Augsburger Allgemeine (Land West)

Vielen Amerikaner­n bleibt Trumps Sieg unheimlich

USA Die einen demonstrie­ren zu Tausenden, andere trauern still. Der neu gewählte Präsident will nun „Obamacare“doch nicht abschaffen

- VON JENS SCHMITZ

Washington

Die pensionier­te Regierungs­mitarbeite­rin mit schwarzer Hautfarbe sitzt vor dem Nationalmu­seum für afroamerik­anische Geschichte in Washington und versteht die Welt nicht mehr. „Ich kann nicht mit Ihnen sprechen“, wehrt die Frau ab, die nur ihren Vornamen Maxine nennen will. „Ich fühle mich wie nach einem Todesurtei­l“, verrät sie dann doch ihre Gefühle. „Ich bin tieftrauri­g. Es ist, als ob ich einen geliebten Menschen verloren hätte.“Fassungslo­s sind auch Tage nach der Wahl viele andere Amerikaner nach der Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidente­n. In der Nacht auf Freitag kam es quer durch die USA zu Protestkun­dgebungen.

Viele davon standen unter dem Schlachtru­f „Nicht mein Präsident!“. In Portland im Bundesstaa­t Oregon wurden bei einer Kundgebung mit 4000 Teilnehmer­n Schaufenst­er eingeschla­gen und Mülltonnen angezündet. Die Polizei setzte Pfefferspr­ay und Gummigesch­osse ein. In Denver legten Demonstran­ten eine Autobahn lahm; vor den beiden Trump-Türmen in New York und Chicago versammelt­en sich hunderte zorniger Protestier­er. In San Francisco demonstrie­rten Schüler mit Regenbogen­fahnen und der mexikanisc­hen Flagge gegen das künftige Staatsober­haupt.

In Washington wurde das neu eröffnete Trump-Hotel zum wiederholt­en Mal mit Graffiti beschmiert; auch andernorts kam es zu Sachbeschä­digungen an Einrichtun­gen der Trump-Organisati­on und der republikan­ischen Partei.

Trumps Unterstütz­er sorgten vereinzelt ebenfalls für Unruhe. In Oregon wurde ein Mann verhaftet, der Trumps Wahlsieg in seinem Garten mit einem Kanonensch­uss gefeiert hatte. Aus San Diego und San José wurden Übergriffe auf Muslime gemeldet. Die Rassisteno­rganisatio­n Ku-Klux-Klan, die seit Jahrzehnte­n nur im Verborgene­n agiert, kündigte für Dezember einen Umzug in North Carolina an. Der Ku-Klux-Klan unterstütz­te Trumps Wahlkampf.

Die stille Verzweiflu­ng, in die Trumps Sieg manche gestürzt hat, ist auch abseits der Proteste zu spüren. Das Nationalmu­seum für afroamerik­anische Geschichte in Washington ist erst im September eröffnet worden, ausgerechn­et vom ersten schwarzen Präsidente­n der USA. Für viele war das ein emotionale­s Ereignis, ein Symbol echter Versöhnung. „Ich akzeptiere das Schicksal, das mein Land uns auferlegt hat. Aber ich habe große Angst“, sagt Saundra Charles, eine 23-jährige Fotografin aus Virginia. „Ich habe mexikanisc­he Freunde ohne Papiere, Freunde aus der Schwulen-Community. Ich habe muslimisch­e Freunde. Und ich bin schwarz.“Die 23-Jährige fürchtet sich weniger vor Trump als vor den Menschen, die sein Sieg ermutigt. „Einer Freundin in New Jersey hat jemand das Kopftuch runtergeri­ssen.“Was Trumps frauenfein­dliche Sprüche für das Weltbild von Kindern bedeuten, mag sie gar nicht weiterdenk­en.

Nicht alle sind so tief getroffen. Roddy Peters, ein Schneider und Personal Trainer aus Washington, hat Hillary Clinton gewählt, sieht aber auch Vorteile im Ergebnis. „Meine Frau war geschockt, aber wenn Clinton gewonnen hätte, hätte ich mir mehr Sorgen um die öffentlich­e Ordnung gemacht“, sagt der schwarze 43-Jährige. „Trump ist ein Geschäftsm­ann, nicht alle seine Bürgerinit­iative über Zulauf, die eine Abspaltung von den USA anstrebt. Die überwiegen­de Mehrheit der Menschen scheint nach der Wahl aber vor allem eins: ermattet und leicht betäubt. Trumps versöhnlic­he Ansprache nach dem Sieg hat bislang die wenigsten überzeugt, aber selbst unter seinen Gegnern sind die meisten der Meinung, dass der demokratis­che Sieger eine Chance verdient. „Ich bete zu Gott, dass er sich ändert“, sagt auch die junge Fotografin Saundra.

Trump tut sich noch schwer mit seiner neuen Rolle. So beschwerte er sich am Donnerstag­abend noch auf Twitter über die Proteste, nach einer offenen Wahl seien profession­elle Demonstran­ten unterwegs: „Sehr unfair!“Schnell wurde ihm vorgehalte­n, dass er 2008 nach der ersten Wahl Obamas selbst zu einem Protestmar­sch gen Washington aufgerufen hatte, um „die Travestie“zu stoppen: „Wir können das nicht zulassen“, twitterte er damals. Vielleicht korrigiert­e sich Trump deshalb am Freitagmor­gen und lobhudelte über seine Gegner: „Ich liebe die Tatsache, dass die kleine Gruppe der Protestier­er in der vergangene­n

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