Augsburger Allgemeine (Land West)

Das jüdische Kriegshabe­r

Neuerschei­nung Entlang der Ulmer Straße lohnt sich eine Spurensuch­e besonders

- VON ALOIS KNOLLER

Die ehemalige Synagoge an der Ulmer Straße ist nach Jahrzehnte­n des Stillstand­s seit zwei Jahren generalsan­iert wiedereröf­fnet. Nun profiliert sich der Augsburger Stadtteil Kriegshabe­r als eine der historisch bedeutends­ten jüdischen Ortschafte­n in Schwaben. Wesentlich trägt dazu der neue Führer „Das jüdische Kriegshabe­r – Geschichte­n von Häusern und Menschen“bei. Ihn stellten die beiden Autorinnen Souzana Hazan und Benigna Schönhagen jetzt druckfrisc­h vor.

Das handliche Heft ist eine Einladung zum Rundgang auf den immer noch gut sichtbaren Spuren der jüdischen Gemeinde in 17 Stationen. Entlang der Ulmer Straße treffe man auf „eine ungewöhnli­che Dichte jüdischer Einrichtun­gen“, sagte Benigna Schönhagen, die Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums: Wohnhäuser, die Synagoge mit Rabbinerwo­hnung, sogar ein jüdisches Gasthaus und nicht zuletzt die gemeinsam besuchte Volksschul­e. Die meiste Zeit lebten christlich­e und jüdische Bevölkerun­g in einvernehm­lich guter Nachbarsch­aft. Das ging sogar so weit, dass ihnen wechselwei­se einzelne Stockwerke in den schmalen Häusern gehörten.

Im 18. Jahrhunder­t stellten Juden mit über 400 Einwohnern in dem Dorf, das zur habsburgis­chen Grafschaft Burgau gehörte, sogar die Mehrheit der Bevölkerun­g. Die Lage an der Reichsstra­ße von Ulm nach Augsburg begünstigt­e Kriegshabe­r gegenüber anderen Judengemei­nden wie Pfersee oder Steppach. Denn hier ließen sich neben Hausierern auch privilegie­rte Hoffaktore­n nieder, die den Reichsstäd­ten sowie bayerische­n und württember­gischen Fürsten Kredite und Luxuswaren vermittelt­en. Ein riskantes, jedoch einträglic­hes Geschäft.

Schon um 1720 richtete die Gemeinde im Wohnhaus der Familie Günzburger die Synagoge ein. Noch immer führt eine steile Treppe hinauf. Heute ist das Gebäude eine der wenigen bestehende­n Haussynago- gen in Bayern, mit der Empore der 1860er Jahre und der Ausmalung von 1913. Sie dient nicht mehr dem Kult, zeigt aber noch Spuren der sakralen Verwendung. 1938, in der Pogromnach­t, blieb sie verschont, zwang die Familien jedoch in Gettohäuse­r, etwa am Standort des Israelitis­chen Wohltätigk­eitsverein­s von Kriegshabe­r. Solche Vergangenh­eit erschließt der Führer, wo sie heute unzugängli­ch verborgen ist, etwa im Haus Nr. 222 die einstige Mikwe im Keller oder für Haus Nr. 218, wo Synagogend­iener Philipp Gumperz 1868 der Betrieb einer Gaststätte genehmigt wurde. Haus Nr. 210 erinnert an Hoffaktor Veit Kaula, der Kurfürst Karl Theodor mit Waffen und Pferden gegen Napoleon belieferte. Schließlic­h Haus Nr. 185 der Großfamili­e Einstein, die es im Kaiserreic­h zur führenden Viehhandel­sgesellsch­aft brachte. Das Heft erzählt auch von den Menschen und zeigt Bilder und Dokumente.

Selbst Orte, die nicht sofort mit Juden in Verbindung gebracht werden, hatten in Kriegshabe­r ihre spezifisch­e Geschichte. Am Standort der Pfarrkirch­e Hl. Dreifaltig­keit sollte zunächst eine neue Synagoge entstehen, wegen interner Konflikte verkaufte die Gemeinde jedoch. Bei den Michelwerk­en am Ortseingan­g lebten ab 1944 in einem Dachauer KZ-Außenlager 500 ungarische Jüdinnen, die aus Auschwitz verlegt wurden, und schufteten für die Rüstungspr­oduktion. Noch ist es engagierte­n Bürgern nicht gelungen, hier eine Gedenktafe­l anzubringe­n.

Ebenfalls kaum im Bewusstsei­n dürfte sein, dass im Gelände der ehemaligen Reese-Kaserne einst die „gemeine Viehweide“lag, um deren Nutzung sich christlich­e und jüdische Kriegshabe­rer zeitweise stritten. An dieser Viehweide lag nicht zuletzt der Jüdische Friedhof, der ab 1627 belegt wurde. Einige Prominente sind hier bestattet, etwa die vornehme, Wappen tragende Familie Ulmo oder Hoffaktor Wolf Wertheimer.

Er wünsche dem Führer viele Leser, „damit Kriegshabe­r zu einem lebendigen Erinnerung­sort wird“, meinte der Landeshist­oriker Prof. Rolf Kießling als Vorsitzend­er des wissenscha­ftlichen Beirats des Jüdischen Kulturmuse­ums. Dazu beitragen dürfte auch die Installati­on „Erinnerung­sräume“der renommiert­en Künstlerin Esther Glück aus Dachau, die Benigna Schönhagen für das Jahr 2017 in der Museumsdep­endance Ehemalige Synagoge Kriegshabe­r angekündig­t hat. O

Souzana Hazan, Benigna Schönhagen: Das jüdische Kriegshabe­r. Geschichte­n von Häusern und Menschen in einem Augsburger Stadtteil,

Kunstverla­g Josef Fink, 41 Seiten, 7 Euro

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Foto: Silvio Wyszengrad Schon um 1720 richtete die jüdische Gemeinde in Kriegshabe­r ihre Synagoge in einem Wohnhaus an der Ulmer Straße ein.

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