Augsburger Allgemeine (Land West)
So funktioniert Putins Propaganda
Russland Mit Falschinformationen und einem Netzwerk aus TV-Sendern und Internetspezialisten betreibt der Kreml im In- und Ausland gezielte Stimmungsmache. Geht der Westen den Manipulationen aus Moskau in die Falle?
Augsburg
Eigentlich wollte Tatjana Ernst an Weihnachten ihre Großmutter aus Russland nach Deutschland einladen. Doch die 69-Jährige kommt nicht. „Meine Oma glaubt, in Deutschland würde es vor Terroristen wimmeln und man könne sich nicht mehr auf die Straße trauen“, sagt Tatjana. Sie habe das aus dem russischen Fernsehen.
Das schlechte Bild der russischen Großmutter von Deutschland ist kein unbeabsichtigtes Missverständnis, sagt der Russland-Kenner Andreas Umland. „Die Emotionalität, Aggressivität und Absurdität, mit der die Fernsehpropagandisten des Kreml viele Prozesse internationaler Politik in antirussische Verschwörungen verdrehen, können sich viele Nichtrussischsprecher kaum vorstellen“, sagt der Politikwissenschaftler. Er hat an der Universität Eichstätt gelehrt und ist heute in der Ukraine am Institut für Euro-Atlantische Kooperation tätig.
Umland spricht von offener Hetze in russischen Staatsmedien, geschickt gespickt mit Halbwahrheiten und bizarren historischen Mythen. Die gehe weit über das hinaus, was westlichen Zuschauern auf Russia Today oder von Sputnik News präsentiert würde. In seinen Kabelsender Russia Today investiere der Kreml große Summen, schreibt der Soziologe Marcel van Herpen in seinem Buch „Putins Propagandamaschine“. Im Mai 2005 wurde RT als globaler Konkurrent zu Nachrichtensendern wie CNN oder BBC World gegründet. Laut van Herpen haben sich die Ausgaben von ursprünglich umgerechnet 70 Millionen US-Dollar inzwischen mehr als verfünffacht. Für den Sender arbeiten weltweit 2000 Mitarbeiter, allein in Washington beschäftigt RT hundert Angestellte. Seit der Krim- und Ukraine-Krise lässt Russland Russia Today auch auf Deutsch und Französisch über Satellit und Internet senden.
Das Bild, das Russia Today, ebenso wie das auch auf Deutsch tätige Moskauer Nachrichtenportal Sputnik News, vom Westen zeichnen, sei zunehmend manipulativ, sagt der Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Wilfried Jilge: „Es werden Themen wie die wachsende soziale Ungerechtigkeit, die Folgen der Finanzkrise oder die starken Migrationsbewegungen in den Vordergrund gerückt und verzerrt dargestellt.“Indem einzelne Bilder aus ihrem Zusammenhang gerissen und mit anderen Aufnahmen zusammengeschnitten werden, werde beispielsweise das Bild erzeugt, alle öffentlichen Plätze in Deutschland seien von Flüchtlingen belagert. „Es soll der Eindruck erweckt werden, im – aus russischer Sicht – dekadenten Westen, der alles und jeden toleriert, herrscht Chaos“, sagt Jilge.
Im „Fall Lisa“versuchte Russland im Januar, offensiv Stimmung gegen die deutsche Regierung zu machen. Das 13-jährige Mädchen aus Berlin mit russischen Wurzeln war für eine Nacht verschwunden und behauptete später, von mehre- ren Männern südländischen Aussehens entführt und vergewaltigt worden zu sein. Russische Staatsmedien berichteten ausgiebig und sahen darin den Beleg dafür, dass Flüchtlinge in Deutschland Minderjährige vergewaltigten – obwohl die Polizei dies dementierte. In vielen deutschen Städten, auch in Augsburg, kam es daraufhin zu Protestkundgebungen von Russlanddeutschen. Selbst der russische Außenminister Sergej Lawrow warf den deutschen Behörden vor, den Fall verheimlicht zu haben. Am Ende stellten sich die Vorwürfe als erfunden heraus: das Mädchen hatte bei einem Bekannten übernachtet.
Zum Baukasten russischer Propaganda zählt auch eine Zusammenarbeit mit rechtspopulistischen Parteien. Der Moskauer Universitätsprofessor und Kremlberater Alexander Dugin koordiniert nach ZDF-Informationen Kontakte zu rechten Parteien in ganz Europa, darunter sind die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich oder die Alternative für Deutschland. So soll Russland laut einem Bericht der Bild angeblich der AfD bei ihrer umstrittenen Parteienfinanzierung mit dem Verkauf von Goldbarren geholfen haben. Als Plattform für Nationalisten und prorussische Lobbyisten aus dem In- und Ausland gelten Konferenzen des rechtspopulistischen Magazins Compact. Bei der Konferenz „Frieden mit Russland. Für ein souveränes Europa!“trat unter anderem der PutinVertraute Wladimir Jakunin auf und schürte Angst vor Überfremdung.
Hinter der Kooperation mit Nationalisten stecke Kalkül, sagt der Russland-Kenner und langjährige Leiter des Moskauer Büros des Focus, Boris Reitschuster. Russland sei dem Westen wirtschaftlich unterlegen und längerfristig auch militärisch. Das gelte jedoch nur, solange der Westen einig und stark ist. „Deshalb setzt die Propaganda hier an: Putin will seinen Gegner von innen schwächen“, sagt er.
Der Russland-Experte Jilge betont, dass Putins Apparat dabei auch innenpolitische Ziele verfolge: „Der Kreml will Stärke beweisen, sich als Schutzmacht inszenieren und damit einem drohenden Zustimmungsverfall in der eigenen Bevölkerung begegnen.“Den Kreml treibe vor allem die Angst um, in der Ukraine könne sich ein erfolgreiches, demokratisches Gegenmodell zum autoritären Regime in Moskau etablieren.
Ein zentrales Element der Manipulation ist das Internet: „In Russland werden von staatlicher Seite in großem Stil Dienstleister beschäftigt, um die Meinung in den Internetforen großer Fernseh- und Nachrichtenportale zu dominieren und Debatten in sozialen Netzwerken gezielt zu beeinflussen“, sagt Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“. Demnach sitzt in Moskau und St. Petersburg ein Heer von Mitarbeitern und macht im Ausland auf Twitter und Facebook gezielt Stimmung: „Sie geben Kommentare in Leserbriefspalten ab, mischen sich gezielt in Debatten etwa um die Ukraine-Krise ein, verbreiten prorussische Ansichten oder verunmöglichen Diskussionen, indem sie Kommentarfelder mit Informationsmüll überfrachten“, sagt Mihr. Neuerdings geschieht das rein elektronisch: Die sogenannten „TrollFabriken“arbeiten mit Computerprogrammen, die – getarnt als Menschen – vollautomatisch Kommentare auf Internetseiten abgeben.
Der niederländische Sicherheitsexperte und Buchautor van Herpen fordert den Westen auf, weniger Toleranz gegenüber Putins Propaganda walten zu lassen und offensiv die Verschwörungstheorien aus Moskau zu entlarven. Er schlägt vor, als Antwort auf Russia Today einen westlichen russischsprachigen Fernsehsender zu gründen. Allerdings, so betont er, „sollten westliche Regierungen nicht in die Falle tappen, unglaubwürdig Gegenpropaganda zu produzieren“.