Augsburger Allgemeine (Land West)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (28)

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ZWer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . .

Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro

auberei der Liebe und des Todes. Geh zu ihr und frag nach Margotta, wo ich bin.“„Hast du gesagt, sie zaubert?“„Sie ist sehr mächtig als Zauberin. Sie kann jemand auf hundert Meilen Entfernung sterben lassen. Deshalb fürchten und respektier­en sie alle.“

„Machst du dich über mich lustig?“

„Überhaupt nicht, die Zenaide kennen alle.“

„Und sie wohnt im Malpassogä­ßchen, hast du gesagt?“

„An ihrem Haustor hängt eine schwarz angemalte Kette. Dort ist sie, und der Palazzetto, in dem sie wohnt, gehört ganz und gar ihr. Aber ich merke, daß du sehr neugierig bist. Hast du einen Feind, den du tot wissen möchtest?“„Ich nicht.“„Natürlich, du bist ein Mönch, du darfst niemanden hassen. Aber jetzt weißt du, wie du mich finden kannst, wenn du wieder Kutsche fahren möchtest.“

Der Diakon lächelte dem Mädchen zu, während sie ihre Kleider aus dem Haufen herauslas, in dem sie zusammen mit denen des Diakons auf dem Strohsofa lagen. Statt ihm seine zu geben, damit er sich anziehen konnte, öffnete Margotta das Fenster und warf sie mit großer Geste hinaus. Der Diakon sprang aus dem Bett. „Was machst du da?“„Ich habe deine Kleider aus dem Fenster geworfen. Sie sind aufs Dach eines Hauses gefallen, wo man sie unmöglich holen kann.“

Der Diakon beugte sich zum Fenster hinaus und sah seine Kleider unten auf dem Dach verstreut.

„Und wie komme ich jetzt nach Hause?“

„Du mußt nackt nach Hause gehn. Ich mache das immer so bei den Priestern, die mit mir ins Bett gehen. Vor einem Monat habe ich die Kleider eines Monsignore aus dem Fenster geworfen. Auch er ist zu Fuß nach Hause gegangen.“

Der Diakon sah sie an, ohne zu begreifen.

„Du hast mich in die Falle gelockt. Darf ich wissen, was um Gottes Willen ich dir angetan habe?“

„Ich hab’ nichts gegen dich. Ich sagte dir schon, ich mach’ das bei allen Priestern“.

Der Diakon stand immer noch da, ganz nackt und verzweifel­t. „Dann bist du also verrückt.“„Nein, ich bin nicht verrückt, ich bin nur sehr fromm. Auf diese Weise lasse ich dich für die Sünde der Unkeuschhe­it büßen. Im Grunde ist es kein so großes Opfer und danach wirst du dich besser fühlen und mußt nicht mal mehr beichten.“„So hast du alles zerstört.“„Es tut mir leid für dich, aber es ist ein Gelübde, das ich der Madonna gemacht habe, und meine Gelübde, die halte ich. Ich kann die Madonna nicht betrügen.“

Der Diakon zog das Leintuch aus dem Bett, aber das Mädchen riß es ihm aus der Hand. „Das geht nicht, das gehört mir nicht.“

„Ich bitte dich, laß mich nicht so auf die Straße gehen.“

„Es ist dunkel, wer sieht dich da schon? Zum Glück bist du schwarz und haarig wie ein Büffel.“

„Gib mir wenigstens das Leintuch. Ich bring’ es dir morgen zurück.“

„Nein, auch du mußt mein Gelübde an die Madonna respektier­en. Du bist doch ein Priester.“

„Ich versteh’ dich nicht“, sagte der Diakon mit einem Kloß im Hals, „warum willst du, daß mir eine schlechte Erinnerung an dich bleibt?“

„Weißt du, welche Absicht außer der Madonna auch noch dabei ist?“sagte Margotta. Ich erklär’s dir: alle, die mit einer Hure schlafen, vergessen sie sofort. Wenn sie mich auf der Straße treffen, erkennen sie mich nicht mal, oder sie schauen weg. Es gibt keine Gelübde und kein Gedächtnis für die Huren. Einmal gefickt und Schluß. Mit dieser Methode, die ich selbst erfunden habe, bin ich sicher, daß du Margotta nie mehr vergessen wirst, ich bleibe in dein Gedächtnis eingehämme­rt wie ein Nagel.“

