Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Fadenkreuz der Taliban

Afghanista­n Lange schienen die Deutschen in Afghanista­n eine Art Sympathiev­orschuss zu genießen. Dann greifen die Taliban das Konsulat in Masar-i-Scharif an. Was hat sich geändert?

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Masar-i-Scharif

Eine heftige, dumpfe Explosion. Tausende Fenstersch­eiben splittern. Asphalt birst. Backsteine fliegen durch die Luft. Der Angriff der Taliban auf das deutsche Generalkon­sulat von Masar-i-Scharif ist in der halben Stadt zu hören. Mirza Mohammed kriegt das alles aus nächster Nähe mit. Der Mann, in unmittelba­rer Nachbarsch­aft der deutschen Vertretung zu Hause, ist fassungslo­s. „Die Straßen sind voller Glas, Geschäfte haben keine Türen mehr.“

Der Angriff hatte begonnen, als der Donnerstag fast schon vorbei war, kurz nach 23 Uhr. Zunächst rast ein Kleinlaste­r gegen die meterhohe Schutzmaue­r des Konsulats. Dann wird die Sprengladu­ng gezündet, die auf der Ladefläche versteckt war. Einer der Angreifer ist auf der Stelle tot. Mindestens einem Taliban gelingt es aber, durch das Sprengloch aufs Gelände vorzudring­en und schließlic­h auch ins Konsulat selbst. Es habe „Kampfhandl­ungen“gegeben, heißt es später in Berlin lapidar. Mehr nicht. Die etwa zwei Dutzend Mitarbeite­r des Generalkon­sulats bringen sich im „Safe Room“in Sicherheit, ein Raum der nochmals extra gesichert ist. Dabei ist das erst im Juni 2013 eröffnete Gebäude ohnehin extrem geschützt. Die Diplomaten arbeiten dort nicht nur, sondern leben auch dort.

Als alles vorbei ist, nach mehr als zwei Stunden, werden sie ins etwa zehn Kilometer entfernte Camp Marmal gebracht. Viele sind traumatisi­ert. Das genaue Ausmaß der Schäden wird erst am nächsten Morgen klar. Von der fünf Meter hohen Mauer ist nicht mehr viel übrig. Davor ist nun ein gut drei Meter tiefer Krater in der Straße. Bis in dem Gebäude wieder gearbeitet werden kann, wird es Monate dauern – wenn überhaupt. Es war wohl der schlimmste Angriff auf ein deutsches nichtmilit­ärisches Ziel seit Be- des Afghanista­n-Einsatzes vor 15 Jahren: vier Zivilisten getötet, mindestens 128 verletzt. Und es hätte noch viel schlimmer ausgehen können. Bislang galt Masar-i-Scharif als einer der sicheren afghanisch­en Städte, viel sicherer als die Hauptstadt Kabul. Das hat sich jetzt geändert.

Der Anschlag ist aus zwei Gründen besorgnise­rregend. Zum Einen zeigt er die Fähigkeit der Taliban, weiter zu töten, Schrecken zu säen und die afghanisch­en Sicherheit­skräfte auszutrick­sen – und das in der bislang eher stabilen Provinz Balch, die mit eiserner Faust regiert wird vom Anti-Taliban-Kriegsherr­en Atta Mohammed Nur. Der UN-Sicherheit­srat hat schon vor einem Jahr von verbessert­en strategisc­hen Fähigkeite­n der Taliban gesprochen. In den vergangene­n Wochen standen sie vor mindestens fünf Provinzhau­ptstädten. In zwei schafften sie es hinein, wenn auch nur kurz. Hunderttau­sende Menschen sind nun auf der Flucht. Militärisc­h sehen Experten ein Patt: Sicherheit­skräfte und Taliban verlieren beide Kämpfer in atemberaub­endem Tempo. Aber der psychologi­sche Schaden ist deutlich größer aufseiten der afghanisch­en Streitkräf­te, die sich fragen, wieso sie mit ihrer Übermacht gegen die Taliban scheinbar nicht viel ausrichten können. Der Anschlag inmitten von Masar-i-Scharif – ein weiterer Schock.

Zudem hat sich nun auch die Sicherheit­sgleichung für die Deutginn schen geändert. Bisher hatten sie sich darauf verlassen können, als „enemy light“– also als nicht so schlimmer Feind – wahrgenomm­en zu werden. Mit fast 1000 Soldaten ist die Bundeswehr immer noch einer der größten Truppenste­ller im Land. Aber die meisten Soldaten dienen in der Administra­tion des Camp Marmal, das auch als Basis für die Einsätze anderer Länder dient. Nur wenige Dutzend deutsche Soldaten sind „draußen“– als Berater der Afghanen, nicht mehr als Kämpfer.

Zusammen mit einer mehr als 100-jährigen Geschichte der Entwicklun­gshilfe in Afghanista­n schien das den Deutschen lange eine Art Sympathiev­orschuss zu bringen. Man konnte es auch „Schutzpols­ter“ nennen. Taliban-Feind Nummer eins blieben die Amerikaner. Jetzt, so scheint es, verschwimm­en die Grenzen. Die Taliban geben den Deutschen eine Mitschuld an einem tragisch misslungen­en USLuftangr­iff auf ihre Stellungen in der Nachbarpro­vinz Kundus vor gut einer Woche. Bei der Attacke waren auch etwa 30 Zivilisten getötet worden. Deutschlan­d war nach Angaben der Bundesregi­erung daran nicht beteiligt.

Die Taliban behaupten jedoch, die Deutschen hätten die nachrichte­ndienstlic­hen Informatio­nen besorgt. Der deutsche Ko-Direktor

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Foto: imago Die gewaltige Explosion nach dem Aufprall des mit Sprengstof­f beladenen Kleinlaste­rs hat nicht nur das deutsche Konsulat in Maschar-i-Scharif verwüstet, sondern die Umgebung in ein einziges Trümmerfel­d verwandelt.
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