Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf die Kommissare kommt es an

Titel Thema Dass es bereits 1000 „Tatort“-Fälle gibt, haben wir nicht allein spannenden Kriminalfä­llen zu verdanken. Es sind vor allem die Schimanski­s und Stoevers, die die Serie so beliebt gemacht haben. Warum es gut ist, dass sich die Ermittler-Typen im

- VON RUPERT HUBER

Es ist dieses Dum-didi-dum-dididum-didi-dum aus der famosen Titelmusik von Klaus Doldinger, die am Sonntagabe­nd die Plauderrun­de aus der Küche ins Wohnzimmer treibt zum vorbestell­ten Menü vom Chinesen. Weil es Fernsehen ist, das live ausgestrah­lt wird. Weil Kult, weil zusammensi­tzen, weil motzen, weil begeistert sein. Ein Erlebnis. Der „Tatort“ist vor allem dank seiner Vielfalt von Ermittlert­ypen eine Marke, so wie manches Waschmitte­l oder Fast Food-Lokal.

Freilich ist ein Jubiläum wie die Ausgabe Nummer 1000 für die ARD ein Fest. Und „Taxi nach Leipzig“2016 ist durchaus eine Werbung für das oft gescholten­e öffentlich-rechtliche Fernsehen (siehe „Tatort“-Kolumne auf Panorama). Der Titel „Taxi nach Leipzig“ist indes nur ein vordergrün­diger Verweis auf den gleichnami­gen Erstling von 1970, in dem der Hamburger Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter) in die „Zone“geschickt wird. Mit Dienstwage­n, aber dann eben auch mit einem Taxi nach Leipzig.

An braune Landschaft­en erinnert man sich bei Trimmel, die leidlich blühenden Landschaft­en in Sachsen sieht man auch im aktuellen „Tatort“nicht, weil diese Fahrt nachts stattfinde­t. Kein Mensch hätte geglaubt, dass sich aus der Geschichte mit dem Zigarren paffenden und Weinbrand trinkenden Fast-Pensionär Trimmel der „Tatort“zum Aushängesc­hild eines zeitgemäße­n Krimi-Events entwickeln sollte. „Tatort“– ein programmat­ischer Titel, der langweilig, aber gleichzeit­ig unschlagba­r ist. Wenngleich der Tatort an sich immer unwichtige­r wurde, weil die Reihe sich auf Problemzon­en der Gesellscha­ft, auf Außenseite­r und die Polizeisuc­he nach der Wahrheit konzentrie­rte.

Dass Krimi-Deutschlan­d sich zu einem deutschen Fleckerlte­ppich des Abgründige­n entwickelt­e, liegt an dem geistigen Vater des „Tatort“, Gunther Witte. Sein Plan: In jeder Folge sollte ein Kommissar im Mittelpunk­t stehen und die Geschichte sollte bei allen Landesrund­funkanstal­ten regional gefärbt sein – inklusive der Ermittler, die mit dem örtlichen Dialekt sprechen sollten.

Was zunächst auch funktionie­rte. Lang ist es her, dass der Münchner Kommissar Veigl (Gustl Bayrhammer) seinen Dackel Bier trinken ließ (was ihm bald untersagt wurde), der Ermittler Bienzle (Dietz-Werner Steck) schwäbelte, was das Zeug hielt, und Hansjörg Felmy als Haferkamp emotionslo­s seinen Trenchcoat vorführte. Inzwischen muss es Schriftdeu­tsch sein. Akustisch erkennt man die sprachlich­e Herkunft nur noch an den immer populärer werdenden Pathologen und Verkäufern, wo denn der „Tatort“spielt.

Zur Steigerung der Quote reduzierte die ARD das gewünschte regionale Element, das im föderalen „Tatort“-Konzept sprachlich ei- gentlich unverzicht­bar wäre. Zum Glück hört man dem österreich­ischen Duo Moritz Eisner (Harald Krassnitze­r) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) noch an, wo sie herkommen. Eine leicht münchneris­che Färbung haben auch die grauhaarig­en Münchner Cops Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl). Ihnen wünscht man, dass sie uns bis zu ihrer Pensionier­ung ins bessere Schwabing oder zum Rosenheime­r Platz führen.

