Augsburger Allgemeine (Land West)
Einfach nur spielen – ohne Text und Stück
Festival Seit 25 Jahren gibt es in Deutschland Improvisationstheater. In diesem Zeitraum hat sich diese Form des Schauspiels weit entwickelt. Trotzdem muss die Szene kämpfen, auch als Kunstform wahrgenommen zu werden
München
Wenn Tobias Zettelmeier die Bühne betritt, ist sie meistens leer, lediglich zwei Stühle stehen am Rand. Nur wenige Augenblicke später hat Zettelmeier die Zuschauer auf einen anderen Kontinent oder in ein uriges Wirtshaus im Bayerischen Wald versetzt; aus den Stühlen ist eine Schanktheke geworden, aus dem 29-jährigen Schauspieler der vergrämte Cousin von Christoph Kolumbus oder ein Wilderer mit Vaterproblemen. Am Ende der Szene klatschen die Zuschauer oft mit einer Mischung aus Verblüffung und Begeisterung. Denn Zettelmeier und seine Kollegen folgen keinem Drehbuch, sie lassen Figuren und Geschichten jeden Abend neu vor den Augen ihres Publikums auf der Bühne entstehen, sie improvisieren.
Seit zwölf Jahren spielt Zettelmeier Improvisationstheater. Was die meisten Zuschauer an der Spielform fasziniert, begeisterte auch den Münchner bei seinen ersten Versuchen: Dass Geschichten aus dem Moment geboren werden, spontan und durch das Zusammenwirken der verschiedenen Schauspieler. So entsteht jedes Mal eine Premiere, noch nie gesehen und unvorhersehbar. Das Publikum schreibt daran mit, indem es zum Beispiel einen Ort vorschlägt, eine Charaktereigenschaft oder die Beziehung zwischen zwei Bühnenfiguren. Aus den und ihrer Erfahrung gestalten die Schauspieler eine Szene – ohne Regisseur und Textbuch und oft sehr unterhaltsam.
Das ist zugleich Auszeichnung wie Schwierigkeit. Denn viele Zuschauer verbinden „Impro“vor allem mit Schenkelklopfen: guter, aber oberflächlicher Unterhaltung. Dabei hat sich das Improvisationstheater längst über kurze ComedySzenen hinaus entwickelt. „Die Szene in Deutschland ist wie ein Baum, sie verzweigt sich in verschiedene Äste“, sagt Andreas Wolf. Etwa 300 Gruppen zählt das Branchenportal Impro-Wiki im deutschsprachigen Raum. Die meisten Spieler sind Amateure, doch es gibt auch einige professionelle Gruppen.
Wolf ist einer derjenigen, die vom Improvisationstheater leben. 1992 gründete der heute 50-Jährige mit dem „FastfoodTheater“in München eine der ersten Improtheatergruppen Deutschlands; das Ensemble ist regelmäßig in München, Augsburg und Regensburg zu sehen. „In den vergangenen 25 Jahren hat man versucht, Stück für Stück die Möglichkeiten von Improvisationstheater zu erweitern“, sagt Wolf. Das kann die Kombination mit Musik sein, wie sie Wolf mit „La Triviata – die Impro-Oper“praktiziert. Viele Gruppen bringen das Element des Spontanen mit klassischen Theaterformen zusammen, improvisieren abendfüllende Krimiformate, Serien oder Soaps mit wiederkehrenden Charakteren sowie improvisiertem Drehbuch.
„Ich glaube, dass die Improtheaterszene heute so breit ist wie die traditionelle Theaterszene auch“, sagt Nadine Antler. Die Sozialpädagogin spielt seit 1998 Improvisationstheater und arbeitet heute als Schauspielerin, Konzepterin und Trainerin in Hamburg. „In Deutschland wurde Improtheater von der professionellen Schauspielszene lange belächelt. Jetzt wird es immer mehr entdeckt, als Qualität, die ein Schauspieler haben sollte, aber auch als eigene Form.“Steigende Zuschauer- und Gruppenzahlen stützen die These. Deutsche Improspieler vernetzen sich über Landesgrenzen hinweg, internatioVorgaben nal renommierte Gruppen treten regelmäßig in Deutschland auf, ausländische Improspieler sind feste Mitglieder in deutschen Ensembles, umgekehrt deutsche Spieler gern gesehene Gäste bei internationalen Festivals. Erste Landestheater, etwa in Tübingen, haben improvisierte Formate in ihr Repertoire aufgenommen. Auch abseits der Bühne ist Improkunst gefragt. Viele Schauspieler werden von Firmen für Coachings gebucht. Auch im pädagogischen Bereich bietet Impro Techniken zur Persönlichkeitsfindung. Sogar wissenschaftlich findet es Beachtung: Der Psychologe und Theaterwissenschaftler Gunter Lösel forscht seit 2014 an der Zürcher Hochschule der Künste zum Thema.
„Das Improtheater hat sich etabliert als fester Bestandteil der Kleinkunst“, urteilt Professor Christopher Balme, Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Spieler Andreas Wolf sieht den Kampf um Anerkennung trotzdem noch nicht beendet. „Wir sagen, Impro ist eine Kunst, die Kunst nämlich, aus dem Moment heraus eine Form zu kreieren. Ich glaube, vom Publikum wird das auch anerkannt – beim Feuilleton allerdings nur bedingt“, sagt er. In den etablierten deutschen Kulturgeschmack lässt sich Impro nicht so leicht einordnen, das merken einige Künstler auch beim Versuch, öfganz fentliche Förderungen zu bekommen. In anderen Ländern, etwa den USA, genießt Improvisationstheater ein anderes Ansehen. Dort bildete sich seit den 50er Jahren eine bis heute prägende Improschule heraus, viele bekannte Filmschauspieler wie Bill Murray, Mike Myers oder Tina Fey haben dort ihre Wurzeln beim Impro. Diese Durchlässigkeit fehle in Deutschland, sagt Wolf.
Dabei hat das Impro gegenüber dem klassischen Theater eigene Qualitäten. „Impro ist eine Kunstform, die nah an unserer Gesellschaft dran ist“, sagt Nadine Antler. „Sie ist unglaublich flexibel und kann sofort auf Aktuelles eingehen.“Dass beim Improvisieren oft auch Komik entsteht, sollte kein Hindernis sein, als eigenständige Form auch mit tiefergehenden Formaten wahrgenommen zu werden.
Die Vielfalt zu zeigen, hat sich Tobias Zettelmeier vorgenommen. Im November holt er einen Ausschnitt der internationalen Improvisationstheaterszene nach München: Beim ersten „Improvember“-Festival treffen sich Spieler aus Deutschland, Belgien, den USA und Israel zu Workshops und Vorstellungen, um gemeinsam neue Wege zu entdecken und das Publikum für ihre Kunst zu begeistern. O
Das Festival „Improvember“findet von 3. bis 6. Nov. in München statt. Mehr auf www.improvember.de
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