Augsburger Allgemeine (Land West)
Heikle Arzneimittelstudien
Gesundheit Bundestag lässt Medikamententests an Demenzkranken zu, auch wenn sie persönlich keinen Nutzen mehr davon haben
Berlin
Nach langem Für und Wider hat der Bundestag die umstrittene Arzneimittelnovelle verabschiedet. Damit können die klinischen Arzneitests an Demenzkranken künftig ausgeweitet werden. Nicht nur im Bundestag gab es nennenswerten Widerstand, auch Kirchen und Behindertenverbände lehnten die neue Regelung ab. Ein Überblick:
Wie ist die bisherige Rechtslage?
Bislang ist die Studienteilnahme von Patienten, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr selbst einwilligen können, nur dann erlaubt, wenn damit ein möglicher Nutzen für sie selbst verbunden ist. Das kann eine neuartige Therapie sein oder eine besonders intensive medizinische Behandlung während der Studie. Dann kann der gesetzliche Betreuer eines Demenzkranken – nach Abwägung der möglichen Risiken – die Zustimmung erteilen. Nicht erlaubt ist bislang eine Forschung, die nur „gruppennützig“ist: Das hieße, dass sie den Betroffenen selbst keine Vorteile bringt, sondern allenfalls künftigen Generationen.
Um welches Gesetz ging es?
Der Streit drehte sich um einen Passus im Entwurf des „Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“– so der sperrige Titel. Formal wird damit eine EU-Verordnung umgesetzt, in der die „gruppennützige Forschung“erlaubt wird.
Warum dauerte es so lange bis zur Verabschiedung?
Wie bei anderen ethisch heiklen Themen war der Wunsch nach Beratung groß. Deshalb wurde die Vorlage der Regierung mehrfach wieder von der Tagesordnung des Bundestagsplenums genommen und mit Experten noch einmal in den Ausschüssen diskutiert. Wie sensibel das Thema ist, zeigte auch, dass der Fraktionszwang bei der Abstimmung aufgehoben war – ähnlich wie etwa im Fall der Präimplantationsdiagnostik. 357 der 542 teilnehmenden Abgeordneten stimmten mit Ja, 164 mit Nein. 21 enthielten sich.
Welche Änderungen sieht die Arzneimittelnovelle vor?
Der persönliche Nutzenfaktor bekommt weniger Gewicht. Durch die Änderung des Arzneimittelgesetzes werden klinische Arzneistudien an Menschen mit Demenz oder anderen nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten, die davon keinen unmittelbaren Nutzen haben, in engen Grenzen erlaubt. Voraussetzung ist, dass der Betreffende vorab im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und nach ärztlicher Aufklärung festgelegt hat, dass er mit bestimmten, gruppennützigen klinischen Prüfungen einverstanden ist. Ein Betreuer soll später entscheiden, ob diese Festlegung noch auf die aktuelle Situation zutrifft. Die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.
Wie argumentieren die Befürworter der Neuregelung?
Gesundheitsminister Hermann Gröhe und andere verweisen darauf, dass hochwertige klinische Prüfungen „eine Voraussetzung für einen schnellen und sicheren Zugang zu neuen Arzneimitteln“seien. Experten zufolge lassen sich die Ergebnisse von Arzneimitteltests in früheren Krankheitsstadien nicht einfach auf spätere übertragen. Deshalb seien solche klinischen Studien für eine bessere Behandlung von Demenzkranken zwingend erforderlich.
Was kritisieren die Gegner?
Die Alzheimer-Gesellschaft beispielsweise gab zu bedenken, dass Demenzkranke „besonders schutzbedürftige Menschen“seien, die ihre Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr widerrufen könnten. Die Betreuer könnten dadurch in einen Zwiespalt geraten. Auch die Behindertenverbände halten es für schwierig, den aktuellen Willen von Dementen zu ermitteln. Die Kirchen sehen in der Novelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde und warnen davor, dass „der Mensch zum bloßen Objekt herabgestuft und benutzt wird“.
Wird sich schnell etwas ändern?
Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller hält sich zurück. Für ihn ändere sich auf absehbare Zeit nichts. Man habe auch keine Änderungen des Arzneimittelrechts gefordert.