Augsburger Allgemeine (Land West)
Spitzenturnen auf engstem Raum
Phänomen Monheim, Nördlingen und Buttenwiesen bieten regelmäßig hochklassigen Sport. Warum Nordschwaben ein Magnet für Top-Athleten ist und was der Mauerfall damit zu tun hat
Monheim
Hunderte Menschen werden heute Abend wieder in die Monheimer Stadthalle strömen, mit Transparenten und Trommeln ausgestattet, um ihre Lieblingssportler anzufeuern: die Bundesliga-Turner des TSV Monheim. Die Kleinstadt mit ihren rund 5000 Einwohnern bietet eine Besonderheit: Hier gibt es regelmäßig Spitzensport zu sehen, mit Auftritten von WM-Teilnehmern und Olympiasiegern. Beim heutigen Wettkampf gegen den TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau geht es um nicht weniger als den Klassenerhalt in Deutschlands höchster Turn-Liga.
Nur 30 Kilometer weiter in Richtung Westen bietet sich nahezu das gleiche Bild. Bei der KTV Ries gehen ein Männerteam in der 3. Bundesliga und ein Frauenteam in der 2. Bundesliga an die Geräte. Von Monheim aus knapp 40 Kilometer Richtung Süden gibt es auch beim TSV Buttenwiesen regelmäßig Wettkämpfe der zweithöchsten deutschen Turnliga zu sehen. Drei kleine Vereine in Nordschwaben, die Sportstätten von nationaler und sogar internationaler Bedeutung sind.
„Ohne turnverrückte Leute und Ehrenamtliche, die den Sport pushen, geht das gar nicht“, betont Peter Bullinger. Der Vereinsvorstand und Spartenleiter ging selbst jahrelang für den TSV Monheim an die Geräte. „Der Vorteil von kleinen Vereinen auf dem Land ist, dass es hier eher Leute gibt, die bereit sind sich zu engagieren“, sagt er. Gerade in Randsportarten komme der Erfolg auf die Ehrenamtlichen an.
Aber auch die Nachwuchsarbeit spielt eine Rolle: „Die jungen Turner sehen die spektakulären Wettkämpfe der Großen und die vielen Zuschauer, die sie anfeuern und wollen das dann auch erleben“, erklärt Jürgen Wundel, Trainer des Männerteams und des Nachwuchses bei der KTV Ries. In Buttenwiesen setzt man vor allem auf ein Netzwerk von Familie und Freunden, wie Abteilungsleiter Helmut Kehl verrät. „Unser Erfolgsrezept ist eine Mischung aus Ehrenamt, Zusammenhalt und der guten Stimmung im Team“, sagt er nicht ohne Stolz.
Doch warum klappt das gerade in Nordschwaben so gut? Beim Blick auf die Karte der Mannschaften aus der 1., 2. und 3. Bundesliga fällt auf: Die meisten kommen aus dem süddeutschen Raum. Das geht so weit, dass das Männer-Team der KTV Ries für diese Saison zum ersten Mal in die Nordgruppe der beiden dritten Ligen eingeteilt wurde, da es so viele qualifizierte Mannschaften aus dem südlichen Raum Deutschlands gab. Buttenwiesens Abteilungsleiter Kehl erklärt sich dieses Phänomen mit dem Fall der Berliner Mauer: „Im Osten Deutschlands sind damals die Strukturen im Sport völlig zusammengebrochen. Nach der Wende wurde der Fokus dort mehr auf den Breitensport gelegt als auf den Leistungssport, denn Trainer mussten von den Vereinen plötzlich bezahlt werden. Im Norden war das ähnlich, oder die Vereine haben den Anschluss verpasst.“
In einem Punkt sind sich die drei Vereinsvertreter einig: Konkurrenz belebt das Geschäft. „Der Turngau Oberdonau ist mit 80 Mannschaften sehr gut aufgestellt. Der Konkurrenzkampf macht da viel aus. Und Derbys sind schließlich das Salz in der Suppe“, findet Bullinger vom TSV Monheim.
Im ländlichen Raum sei es auch einfacher, Sponsoren zu finden. Die sind auch nötig, denn die Kosten für eine Saison in der 2. Bundesliga liegen laut Kehl bei 15000 bis 20000 Euro, für die 1. sind sie noch um einiges höher. Die Sponsorensuche funktioniert meist über Beziehungen. Diese sind auch bei der Kaderplanung wichtig. „Wir schauen uns immer wieder nach Turnern um, die frei und mit uns freundschaftlich verbunden sind“, erklärt Kehl. Auch die aus Chemnitz oder sogar Großbritannien stammenden Athleten des TSV Monheim wurden erst engagiert, nachdem bereits ein Kontakt bestanden hatte.
Für die ausländischen Sportler haben die Bundesligen einen außergewöhnlichen Reiz. Nirgendwo sonst gibt es im Geräteturnen ein Ligasystem wie in Deutschland. „Die Turner aus dem Ausland nutzen die Bundesligen, um sich bekannt zu machen. Außerdem gefällt es ihnen, vor Publikum zu turnen“, sagt Bullinger.
Ein nicht zu unterschätzender Anziehungspunkt der BundesligaMannschaften ist zudem der Spaßfaktor. