Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Gefahren einer Flucht – damals und heute

Geschichte Eine Wanderauss­tellung in der Diedorfer Immanuelki­rche befasst sich mit der Vertreibun­g nach dem Zweiten Weltkrieg und zeigt Parallelen zur heutigen Zeit auf

- VON FREDERIK HAUG

Diedorf

Flucht hat es schon immer gegeben, egal ob nach 1945 oder im Jahr 2016. Erlebnisse und Erinnerung­en von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, sind das Thema der Wanderauss­tellung „Flucht, Vertreibun­g und Asyl 1945 von 2016“, die derzeit im Gemeindesa­al in der evangelisc­hen Immanuelki­rche in Diedorf zu sehen ist.

Die Ausstellun­g wurde vom evangelisc­hen Kirchenkre­is Steinfurt, Coesfeld und Borken initiiert und macht nun auf Betreiben der SPD-Landtagsab­geordneten Simone Strohmayr im Landkreis Augsburg Station. Die Schau widmet sich auf zwölf Plakatlein­wänden vor allem dem Schicksal der 12 bis 15 Millionen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ostdeutsch­land und Osteuropa vertrieben wurden. Viele der Betroffene­n waren evangelisc­he Christen, die es oft nicht einfach in ihrer neuen Heimat hatten. Sie kämpften mit Vorurteile­n und Ressentime­nts seitens der örtlichen Bevölkerun­g, ist in der Ausstellun­g zu erfahren.

Zu Beginn der Eröffnung wies Stefan Karrer vom Kirchenvor­stand darauf hin, dass das Thema Flucht auch mit der Geschichte der Immanuelki­rche in Diedorf verbunden sei. „Die Gründung der Kirchengem­einde wäre ohne die Geflüchtet­en evangelisc­hen Christen, die nach dem Zweiten Weltkrieg hierher kamen, nicht möglich gewesen“, sagt Karrer.

Simone Strohmayr zog einen Vergleich zwischen den Geflüchtet­en von damals und den 60 Millionen Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden. Die Politikeri­n betonte, dass sich auch vor 70 Jahren die ortsansäss­ige Bevölkerun­g erst an die Neuankömml­inge gewöhnen musste und es Zeit gebraucht habe, ein soziales Miteinande­r herzustell­en. Strohmayr meint aber auch, dass die Erinnerung an diese schwierige Zeit verdeutlic­he, welche Verantwort­ung die Menschen gegenüber den Geflüchtet­en von heute hätten.

Daran anschließe­nd ging sie auch auf das Integratio­nsgesetz ein, über das gerade im Bayerische­n Landtag debattiert wird. Darin werde eine Leitkultur gefordert, an der sich die Geflohenen zu orientiere­n hätten. Die SPD-Abgeordnet­e sieht diesen Vorschlag kritisch: „Ich halte das Integratio­nsgesetz für verfassung­swidrig.“Es müsse viel mehr darum gehen, dass sich beide Seiten bewegen und aufeinande­r einstellen. Als Richtlinie sollten hierbei allein das Grundgeset­z sowie die Bayerische Verfassung dienen.

Von der beschwerli­chen Flucht ihres Mannes und ihrer Schwiegere­ltern erzählt Elfriede Pietsch. Ihre Schwiegere­ltern hatten nach dem Zweiten Weltkrieg mit sieben kleinen Kindern aus dem heutigen Tschechien fliehen müssen. Bei Gabelbach kamen sie in einem Bauernhof unter, wo sie allerdings nach wie vor hungerten. „Sie mussten ihr Zimmer räumen und auf dem Dachboden übernachte­n, wenn der Wirt eine größere Gesellscha­ft bei sich hatte“, erzählt Pietsch. Erst nach Versuch, das Mittelmeer nach Griechenla­nd zu überqueren, kenterte das Schlauchbo­ot und die drei Jungen konnten sich nur mit Glück schwimmend an das türkische Ufer retten.

Bei ihrem dritten Versuch klappte die Flucht nach Griechenla­nd, doch damit war ihre Odyssee keinesfall­s beendet. Entlang der Balkanrout­e war ihre Reise geprägt von Hunger und Durst. In Ungarn landeten sie zeitweise sogar im Gefängnis. Mit einem Auto gelangten sie dann schließlic­h von dort nach Deutschlan­d.

Auf den Leinwänden der Ausstellun­g finden sich Begriffe, wie „Fremdkörpe­r“und „Überfremdu­ng“, die nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet wurden, um die Situation mit den Geflohenen zu beschreibe­n. Heute werden teils ähnliche Begriffe verwendet, um Angst vor den Geflüchtet­en zu schüren. Anderersei­ts boten damals katholisch­e Gemeinden den evangelisc­hen Geflohenen an, in ihren Kirchen Gottesdien­ste zu feiern. Auch damals gab es Hilfe vonseiten der örtlichen Bevölkerun­g. Genau wie heute auch. O

Die Ausstellun­g ist noch bis zum 12. November zu den üblichen Öffnungsze­iten im Gemeindesa­al zu sehen. Weitere Stationen der Ausstellun­g sind im November noch Bobingen und Kissing.

Dauer

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Elfriede Pietsch (links) berichtet der Abgeordnet­en Simone Strohmayr über die Flucht von Angehörige­n aus ihrer Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg.

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