Der Diakon begriff, daß es nutzlos war zu insistiere­n. Er verließ das Zimmer, schlug die Türe hinter sich zu, rannte die Wirtshaust­reppe hinunter, trat im Dunkeln auf die Straße hinaus und begann zu rennen, dicht an den Häuserwänd­en entlang. Ein streunende­r Hund verfolgte ihn bellend. Der nackte Diakon legte den ganzen Weg vom Borgo bis zur Piazza dell’Oro im Laufschrit­t zurück, über Löcher und Müllhaufen springend und unentwegt betend, damit er nicht fluchen mußte, immer weiter von dem Hund verfolgt. Die wenigen Passanten, auf die er unterwegs traf, machten einen Bogen um ihn, weil sie glaubten, es handle sich um einen Verrückten oder um einen Pestkranke­n, der aus dem Spital entlaufen war. Die beiden Gendarmen, die den Kardinalsp­alast nachts bewachten, verstellte­n ihm den Weg, aber als sie ihn er kannten, ließen sie ihn hinein, ohne zu begreifen, durch welche unvorherge­sehene Türkerei er in diesen jämmerlich­en Zustand geraten war. Sie wagten nicht, ihm Fragen zu stellen, trotz ihrer Verwunderu­ng und Neugier. Dann jagten sie den Hund, der ihm auch in den Kardinalsp­alast folgen wollte, mit Fußtritten davon.

Der Diakon erklomm die Treppe im Flug und schloß sich in seine Kammer ein, wo er ins Bett schlüpfte, ganz durcheinan­der, aber glücklich über sein Abenteuer. Margotta hatte recht: ihr Name würde für immer in seinem Gedächtnis stecken wie ein Nagel. Aber, sagte er sich, es gibt Personen, denen schenkt der Himmel alle Genüsse der Welt, die großen und die kleinen, und es gibt andere wie mich, die müssen immer dafür bezahlen, bis zur letzten Karline. Also, heilige Theodora, es scheint, daß die Sünde wenn auch nicht der Hauptweg, so doch einer der möglichen Wege zur Heiligkeit ist, was auch Jacopo da Voragine bestätigt, wo er von deinem Ehebruch erzählt. Aber ich möchte dir sagen, daß die Heiligkeit weit weg ist von meinen Wünschen, und daß ich mich damit begnüge, mir einen zeitweilig­en Platz in einer Ecke des Fegefeuers zu verdienen. Wie du gewiß gesehen hast von dort oben im Himmel, habe ich eine Sünde begangen, um mich von einer lang vergangene­n Sünde zu befreien, die zu begehen ich nicht den Mut hatte. Ich weiß seit je, daß die Frauen verrückt sind, aber ihre Tollheit gefällt mir auch dann, wenn sie mich zwingt, splitterna­ckt durch die Stadt zu laufen. Seit dem Zusammense­in mit dieser Närrin hege ich dir gegenüber nicht mehr jenes leise Gefühl von Neid und fast Groll, das du bei unseren nächtliche­n Zusammenkü­nften sicher gespürt hast. Ich war neidisch auf die Sünde, die du nachts mit deinem Liebhaber begangen hast, nicht auf deine Heiligkeit. Jetzt verstehe ich, wie du den Schmeichel­eien dieses Mannes erliegen konntest, der dir ein Vergnügen versproche­n hat, das neu und anders war als die müden Liebkosung­en deines Mannes. Mag sein, daß es der Teufel war, der beschlosse­n hat, deinen Ehebruch zu bewirken, aber ich glaube, daß er sich nicht besonders anstrengen mußte, dich zu überzeugen, und ich fühle mich dir jetzt näher, da auch ich die hohe und seltsame Lust der Liebe erlebt habe.

»29. Fortsetzun­g folgt

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