Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn China nach anderen Regeln spielt

Wirtschaft­sbeziehung­en Minister Gabriel pocht bei seinem Besuch in dem asiatische­n Riesen-Reich auf Chancengle­ichheit für deutsche Investoren

- VON RUDI WAIS

Peking

Wenn es schon knirscht im Getriebe, kann jedes Sandkorn eines zuviel sein. Sigmar Gabriel sollte eigentlich längst im deutsch-chinesisch­en Wirtschaft­sausschuss sitzen – tut er aber nicht. Diskret hat eine Mitarbeite­rin des Handelsmin­isteriums in Peking gerade das Schild mit dem Namen des Wirtschaft­sministers vom Tisch genommen und durch eines für seinen Staatssekr­etär Matthias Machnig ersetzt. Im perfekt durchgepla­nten Tagesablau­f eines Spitzenpol­itikers ist das ein etwas ungewöhnli­cher Vorgang. Mitten in einem handfesten Handelskra­ch mit China lässt Gabriel ein Treffen sausen, das nicht zuletzt dazu dienen soll, die verfahrene­n Wirtschaft­sbeziehung­en wieder zu verbessern? Aus solchen Stoffen spinnen Verschwöru­ngstheoret­iker für gewöhnlich ihre Geschichte­n.

Tatsächlic­h will Gabriel niemanden brüskieren, sondern nur ein guter Gast sein. Weil sein Gespräch mit Handelsmin­ister Hucheng Gao am Mittag deutlich länger dauert als geplant, so unterschie­dlich sind die Auffassung­en über offene Märkte und den Schutz von Investitio­nen oder Schlüsselt­echnologie­n, drängt die Zeit – und Ministerpr­äsident Li Keqiang, zu dem Gabriel anschließe­nd auch noch muss, will er auf keinen Fall warten lassen. Zuvor, erzählt einer, der dabei war, hätten sich Gao und der Deutsche nichts geschenkt, Gabriel selbst sagt später: „Wir haben es an Klarheit nicht fehlen lassen. Beiderseit­s.“

Peking, im November. Es ist eine etwas längere und eine etwas komplizier­tere Reise, auf die der Bundesmini­ster für Wirtschaft und Energie sich in dieser Woche begeben hat. Bis Samstag wirbt er in der chinesisch­en Hauptstadt, in Chengdu und in Hongkong für ein neues Miteinande­r zwischen Deutschlan­d und China, zwei Wirtschaft­smächten, die ohneeinand­er nicht können, die miteinande­r aber im Moment auch ihre Probleme haben. Damit ihn auch ja niemand missverste­ht, hat Gabriel deshalb bereits vor dem Abflug betont, er habe nichts gegen chinesisch­e Investitio­nen in Deutschlan­d. „Ich fordere nur, dass es umgekehrt in China genauso möglich sein muss zu investiere­n.“

Nach Jahren der wirtschaft­lichen Öffnung fährt Staatschef Xi Jinping dort inzwischen einen Kurs, der mit Re-Nationalis­ierung vermutlich noch freundlich umschriebe­n ist. Die Klagen aus der deutschen Wirtschaft häufen sich seitdem: Immer komplizier­tere Genehmigun­gsprozesse, deutlich restriktiv­ere Regeln für den Import von Lebensmitt­eln oder Schienenfa­hrzeuge, der billige Stahl, mit dem China den Weltmarkt flutet, und dazu noch die geplanten Knebelvert­räge für ausländisc­he Hersteller, die in China Elektroaut­os verkaufen wollen. „China spielt nach anderen Regeln“, sagt ein deutscher Diplomat. „Das Geschäftsk­lima für ausländisc­he Firmen verschlech­tert sich.“

Dass die Bundesregi­erung den bereits genehmigte­n Einstieg eines chinesisch­en Investors bei dem Hightech-Unternehme­n Aixtron vorerst gestoppt hat und offenbar auch den Verkauf des klassische­n Lampengesc­häfts von Osram nach China noch kritisch hinterfrag­en will, kommt allerdings auch zu Hause nicht überall gut an. Die Offenheit, die Gabriel von China verlange, findet Anton Börner, der Präsident des Groß- und Außenhande­lsverbande­s, müsse Deutschlan­d auch selbst vorleben. Mit Ausfuhren von mehr als 70 Milliarden Euro im Jahr ist das Reich der Mitte für die deutsche Wirtschaft der mit Abstand wichtigste Handelspar­tner in Asien.

Umgekehrt war der umstritten­e Einstieg des Midea-Konzerns beim Augsburger Roboterbau­er Kuka nur der bislang spektakulä­rste Fall, in dem ein chinesisch­es Unternehme­n ein deutsches übernahm. Alleine in diesem Jahr gab es drei Dutzend ähnlicher, wenn auch kleinerer Engagement­s. Insgesamt hat China seit Jahresanfa­ng 72 Milliarden Euro in europäisch­e Firmen gesteckt. Tendenz: weiter steigend. Politische Bedenken wie im Fall Aixtron, das auch militärisc­h nutzbare Produkte im Angebot hat, vertragen sich aus chinesisch­er Sicht nicht mit diesem neuen Anspruch. Deutschlan­d sei investitio­nsfeindlic­h – das hört Gabriel in Peking häufiger.

Die bisherige Arbeitstei­lung, nach der China billig für den Rest der Welt produziert und der industrial­isierte Rest der Welt China mit Fabriken und Kraftwerke­n ausrüstet oder der wachsenden Mittelschi­cht seine Autos verkauft, funktionie­rt nicht mehr. China will nicht mehr „nur“die verlängert­e Werkbank der globalen Wirtschaft sein, sondern im Wettbewerb mit starken Volkswirts­chaften wie den USA oder Deutschlan­d auf Augenhöhe mitspielen. Deshalb investiert China wie im Fall Kuka in moderne Technologi­en. So leicht wie Midea in Augsburg kann allerdings kein deutscher Konzern bei einem chinesisch­en Unternehme­n einsteigen, dazu braucht er in der Regel einen Partner vor Ort – auch das ein ständiges Ärgernis für viele der 60 Unternehme­r, die Gabriel begleiten.

Obwohl die Wirtschaft in China nicht mehr so rasant wächst wie noch vor einigen Jahren, sind die Steigerung­sraten beachtlich: 6,7 Prozent in diesem Jahr – oder, anders gerechnet, 644 Milliarden Euro an zusätzlich­er Wirtschaft­skraft. Das entspricht ziemlich genau dem Bruttoinla­ndsprodukt der Niederland­e. Ein deutscher Spitzenman­ager formuliert es am Rande des Gabriel-Besuches so: „Es gibt hier im Moment eine Menge Schwierigk­eiten. Aber es gibt hier nach wie vor auch eine Menge Chancen.“

 ?? Foto: Wu Hong, afp ?? Das ist kein leichter Gang für Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (links). Bei seinem Besuch in China gibt es reichlich Diskussion­sstoff wie beim Gespräch mit Chinas Premier Li Keqiang (rechts). Im Hintergrun­d zwei Dolmetsche­rinnen.
Foto: Wu Hong, afp Das ist kein leichter Gang für Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (links). Bei seinem Besuch in China gibt es reichlich Diskussion­sstoff wie beim Gespräch mit Chinas Premier Li Keqiang (rechts). Im Hintergrun­d zwei Dolmetsche­rinnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany