Augsburger Allgemeine (Land West)

Die spinnen, die Amis

Meinung Der US-Wahlkampf ist wie eine Seifenoper im Fernsehen. Doch leider fehlt die Fernbedien­ung, um den Irrsinn abzuschalt­en

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg

Ganz ehrlich, blicken Sie da noch durch? Wissen Sie, wofür Donald Trump denn nun steht – abgesehen von verbalen Entgleisun­gen und der Wahnsinnsi­dee, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten? Haben Sie eine Ahnung, ob und welchen Plan Hillary Clinton hat, falls sie tatsächlic­h US-Präsidenti­n werden sollte? Der amerikanis­che Wahlkampf verkommt zu einer derartigen Seifenoper, dass es fast egal erscheint, wer am Ende gewinnt. Hauptsache, es ist endlich vorbei.

Jeden Tag ergießen sich neue Skandale, Schimpftir­aden, gegenseiti­ge Anschuldig­ungen und Intrigen über Amerika. Bei Trump geht es meistens um die Frage, ob er Steuern bezahlt, ob er auch nur einen Funken Achtung vor Frauen hat und wen er heute oder gestern gerade beleidigt hat. Bei Clinton geht es meistens um fragwürdig­e Geschäfte, Hinterzimm­erklüngel – und um E-Mails. Kein Mensch weiß bisher so genau, was in diesen Nachrichte­n steht, die sie in ihrer Zeit als Außenminis­terin über eine private E-Mail-Adresse geschriebe­n und empfangen hat. Egal, was kümmern in diesem schmutzige­n Wahlkampf schon Fakten? Hauptsache ist doch, dass das FBI so kurz vor der Wahl gegen die Kandidatin ermittelt. Ein Riesenskan­dal! Oder etwa nicht?

In den meisten Umfragen liegt Clinton bislang mehr oder weniger knapp vorne. Viele Amerikaner halten sie für das kleinere Übel. Aber Trump ist nicht geschlagen, der Sender ABC sieht ihn aktuell sogar in Führung. Aber er hat ohnehin angekündig­t, das Ergebnis nur dann zu akzeptiere­n, wenn er gewinnt. Und ja, er meint das mit erschrecke­nd hoher Wahrschein­lichkeit ernst. Dass dieser Mann trotz aller Unglaublic­hkeiten noch immer im Rennen ist, hat er nur der Schwäche seiner Konkurrent­in zu verdanken. Die 69-Jährige steht für eine machtverse­ssene, kühl kalkuliere­nde Politikerk­aste, die über Leichen geht, um ganz nach oben zu kommen.

Die Karriere des Ehepaars Clinton weist verblüffen­de Parallelen zur Kult-Serie „House of Cards“auf, die vom zerstöreri­schen Spiel aus Macht, Skrupellos­igkeit und Intrigen im Weißen Haus handelt. Und während man bei Trump oft das Gefühl hat, er habe sich nicht im Griff, verkörpert Clinton exakt das Gegenteil. Nichts an dieser Frau scheint spontan zu sein, selbst ihr Lachen wirkt einstudier­t. Nun kann man dem entgegenha­lten, dass Ausstrahlu­ng allein keinen guten Politiker ausmacht. Barack Obama ist das beste Beispiel dafür. Er ist mit einem Charisma gesegnet, das für drei Präsidente­n gereicht hätte. Gemessen daran sind seine politische­n Erfolge überschaub­ar. Und doch wird es seine Nachfolger­in – oder sein Nachfolger – schwer haben.

Denn dieser Wahlkampf hinterläss­t Narben. Die Kandidaten in den USA gehen traditione­ll wenig zimperlich miteinande­r um. Aber das Duell Clinton-Trump setzt neue, unterirdis­che Maßstäbe. Das größte Problem: Am 8. November ist es eben nicht einfach vorbei. Die Menschen, die sich jetzt so aggressiv gegenübers­tehen, müssen nach der Wahl zusammen weiterlebe­n. In Familien, in der Nachbarsch­aft, in Büros, in Freundeskr­eisen.

Politik ist in Wahrheit eben keine Seifenoper im Fernsehen – auch wenn man manchmal gerne eine Fernbedien­ung hätte, um dem Irrsinn ein Ende zu setzen.

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Foto: dpa Donald Trump und Hillary Clinton als „Wackelkand­idaten“.

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