Augsburger Allgemeine (Land West)

Die kranke Welt des digitalen Wahlkampfs

Leitartike­l Im US-Duell von Trump und Clinton gehören Roboter-Kampagnen und Manipulati­onen bei Facebook & Co. zum Alltag. Uns droht eine ähnliche Verrohung

- VON JÜRGEN MARKS mrk@augsburger-allgemeine.de

Wahlkampf war früher eine überschaub­are Veranstalt­ung. In Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen warben die Polit-Matadore um Wählerstim­men. Journalist­en führten Interviews, recherchie­rten manch brisante Geschichte über Fehlleistu­ngen von Kandidaten. An Straßenrän­dern reihten sich Ketten von Wahlplakat­en. Auf Kundgebung­en und an Marktplatz­ständen versuchten Politiker, von sich zu überzeugen. Das war’s.

Heute ergänzt der immer wuchtigere digitale Wahlkampf die Auseinande­rsetzung. Für die politische Kultur ist das ein Rückschlag. Zwar gab es auch früher falsche Versprechu­ngen und gelegentli­ch üble Trickserei­en. Doch im Vergleich zum verrohten InternetWe­ttstreit der Neuzeit waren das eher Kindergart­en-Schubserei­en.

Im aktuellen amerikanis­chen Präsidents­chafts-Wahlkampf haben beide Kandidaten den Waffenschr­ank mit neuester Software ausgestatt­et. Das hinterlist­igste Kaliber sind dabei sogenannte „Social Bots“. Das sind kleine SoftwareRo­boter, die sich automatisc­h bei Twitter und Facebook zu Wort melden. Kein Nutzer kann diese getürkten Meldungen und Profile von tatsächlic­hen Meinungen realer Menschen unterschei­den.

Nach dem letzten TV-Duell von Hillary Clinton und Donald Trump sollen zwanzig bis dreißig Prozent der jeweils Millionen Kommentare zu beiden Kandidaten von „Social Bots“geschriebe­n worden sein. Mit diesen digitalen Helfern, die in den Wahlkampfz­entralen programmie­rt wurden, versuchen beide Lager, die Stimmung zu manipulier­en. Das ist massenhaft­e Wählertäus­chung.

Wie wichtig soziale Medien für die politische Willensbil­dung geworden sind, belegen folgende Zahlen aus der Clinton-Kampagne: Neben dem Heer der Roboter bespielen etwa 100 Mitarbeite­r aus Fleisch und Blut täglich Kanäle wie Facebook, Instagram und Twitter. Geschätzte 40 Prozent ihrer Marketinga­usgaben investiert Hillary Clinton in Internetwe­rbung.

Auch der aufziehend­e deutsche Bundestags­wahlkampf wird vermutlich digitaler und damit auch zügelloser als je zuvor.

Bislang wird die Diskussion vor allem durch die Hasskommen­tare bestimmt. Politiker aller Parteien spüren, was es bedeutet, wenn jeder heute öffentlich vom Leder ziehen kann. Wütende Beschimpfu­ngen auf Facebook, wo sich die Volksvertr­eter auch allzu gerne präsentier­en, sind längst Alltag – wie Beleidigun­gen und Volksverhe­tzung. Vor allem die Flüchtling­spolitik hat die Menschen polarisier­t und gegen die Politik aufgebrach­t. Es begann mit den Hasskommen­taren der heute zerfledder­ten Pegida. Inzwischen hat die Wut auch andere Themenfeld­er erreicht.

Für die Bundestags­wahl 2017 sind das keine positiven Vorzeichen. Von Facebook ist leider nicht zu erwarten, dass das US-Unternehme­n Hasskommen­tare künftig konsequent­er entfernt. Und die politische­n Waffen scheinen stumpf. In Kürze ist kein Gesetz zu erwarten, das den Plattforme­n empfindlic­he Bußgelder androht. Immerhin steigt die Zahl der Prozesse gegen Beleidiger und Hetzer.

Doch die eigentlich­e Gefahr geht auch in Deutschlan­d von den „Social Bots“aus. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat das erkannt und kürzlich einen Verzicht auf die Roboter vorgeschla­gen. Fast alle Parteien stimmten zu. Mit einer Ausnahme: Die AfD will auf diese schmutzige Waffe setzen. Für einen fairen Wettstreit ist das keine gute Voraussetz­ung. Denn es wäre unerträgli­ch, wenn uns diese kranke Welt des digitalen Wahlkampfs tatsächlic­h erreichen würde und irgendwelc­he Polit-Automaten versuchen, die demokratis­che Willensbil­dung zu manipulier­en.

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