Augsburger Allgemeine (Land West)
Aus der Höhle zum Löwen Chinas
Porträt Die Machtfülle von Präsident Xi Jinping erinnert stark an Mao Zedong. Dabei hat er selbst keine guten Erfahrungen mit dem Staatsgründer gemacht
Als er noch nicht Chinas Präsident war, hat Xi Jinping einmal sieben Jahre in einer Höhle gelebt und dort auf einer Strohmatte geschlafen. Diktator Mao Zedong hatte in den sechziger Jahren befohlen, dass Jugendliche aus gebildeten Familien mit den Bauern auf dem Lande leben und arbeiten sollen. Mit 15 kam Xi in das abgelegene Dorf Liangjiahe in den Bergen – und blieb dort, bis er mit 22 endlich nach Peking, wo er geboren wurde, zurückkehren durfte, wo er Chemieingenieurwesen studierte und in Rechtswissenschaften promovierte.
Die heutige Propaganda stellt den Aufenthalt auf dem Lande als wichtige Erfahrung zur Bildung seines Charakters dar: Das Staatsfernsehen zeigt Xi als volksnahen Politiker, der auch mal in einem einfachen Restaurant eine Suppe isst. Xi ist damit bei den einfachen Leuten enorm populär.
Doch seine Politik ist vor allem eines: machtorientiert und autoritär. Wie keiner seiner Vorgänger seit Mao hat der 63-Jährige die Kommunistische Partei unter seine Kontrolle gebracht – und zwar mit einer Million Verhaftungen unter ihren Mitgliedern. „Er ist unter den Genossen eher gefürchtet als geliebt“, sagt Politologe Willy Lam von der Chinese University in Hongkong.
Außenpolitisch stellt er China als Großmacht auf. Dazu gehört auch die Welle von Firmenübernahmen, die von der staatlichen Politik durchaus gefördert wird. Nach Jahren der harten Arbeit und des Kapitalaufbaus will China seine Wirtschaftsmacht nun mit Hebelwirkung nutzen. Der Zukauf technischer Fertigkeiten nützt bei dieser Strategie gleich mehrfach: Er stärkt die eigene Wirtschaft und schafft damit die Grundlage für die nächste Stufe zur Entwicklung eines reichen Landes mit kreativen Unternehmen. Außerdem handelt es sich schlicht um eine gute Kapitalanlage – und er stärkt den internationalen Einfluss des Landes. Innenpolitisch konsolidiert der in zweiter Ehe mit einer in China bekannten Folksängerin verheiratete Vater einer Tochter derzeit seine Macht. Eine Parteizeitschrift verkündete kürzlich, China brauche in diesen schwierigen Zeiten einen starken Führer wie seinerzeit Mao Zedong. Xi sei der richtige Mann, in die Fußstapfen des Staatsgründers zu treten. Die Veröffentlichung des Textes in den gelenkten Medien gilt als Versuch, Akzeptanz für eine weitere Stärkung der Macht des Präsidenten zu schaffen. Dass Xi, der unter Mao in die Höhle musste, ihn nun als Vorbild nimmt, klingt ironisch, aber auch konsequent. Mao hat Machtpolitik brillant beherrscht. Der Artikel in der Zeitschrift
zitierte eine Reihe mächtiger Parteigrößen, die Xi als besonders fähigen „Führer der Kerngruppe“loben. Gemeint ist, dass Xi der Mittelpunkt der Regierungsmannschaft und Ausgangspunkt der Befehlskette sein soll. Diese Aufwertung der Rolle Xis gilt unter Politologen als wichtiges Indiz für seine Ambitionen. China glaubte, nach Mao über den Personenkult hinweggekommen zu sein – doch nun könnte Xi die Uhr zurückdrehen. Finn Mayer-Kuckuk