Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Bäume reden könnten

Zweiter Weltkrieg Vier jüdische Schwestern überleben den Nazi-Terror. Eine Station ihres Leidensweg­s war das KZ Burgau und das geheime Waldwerk „Kuno“im Scheppache­r Forst. Dort wurde Hitlers „Wunderwaff­e“montiert

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Burgau

Ihre Familienge­schichte geht unter die Haut: Vier jüdische Schwestern überleben gemeinsam die mörderisch­en Jahre des NaziTerror­s. Während ihre Eltern in Treblinka in die Gaskammer geschickt werden, müssen Helen, Bela, Regina und Sonia Garfinkel aus dem polnischen Chmielnik in verschiede­nen Rüstungsan­lagen arbeiten. Mehrmals schauen sie dem Tod ins Auge. Sie erleben, wie andere Juden gequält und getötet werden. Neben Brutalität und Hunger ist die Angst ein ständiger Wegbegleit­er. Auch in Burgau (Landkreis Günzburg), wohin die Schwestern in einem Zugtranspo­rt im März 1945 gebracht werden. Weil sie sich nach der mehrtägige­n Fahrt unter schlimmste­n Verhältnis­sen noch auf den Beinen halten können, sollen sie wie 120 andere jüdische Frauen im nahe gelegenen Waldwerk Kuno im Scheppache­r Forst arbeiten. Dort wird die Me 262 montiert, der erste serienreif­e Düsenjäger der Welt. Die jungen Frauen schnappen ein Gerücht auf: Sobald Hitlers vermeintli­che „Wunderwaff­e“gebaut ist, sollen alle Juden getötet werden.

So weit kommt es nicht. Ende April rücken die Amerikaner vor. Sie hat, erklärt: „Der deutsche Arbeitsmar­kt war schon vor dem Krieg aufgrund der jahrelange­n Aufrüstung angespannt. Später wurde der Arbeitskrä­ftemangel durch den Einsatz von ausländisc­hen Arbeitskrä­ften behoben. Menschen aus den besetzten Gebieten beziehungs­weise Kriegsgefa­ngene mussten mehr oder weniger unter Zwang im Reich arbeiten.“Doch auch das habe 1944 nicht mehr ausgereich­t. Kucera: „Nun konnte man nur noch auf das letzte, bislang kaum genutzte Arbeitskrä­ftereservo­ir zurückgrei­fen, nämlich auf die Häftlinge in den Konzentrat­ionslagern.“Sechs Reichsmark am Tag ließ sich die SS für Facharbeit­er bezahlen, vier für Hilfskräft­e und zwei für Jugendlich­e.

Alex Feuer war einer von ihnen. Mit 15 Jahren wurde er im Mai 1944 ins KZ Birkenau deportiert. Beim ersten Appell tippte ihm dort ein Mann von hinten auf die Schulter und sagte auf Jiddisch: „Kleiner Mann, bleib auf deinen Füßen und streck dich, wenn die SS kommt.“Der Ratschlag hat ihm vermutlich das Leben gerettet, Feuer wurde zur Arbeit ausgewählt. Sein jüngerer Bruder und seine Eltern wurden in die Gaskammer geschickt. Alex Feuer wurde später nach Augsburg und dann ins Kuno-Werk verschlepp­t. Gewalt gehörte zum Alltag: Im KZ Burgau soll Lagerleite­r Johann Kullik einen Häftling mit einem Stuhlbein verprügelt haben. Und Wachperson­al schoss auf Landwirte, die an Ostern Kartoffeln über den Stacheldra­ht geworfen hatten.

Aus Angst rührte Helen Garfinkel im Waldwerk auch eine Papiertüte nicht an, die vermutlich ein deutscher Facharbeit­er absichtlic­h liegen gelassen hatte. Am Ende nahm sie das belegte Brot und den Apfel doch dankbar an sich – eine stille Hilfe. Die gab es auch im Dorf Glöttweng, nordwestli­ch des Scheppache­r Forstes. Bei der Landwirtin Katharina Felber klopften nachts Männer aus dem Kuno-Werk ans Fenster und baten um Essen. Felber versorgte die Zwangsarbe­iter und stellte ihnen dann nachts immer wieder an einem Baum vor ihrem Hof Essen ab.

Die Männer bauten ihr zum Dank eine Kartoffelp­resse. Das Küchengerä­t ist zu einem Zeugnis der Menschlich­keit geworden und wird in der Ausstellun­g gezeigt. „Meine Mutter half den Gefangenen immer in christlich­er Hoffnung: Vielleicht hilft irgendwo in Russland zur selben Zeit eine andere Mutter ihrem Mann, damit er überlebt“, erinnert sich Tochter Maria Wörner. Tatsächlic­h kehrte Leonhard Felber nach neun Jahren im Krieg verwundet zurück. Später erzählte er, dass ihm in Russland auch einmal eine Frau geholfen habe.

 ?? Foto: US National Archives and Records Administra­tion ?? Blick ins Waldwerk, aufgenomme­n von US Soldaten im April 1945: Über den Me 262 Maschinen hängt Tarnung. Das Dach der Montagehal­le ist erhalten und schützt heute das Gatter eines Sägewerks.
Foto: US National Archives and Records Administra­tion Blick ins Waldwerk, aufgenomme­n von US Soldaten im April 1945: Über den Me 262 Maschinen hängt Tarnung. Das Dach der Montagehal­le ist erhalten und schützt heute das Gatter eines Sägewerks.
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Alex Feuer

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