Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Mann will raus aus dem Hamsterrad
Porträt Ulrich Meyer moderiert seit 1995 die TV-Sendung „Akte“. Mit 61 Jahren zieht er sich im Dezember zurück. Das hat viel mit seiner Frau zu tun
Als Ulrich Meyer gefragt wurde, an was er glaube, sagte er: „Die Macht der Liebe, die Institution der Ehe und den Journalismus“. Ein besonderer Dreiklang, der viel preisgibt über den Kölner. Denn Meyer ist ein leidenschaftlicher Journalist, einer, der das Kunststück fertigbringt, nun schon gut 30 Jahre Privatfernsehen nicht nur überlebt zu haben, sondern frech wie zu Sturm-und-Drang-Zeiten aufzutreten, ja kaum gealtert zu wirken und auf wundersame Weise immer noch da zu sein. So fing die Karriere des schlanken Manns mit dem seitengescheitelten, stets perfekt sitzenden, bis heute überwiegend blond scheinenden Haar 1985 bei RTL an. Mit dem krawalligen TV-Streitgespräch „Der heiße Stuhl“schreckte er die Nation auf. Mancher mag sich erinnern, wie Filmemacher Rosa von Praunheim in der Sendung einen Skandal heraufbeschwor, als er Homosexuelle wie Alfred Biolek und Hape Kerkeling ungefragt outete. In einem solchen auf Konflikt gebürsteten Boulevard-Journalisten-Milieu wirkt Meyer – und das ist wohl sein Trick – zumindest äußerlich wie ein Fremdkörper. Oft tritt er in Anzug und Krawatte auf. Das Jackett ist zugeknöpft. Der Mann könnte auch als Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen oder als Landarzt durchgehen. Dabei hat er sein Medizinstudium abgebrochen und wurde bei der Kölnischen Rundschau Lokaljournalist. Wenn Meyer nun schon mehr als 1000-mal bei Sat.1 kerzengerade stehend und verbal-zackig das Magazin „Akte“moderiert, scheint seine militärische Vergangenheit als Oberstleutnant durch. Meyer hat als Fernseh-Aufklärer alles gegeben, Schlüsseldienst-Abzocker an den Pranger gestellt, sich dank eines Rauschgiftfunds im Bundestag den Zorn des PolitEstablishments zugezogen und mit hypernutzwertigen Beiträgen wie „Schön geformt, prall und fest – mühelos zum perfekten Po?“Menschen Hoffnung gemacht. Dabei ist der Journalist ein konservativer Typ, der nicht im Schlafanzug frühstücken mag. Dem Lateinschüler, der geschliffen und enorm schnell druckreif reden kann, sind klassische Werte ans Herz gewachsen. So trägt sein Buch den Titel: „Das läuft schief in unserem Land. Ein Plädoyer für mehr Herz, Anstand und Verantwortung“.
Herz ist bei „Meyer“, wie seine zur Ironie neigende Partnerin ihn in einer Talkshow mehrmals genannt hat, ein Schlüsselthema. Denn dass er im Dezember mit 61 Jahren journalistisch kürzertritt und „raus aus dem TV-Hamsterrad“will, hat viel mit seiner geliebten Ehefrau Georgia Tornow zu tun, die einst der Chefredaktion der alternativen taz angehört hat. Meyer will mehr Zeit mit der 68-Jährigen verbringen. Sein größter Traum sei es, Einsamkeit zu verspüren – natürlich mit seiner Frau. Derartige Sehnsüchte passen nicht mit Fernsehen zusammen. Künftig wird der bekannte Zeitungsund TV-Journalist Claus Strunz, 50, als „Akte“-Moderator Raffkes anprangern. Doch kaum einer kann das so cool und mit so unbewegtem Gesicht wie Meyer. Stefan Stahl