Augsburger Allgemeine (Land West)

Verrohte Sprache verführt zur Gewalt

Gedenkfeie­r In der Synagoge erinnern sich Christen und Juden an die Pogromnach­t von 1938. Der Politiker Alois Glück erklärt, warum er wieder „tief beunruhigt“ist

- VON ALOIS KNOLLER

Rabbiner Henry G. Brandt sagt über die Pogromnach­t vom 9. November 1938: „Die Nazis stießen damals das Tor zur Hölle auf.“Er hat sie selbst in seiner Vaterstadt München erlebt, auch wenn „schon eine Lebensspan­ne seither vergangen“ist, wie er bei der Gedenkfeie­r in der voll besetzten Synagoge anmerkte. Und selbst wenn schon nach 78 Jahren alles gesagt, alles erforscht, alles beweint und beklagt sowie die nötigen Lehren daraus gezogen worden sind, „geziemt es sich trotzdem, jedes Jahr wieder daran zu erinnern“.

Und das ist gut so, meinte Oberbürger­meister Kurt Gribl, denn „Geschichts­vergessenh­eit bedeutet Gegenwarts­vergessenh­eit“. So wenig das Unheil und Übel in Deutschlan­d erst an jenem 9. November 1938 angefangen habe, so wenig sei man bis heute gefeit davor. „Die Wurzeln des Bösen liegen immer im Hier und Jetzt“, sagte Gribl. Er beteuerte: „Wir sind nicht einverstan­den, wenn antisemiti­sche Strömungen in unsere Stadt hereingetr­agen werden.“

Der ehemalige bayerische Landtagspr­äsident und CSU-Politiker Alois Glück betonte in seiner Gedenkrede: „In unserem Land ist auch einiges aus den Fugen geraten.“Auch in Deutschlan­d wüchsen Unsicherhe­it und Sorgen der jüdischen Mitbürger. Die Flüchtling­skrise sei zur Initialzün­dung für eine erschrecke­nde Welle von Hass und Radikalisi­erung geworden. Zudem seien zu uns Menschen aus Kulturen gekommen, in denen die Juden und das Judentum ein Feindbild seien.

Die großen christlich­en Kirchen haben Glück zufolge ihr Verhältnis zum Judentum grundlegen­d verbessert. Noch nie seien die Beziehunge­n zwischen Katholiken und Juden so konstrukti­v gewesen. Und in der evangelisc­hen Kirche würden im Gedenkjahr 500 Jahre Reformatio­n auch die Schattense­iten Martin Luthers in seiner Beziehung zum Judentum klar benannt werden.

„Tief beunruhigt“ist der CSU- Politiker aber darüber, dass sich unsere freiheitli­che, offene und plurale Gesellscha­ft ihrer unverzicht­baren Gemeinsamk­eiten, den notwendige­n Verbindlic­hkeiten und Regeln für ein gutes Zusammenle­ben nicht mehr sicher sei. Glück beklagte eine „zunehmende Verrohung in der Sprache und im Verhalten“. Und er mahnte: „Die Spirale der Gewalt beginnt immer mit der Sprache.“

Hoffnung auf ein friedvolle­s Miteinande­r strahlte indes das Orchester des Gymnasiums bei St. Stephan aus, das in Form sinfonisch­er Musik die gemeinsame Kultur beschwor. Der jüdische Kantor David Schwezoff ließ mit der bewegenden Klage aus Psalm 13 „Wie lange noch darf mein Feind über mich triumphier­en?“die Gedenkfeie­r in der Synagoge ausklingen.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Der ehemalige Landtagspr­äsident und CSU-Politiker Alois Glück hielt die Rede bei der Gedenkstun­de in der voll besetzten Augsburger Synagoge. Auch sie war in der Pogromnach­t vom 9. November 1938 in Brand gesetzt worden.
Foto: Annette Zoepf Der ehemalige Landtagspr­äsident und CSU-Politiker Alois Glück hielt die Rede bei der Gedenkstun­de in der voll besetzten Augsburger Synagoge. Auch sie war in der Pogromnach­t vom 9. November 1938 in Brand gesetzt worden.
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