Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn Bäume reden könnten
Zweiter Weltkrieg Vier jüdische Schwestern überleben den Nazi-Terror. Eine Station ihres Leidenswegs war das KZ Burgau und das geheime Waldwerk „Kuno“im Scheppacher Forst. Dort wurde Hitlers „Wunderwaffe“montiert
Burgau
Ihre Familiengeschichte geht unter die Haut: Vier jüdische Schwestern überleben gemeinsam die mörderischen Jahre des NaziTerrors. Während ihre Eltern in Treblinka in die Gaskammer geschickt werden, müssen Helen, Bela, Regina und Sonia Garfinkel aus dem polnischen Chmielnik in verschiedenen Rüstungsanlagen arbeiten. Mehrmals schauen sie dem Tod ins Auge. Sie erleben, wie andere Juden gequält und getötet werden. Neben Brutalität und Hunger ist die Angst ein ständiger Wegbegleiter. Auch in Burgau (Landkreis Günzburg), wohin die Schwestern in einem Zugtransport im März 1945 gebracht werden. Weil sie sich nach der mehrtägigen Fahrt unter schlimmsten Verhältnissen noch auf den Beinen halten können, sollen sie wie 120 andere jüdische Frauen im nahe gelegenen Waldwerk Kuno im Scheppacher Forst arbeiten. Dort wird die Me 262 montiert, der erste serienreife Düsenjäger der Welt. Die jungen Frauen schnappen ein Gerücht auf: Sobald Hitlers vermeintliche „Wunderwaffe“gebaut ist, sollen alle Juden getötet werden.
So weit kommt es nicht. Ende April rücken die Amerikaner vor. Sie hat, erklärt: „Der deutsche Arbeitsmarkt war schon vor dem Krieg aufgrund der jahrelangen Aufrüstung angespannt. Später wurde der Arbeitskräftemangel durch den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften behoben. Menschen aus den besetzten Gebieten beziehungsweise Kriegsgefangene mussten mehr oder weniger unter Zwang im Reich arbeiten.“Doch auch das habe 1944 nicht mehr ausgereicht. Kucera: „Nun konnte man nur noch auf das letzte, bislang kaum genutzte Arbeitskräftereservoir zurückgreifen, nämlich auf die Häftlinge in den Konzentrationslagern.“Sechs Reichsmark am Tag ließ sich die SS für Facharbeiter bezahlen, vier für Hilfskräfte und zwei für Jugendliche.
Alex Feuer war einer von ihnen. Mit 15 Jahren wurde er im Mai 1944 ins KZ Birkenau deportiert. Beim ersten Appell tippte ihm dort ein Mann von hinten auf die Schulter und sagte auf Jiddisch: „Kleiner Mann, bleib auf deinen Füßen und streck dich, wenn die SS kommt.“Der Ratschlag hat ihm vermutlich das Leben gerettet, Feuer wurde zur Arbeit ausgewählt. Sein jüngerer Bruder und seine Eltern wurden in die Gaskammer geschickt. Alex Feuer wurde später nach Augsburg und dann ins Kuno-Werk verschleppt. Gewalt gehörte zum Alltag: Im KZ Burgau soll Lagerleiter Johann Kullik einen Häftling mit einem Stuhlbein verprügelt haben. Und Wachpersonal schoss auf Landwirte, die an Ostern Kartoffeln über den Stacheldraht geworfen hatten.
Aus Angst rührte Helen Garfinkel im Waldwerk auch eine Papiertüte nicht an, die vermutlich ein deutscher Facharbeiter absichtlich liegen gelassen hatte. Am Ende nahm sie das belegte Brot und den Apfel doch dankbar an sich – eine stille Hilfe. Die gab es auch im Dorf Glöttweng, nordwestlich des Scheppacher Forstes. Bei der Landwirtin Katharina Felber klopften nachts Männer aus dem Kuno-Werk ans Fenster und baten um Essen. Felber versorgte die Zwangsarbeiter und stellte ihnen dann nachts immer wieder an einem Baum vor ihrem Hof Essen ab.
Die Männer bauten ihr zum Dank eine Kartoffelpresse. Das Küchengerät ist zu einem Zeugnis der Menschlichkeit geworden und wird in der Ausstellung gezeigt. „Meine Mutter half den Gefangenen immer in christlicher Hoffnung: Vielleicht hilft irgendwo in Russland zur selben Zeit eine andere Mutter ihrem Mann, damit er überlebt“, erinnert sich Tochter Maria Wörner. Tatsächlich kehrte Leonhard Felber nach neun Jahren im Krieg verwundet zurück. Später erzählte er, dass ihm in Russland auch einmal eine Frau geholfen habe.