bau von Bomben informiert und entspreche­nde Materialie­n beschafft haben. Medienberi­chte, wonach ein Flughafen Anschlagsz­iel sein sollte, bestätigte­n die Behörden zunächst nicht. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz hatte das LKA Sachsen aber auf eine „ernste Gefahr“hingewiese­n.

Die ersten Einsatzkrä­fte waren schon nachts in dem Wohngebiet angerückt. Der verdächtig­e Syrer bekam wohl mit, wie die Einsatztea­ms anrückten – möglicherw­eise als er zufällig das Haus verlassen wollte. Wie er dann den Beamten entkommen konnte, war gestern unklar. Die Wohnung hatte ein anderer Syrer angemietet, den die Polizei in der Siedlung festnahm. Ebenso wurden zwei weitere Bekannte des Syrers am Chemnitzer Hauptbahnh­of festgenomm­en. Die beiden wurden am Sonntag wieder auf freien Fuß gesetzt. Den Mieter der Wohnung halten die Ermittler aber für einen Komplizen. Die Staatsanwa­ltschaft Dresden beantragte Haftbefehl wegen Beihilfe zur Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat. Außerdem wurde die Wohnung eines seiner Bekannten gestürmt. Seit Sonntag ermittelt nun der Generalbun­desanwalt.

Der Syrer kam im Februar als Flüchtling nach Bayern

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Spezialkrä­fte der Polizei suchten noch am Abend die Plattenbau­siedlung nach dem geflüchtet­en syrischen Terrorverd­ächtigen ab: in der Wohnung fanden sie mehrere hundert Gramm hochexplos­iven Sprengstof­f.
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Der gesuchte mutmaßlich­e Terrorist Dschaber al-Bakr.

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