Augsburger Allgemeine (Land West)
Luigi Malerba – Die nackten Masken (36)
DWer als Renaissance-Kardinal ein laster- und lotterhaftes Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . .
Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro
er berittene Kammerdiener zeigte den Leuten die Kardinalinsignien, aber das reichte nicht aus, um das Mißtrauen der furchtsamen Leibesbesorger oder ihrer Angehörigen zu zerstreuen. Durch die geschlossenen Türen oder von den Fenstern herunter hatten sie ihm jedesmal gesagt, daß man den Arzt zu einem dringenden Fall gerufen hatte, und daß sie ihn nach seiner Rückkehr ganz gewiß zum Kardinalspalast am Alten Zollamt schicken würden. Wenn die Dinge so gelaufen wären, wie die Angehörigen dem berittenen Kammerdiener versicherten, hätte sich schon vor Sonnenaufgang eine große Menge von Ärzten am Krankenbett Ottobonis einfinden müssen. Unterdessen war der Kammerdiener, der den Grund für all diese Abwesenheiten sehr wohl begriffen hatte, in eine Kutsche gestiegen und nach Palestrina gefahren, um dort einen alten Arzt zu holen, der dem Kardinal Dank schuldete und sich darum nicht weigern konnte, dem Leidenden zu Hilfe zu kommen. In der Kutsche, während der Fahrt nach Rom, wollte der alte Arzt sich lediglich versichern, daß der Kardinal Ottoboni keine Schwellungen unter den Achseln und an den Leisten hatte, und daß auf seiner Haut keine schwarzen Flecke aufgetreten waren.
Der Schrecken vor Ansteckung war durch die Mauern der Hauptstadt hinausgedrungen und verbreitete sich nun auch in den Dörfern der Umgebung, wo die Pestfälle sich jeden Tag mehrten – ohne Rücksicht auf Stand und Würde.
In Segni war ein Priester von einem Glockenturm gesprungen und ein Bauer hatte sich in einen Brunnen gestürzt. In Palestrina hatte man einen Gesundheitsdienst eingerichtet, der seine nächtlichen Wachen in der Gegend herumschickte, um die Häuser der Pestkranken anzuzünden, im Glauben, die Anstekkungsgefahr auf diese Weise zu zügeln. Aber die Zusammenstöße mit den Familien der Pestkranken, die ihre Häuser mit Waffen verteidigten, forderten eine Zahl von Opfern, welche die der Pest noch überstieg. Während das Umland seine Toten beklagte, wurde ganz Rom von einem neuen Schauder ergriffen, als man eines Morgens unter dem Altar der Kirche des Heiligen Thomas in Monte Cenci den halbnackten Leichnam einer schönen schwarzhaarigen Pestkranken fand – „schwarz und üppig“schrieb der von der Präfektur der Engelsburg geschickte Gesundheitsbeamte in seinem Bericht. Wie sie an diesen Ort gelangt war, blieb für alle ein Rätsel. Der junge Pfarrer konnte oder wollte keine Erklärung für ihre Gegenwart geben, aber wenige Tage später starb auch er an der Pest.
Der Arzt aus Palestrina war erst im Morgengrauen am Bett des Kardinals Ottoboni angekommen und hatte ihn bei schlechtester Laune vorgefunden. Es war der Kranke selbst, der von Vergiftung sprach, aber als der alte Arzt versuchte, ihm ein Brechmittel zu verabreichen, damit er die verdorbenen oder vergifteten Speisen wieder von sich gäbe, drehte er sich wie eine Furie im Bett herum, und hätte ihn, wäre er nicht von den Hausbewohnern daran gehindert worden, gewiß davongejagt.
„Ich habe mir schon meine ganze Seele samt aller Gifte aus dem Leib gespuckt!“hatte der Kardinal gezischt, der, wenn ihn die Wut packte, ohne Sinn und Anstand sprach.
