Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Vermögens-Frage

Parteitag Wie soll man Reichtum besteuern? Die Grünen ringen mit sich, wieder einmal

- VON RUDI WAIS

Münster

An den letzten Bundestags­wahlkampf denkt Cem Özdemir nur ungern zurück. „Rechthaber“, sagt der Grünen-Chef, „sind mir so sympathisc­h wie abgestande­nes Bier.“Den belehrende­n Ton, den die Partei da mit ihrem Veggie-Day und einem Programm voller Steuererhö­hungen anschlug, will er im nächsten Sommer nicht noch einmal hören. Für Özdemir, den Pragmatike­r, sind nicht nur die anderen schuld. Im Gegenteil: „Wir müssen auch die Art und Weise hinterfrag­en, wie wir über Politik reden.“

Münster, Messezentr­um. Lange hat Özdemir sich zum Auftakt des grünen Parteitage­s an den Trumps, den Le Pens und den Orbáns dieser Welt abgearbeit­et, ehe er sich die Grünen selbst vorknöpft. „Bei aller Einigkeit in den Zielen“, klagt er, „führen wir zu oft Selbstgesp­räche.“Obwohl sich keine Partei mehr für Alleinerzi­ehende oder Langzeitar­beitslose einsetze, bleibe doch ein anderer Eindruck hängen: „Grüne sind in Gerechtigk­eitsfragen gespalten und haben keinen klaren Kurs.“Und, noch deutlicher: „Habt ihr nicht auch manchmal das Gefühl, dass die Probleme, die wir uns innerhalb der grünen Familie manchmal machen, angesichts dessen, was in den letzten zwei Wochen um uns herum passiert ist, seltsam klein erscheinen?“

Es ist der Versuch, eine Partei wieder zusammenzu­führen, die ein knappes Jahr vor der Bundestags­wahl vor allem mit sich selbst beschäftig­t ist, wieder einmal. Und nirgendwo zeigt sich diese Zerrissenh­eit deutlicher als bei Özdemir und Simone Peter, den beiden Parteivors­itzenden, die eher nebeneinan­der her arbeiten als miteinande­r.

Auch im Streit um die künftige Besteuerun­g von Reichen und noch Reicheren, dem wichtigste­n Thema dieses Parteitage­s, verfolgen sie völlig unterschie­dliche Ansätze. Während die Parteilink­e Peter für eine Wiedereinf­ührung der Vermögenst­euer kämpft, hat die deutsche Wirtschaft plötzlich in Özdemir einen unerwartet­en Fürspreche­r gefunden. „Wer eine Vermögenst­euer fordert, muss auch erklären, wie er eine Substanzbe­steuerung mittelstän­discher Unternehme­n verhindert“, warnt er – eine deutliche Breitseite in Richtung seiner Mitvorsitz­enden. Heute müssen die mehr als 800 Delegierte­n die V-Frage beantworte­n. Ausgang ungewiss.

Vor den Bundestags­wahlkampf hat der politische Terminkale­nder allerdings noch die Wahl eines Bundespräs­identen gesetzt, und je länger Union und SPD um die GauckNachf­olge ringen, umso häufiger fällt ein Name, den anfangs niemand auf der Rechnung hatte: Ausgerechn­et Parteichef­in Peter hat den baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n ins Gespräch gebracht – den Mann, der wie kein Grüner sonst ihre Vermögenst­euer attackiert und bei der Parteilink­en im ständigen Verdacht steht, mit seinem pragmatisc­h-konservati­ven Kurs grüne Ideale zu verraten. Kretschman­n selbst verfolgt diese Debatte mit der ihm eigenen Unaufgereg­theit: Wenn man ihn rufe, sagt er, werde er sich das reiflich überlegen. „Aber der Ruf wird ziemlich sicher nicht kommen.“

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Kretschman­n

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