Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Vermögens-Frage
Parteitag Wie soll man Reichtum besteuern? Die Grünen ringen mit sich, wieder einmal
Münster
An den letzten Bundestagswahlkampf denkt Cem Özdemir nur ungern zurück. „Rechthaber“, sagt der Grünen-Chef, „sind mir so sympathisch wie abgestandenes Bier.“Den belehrenden Ton, den die Partei da mit ihrem Veggie-Day und einem Programm voller Steuererhöhungen anschlug, will er im nächsten Sommer nicht noch einmal hören. Für Özdemir, den Pragmatiker, sind nicht nur die anderen schuld. Im Gegenteil: „Wir müssen auch die Art und Weise hinterfragen, wie wir über Politik reden.“
Münster, Messezentrum. Lange hat Özdemir sich zum Auftakt des grünen Parteitages an den Trumps, den Le Pens und den Orbáns dieser Welt abgearbeitet, ehe er sich die Grünen selbst vorknöpft. „Bei aller Einigkeit in den Zielen“, klagt er, „führen wir zu oft Selbstgespräche.“Obwohl sich keine Partei mehr für Alleinerziehende oder Langzeitarbeitslose einsetze, bleibe doch ein anderer Eindruck hängen: „Grüne sind in Gerechtigkeitsfragen gespalten und haben keinen klaren Kurs.“Und, noch deutlicher: „Habt ihr nicht auch manchmal das Gefühl, dass die Probleme, die wir uns innerhalb der grünen Familie manchmal machen, angesichts dessen, was in den letzten zwei Wochen um uns herum passiert ist, seltsam klein erscheinen?“
Es ist der Versuch, eine Partei wieder zusammenzuführen, die ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl vor allem mit sich selbst beschäftigt ist, wieder einmal. Und nirgendwo zeigt sich diese Zerrissenheit deutlicher als bei Özdemir und Simone Peter, den beiden Parteivorsitzenden, die eher nebeneinander her arbeiten als miteinander.
Auch im Streit um die künftige Besteuerung von Reichen und noch Reicheren, dem wichtigsten Thema dieses Parteitages, verfolgen sie völlig unterschiedliche Ansätze. Während die Parteilinke Peter für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer kämpft, hat die deutsche Wirtschaft plötzlich in Özdemir einen unerwarteten Fürsprecher gefunden. „Wer eine Vermögensteuer fordert, muss auch erklären, wie er eine Substanzbesteuerung mittelständischer Unternehmen verhindert“, warnt er – eine deutliche Breitseite in Richtung seiner Mitvorsitzenden. Heute müssen die mehr als 800 Delegierten die V-Frage beantworten. Ausgang ungewiss.
Vor den Bundestagswahlkampf hat der politische Terminkalender allerdings noch die Wahl eines Bundespräsidenten gesetzt, und je länger Union und SPD um die GauckNachfolge ringen, umso häufiger fällt ein Name, den anfangs niemand auf der Rechnung hatte: Ausgerechnet Parteichefin Peter hat den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ins Gespräch gebracht – den Mann, der wie kein Grüner sonst ihre Vermögensteuer attackiert und bei der Parteilinken im ständigen Verdacht steht, mit seinem pragmatisch-konservativen Kurs grüne Ideale zu verraten. Kretschmann selbst verfolgt diese Debatte mit der ihm eigenen Unaufgeregtheit: Wenn man ihn rufe, sagt er, werde er sich das reiflich überlegen. „Aber der Ruf wird ziemlich sicher nicht kommen.“