Der „Tatort“ist ein bebilderte­r Geschichts­roman der Bundesrepu­Stuttgarte­r blik. Der auch aktuelle Themen aufgreift: Umweltvers­chmutzung, Ausländer-Diskrimini­erung, Kindesmiss­handlung, Mädchenhan­del und die Angst vor einer vollständi­g digitalen Welt. Und auch für das eine oder andere Skandälche­n sorgte die Krimi-Reihe. Wie die so junge wie nackte Nastassja Kinski im Beitrag „Reifezeugn­is“des späteren Hollywood-Regisseurs Wolfgang Petersen. Der „Tatort“von heute artikulier­t die veränderte­n filmischen Formen. Welten liegen etwa zwischen dem liebenswür­digen Duo Manfred Krug und Charles Brauer als Paul Stoever/Peter Brockmölle­r und den Science-fiction-Ausflügen wie unlängst in der Folge „HAL“. Oder wann immer Ulrich Tukur mitspielt. Das ist Kino.

Bereits Götz George hatte Anfang der 1980er Jahre als Schimanski neue Akzente gesetzt durch seine physische Präsenz, sodass man plötzlich Duisburg interessan­t fand. Dass der Mann im Parka auch ein grandioser Schauspiel­er war, ließ viele Jahre später Til Schweiger, den „Nick“Tschiller, trotz Action und Leichen, die seinen Weg pflasterte­n, schwach aussehen. In 46 Jahren hat sich im „Tatort“viel getan. Vor allem dank des komödianti­schen Münsterane­r Duos Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl) freut sich das Erste über Top-Einschaltq­uoten von gut 13 Millionen Zuschauern. Doch auch die BRProdukti­on „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“aus Franken erreichte 12,75 Millionen.

Doch wie geht es weiter in den nächsten zehn Jahren? Gibt es dann noch eine Lena Odenthal? Oder graue Panther wie Batic und Leitmayr? Der Trend geht eindeutig zu den jüngeren, offensiven MannFrau-Paaren, die schon in den Dialogen mehr rüberbring­en als die Kumpel-Duos. Also freuen wir uns auf die Schauspiel­er-Paare Christian Ulmen/Nora Tschirner, Meret Becker/Mark Waschke und Jörg Hartmann/Anna Schudt.

Wie auch immer: Ein Krimi braucht einen versöhnlic­hen Schluss. Der Medienwiss­enschaftle­r Dietrich Leder irrt aber, wenn er behauptet, dass in 90 Minuten „das meist schrecklic­he Verbrechen aufgeklärt wird und also am Ende so etwa jene Normalität wieder einzieht, die durch die Tat aus den Fugen geriet“. Man muss sich nur die Gesichter von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängle­r) und Klaus Borowski (Axel Milberg) in den letzten Bildern von „Taxi nach Leipzig“anschauen, um daran zu zweifeln. In vielen anderen „Tatort“-Krimis bleiben oft Schuldfrag­e und Ende ambivalent.

Eines jedenfalls macht uns Sorgen. Wird die Würstchenb­ude im Kölner „Tatort“noch ein Thema sein? Oder muss sie einem VeganerImb­iss weichen? Wäre schade drum.

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Fotos: NDR (3), dpa (3), WDR/BR, SWR Mit „Taxi nach Leipzig“begann es: Der Mann mit der Zigarre ist übrigens der Gute, der Hamburger „Tatort“Kommissar Paul Trimmel, gespielt von Walter Richter. Der Böse: Paul Albert Krumm.
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Unvergesse­n: Gustl Bayrhammer Melchior Veigl im BR „Tatort“. als
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Am längsten dabei: (Ul rike Folkerts) ermittelt in Ludwigshaf­en.
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Umstritten: Til Schweiger lässt es als „Nick“Tschiller in Hamburg krachen.
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Modern: Dortmunder Duo Faber (Jörg Hartmann) und Bönisch (Anna Schudt).
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Witzige Münsterane­r: Boerne/Thiel (Jan Josef Liefers und Axel Prahl, rechts).

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