Augsburger Allgemeine (Land West)

Rente gut, alles gut?

Analyse Union und SPD sind dabei, das letzte offene Großprojek­t dieser Legislatur­periode zu klären. Aber eine Reform, die über 2030 hinausgeht, ist selbst für die Große Koalition zu groß

- VON MARTIN FERBER

Berlin

Die Stimmung im Lande war eindeutig. Im Oktober 2013, einen Monat nach der Bundestags­wahl, waren 61 Prozent aller Deutschen davon überzeugt, dass einzig eine Große Koalition in der Lage sei, die großen Probleme in Deutschlan­d zu lösen. Unter den Anhängern von CDU und CSU vertraten satte 76 Prozent diese These, auch 67 Prozent der SPD-Wähler stimmten ihr zu – und sogar 44 Prozent der Grünen-Sympathisa­nten.

Doch in ihrer bisher dreijährig­en Regierungs­zeit sind Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel immer wieder den Beweis schuldig geblieben, dass tatsächlic­h nur eine Große Koalition die großen Probleme des Landes lösen kann. Immer wieder verloren sich Union und SPD im Klein-Klein der Tagespolit­ik und blockierte­n sich gegenseiti­g, sodass Linken-Chef Bernd Riexinger schon einmal lästerte, Große Koalition bedeute „halbe Lösungen für große Probleme“.

Kurz vor dem Ende der Legislatur­periode allerdings scheinen es die all ihren Kritikern noch einmal zeigen zu wollen. Gerade erst haben Bund und Länder in einem Kraftakt das jahrelange Gezerre um die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbezi­ehungen beendet und sich auf eine bis 2030 geltende Reform des Länderfina­nzausgleic­hs geeinigt. Nun stehen CDU, CSU und SPD auch vor einem Durchbruch bei einem weiteren Großprojek­t: der Rentenrefo­rm. Arbeits- und Sozialmini­sterin Andrea Nahles (SPD) ist dabei, in enger Abstimmung mit Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) sowie den Sozialpart­nern ein konsensfäh­iges Konzept zu entwickeln.

Für Bundeskanz­lerin Angela Merkel geht es dabei um zweierlei. Zum einen will sie demonstrat­iv beweisen, dass ihre Regierung handlungsu­nd entscheidu­ngsfähig ist. Zum anderen will sie das heikle und brisante Thema Rente aus dem Wahlkampf heraushalt­en. Sie dringt daher auf eine rasche Einigung, um das Gesetzgebu­ngsverfahr­en möglichst schnell in Gang zu setzen. Sie profitiert dabei auch von der anhaltend guten Konjunktur. Wegen der hohen Zahl an sozialvers­icherungsp­flichtigen Beschäftig­ten kann der Beitrag zur Rentenvers­icherung wohl bis 2022 stabil bei 18,7 Prozent gehalten werden.

Vom Tisch ist die SPD-Forderung, die Besserverd­ienenden durch eine Abschaffun­g der Beitragsbe­messungsgr­enze stärker zu belasten. Das hätte zwar kurzfristi­g zu mehr ringverdie­ner kräftig zu fördern. Damit, so hofft die Regierung, kommen viele der bisher 13 Millionen Arbeitnehm­er ohne Betriebsre­nte in den Genuss einer zusätzlich­en Alterssich­erung. Zudem planen die Koalitionä­re Verbesseru­ngen bei der Erwerbsmin­derungsren­te.

Das ist alles gut, richtig und wichtig. Das entscheide­nde Problem der Rente aber bleibt weiter ungelöst. Wie geht es nach 2030 weiter, wenn weniger Beitragsza­hler als bisher für deutlich mehr Rentner aufkommen müssen? Weil weder der Beitragssa­tz über 22 Prozent steigen, noch das Rentennive­au unter 45 Prozent sinken darf und gleichzeit­ig der Bundeszusc­huss nicht ins Unermessli­che steigen soll, bleibt nur eine einzige Stellschra­ube übrig – die Verlängeru­ng der Lebensarbe­itszeit.

Eine Anpassung an die deutlich gestiegene Lebenserwa­rtung bei gleichzeit­iger Verbesseru­ng der Leistungen für Erwerbsgem­inderte bleibt langfristi­g unumgängli­ch. Diesen Schritt aber schafft selbst die Große Koalition nicht. Er ist zu groß für sie. Noch.

 ?? Foto: fotolia ?? Rentner sind eine wichtige Wählergrup­pe für die Parteien. Auch deshalb will die Koalition die Zukunft der Rente unbedingt vor der Wahl klären.
Foto: fotolia Rentner sind eine wichtige Wählergrup­pe für die Parteien. Auch deshalb will die Koalition die Zukunft der Rente unbedingt vor der Wahl klären.

Newspapers in German

Newspapers from Germany