So griff der Arzt, nachdem er ihm ein Glas magenstärkender Mixtur auf der Basis von Rosenessig, Laudanum und Herba blanca eingeflößt hatte, klüglich auf die essiggetränkten Lappen zurück, die auf die Stirn gelegt wurden, und kochende Leinsamenumschläge auf die Brust. Das kann nicht schaden, dachte er, und deshalb pflegte er auf solche Linderungsmittel zurückzukommen, wenn die medizinische Wissenschaft ihm keine anderen Heilmittel anriet.
Aber die Schmerzen hielten den ganzen Tag über unvermindert an und führten zur völligen Entkräftung des Kardinals, der von Zeit zu Zeit den Kopf hob und mit ganz verzweifelter Stimme Beschimpfungen gegen denjenigen ausstieß, der ihn vergiftet hatte.
Als die Schmerzen sich etwas beruhigten, rief man den Koch ans Krankenbett des Kardinals, der sich im Bett aufsetzte und ihn mit einem furchterregenden Blick fixierte. „Wer hat die Küchen betreten?“„Ich kann schwören, daß weder gestern noch vorher ein Fremder sie betreten hat, Eminenz.“„Diese Rotbarben!“„Die Rotbarben, die Ihr verspeist habt, wurden auch von den beiden Bischöfen von Salamanca verspeist, die mit Euch getafelt haben.“
„Ich traue diesen beiden Gaunern nicht.“
„Aber Eminenz, sie sind doch geradewegs aus Spanien gekommen und direkt vor Eurem Haus ausgestiegen, ohne vor Euch irgendjemanden in Rom gesehen zu haben. Das sagt jedenfalls der Kutscher, der sie in einer Staatskutsche bis vor unser Tor gebracht hat.“
„Sie können aus Salamanca gekommen sein, um mir im Auftrag von wer weiß wem diese Gifte als Geschenk zu überbringen.
Noch weitere Unglücksvögel werden aus Spanien hier erwartet.“
Der Koch des Hauses war leicht verstört in die Küchen zurückgegekehrt, aber der Bericht seines Gesprächs mit dem Kardinal wanderte sogleich von Mund zu Mund und führte zu einem dichten Netz von Gerüchten, an dem Truchsesse Küchenjungen Kutscher Schneiderinnen Wäscherinnen Flikkerinnen Kleiderverwahrerinnen mitwirkten, und die verschiedenen Hilfsmädchen des Hauses, die vor allem versuchten, dem vermeintlichen Vergifter einen Namen zu verleihen. Irgend jemand sprach von dem wütenden Wettstreit zwischen Kardinal Ottoboni und Kardinal della Torre um das Amt des Kardinalkämmerers, und die am besten informierten legten auch die Rivalität um die schöne Palmira auf die Waage – ein weiteres Motiv für mögliche Gifte. Und so wurden die Küchen des Alten Zollamts zum Mittelpunkt schwindelerregender Klatschgeschichten – von Gerüchten, die korrigiert und amplifiziert wurden und mit immer frischeren Nachrichten von draußen gefüttert, um hier, im Erdgeschoß des Hauses Ottoboni ihre Bestätigung oder ihr Dementi oder auch eine Erweiterung durch neue aufregende Einzelheiten zu finden. Nach einem Tag der Schwindelanfälle und Leiden am ganzen Leib erholte sich der Kardinal allmählich wieder, aber die akuten Schmerzen hatten einen Zustand von immer wiederkehrender Übelkeit hinterlassen, die seinen Zorn gegen den anonymen Urheber der Gifte jedesmal neu schürten. Daß dieser dem Ottoboni bekannt war, war schon oft genug wiedergekäut worden, aber sein Name wurde vom Kardinal niemals ausgesprochen, nicht einmal in den Momenten, in denen sein Zorn sich in zügellose Schmähreden ergoß. Die schreckliche Nacht der Verhexung hatte auch Kardinal della Torre Schaden zugefügt. Er war mitten in der Nacht aufgewacht, mit einem gräßlichen Schmerz im Hals und einer Schwellung, die ihm den Atem einschnürte.
»37. Fortsetzung folgt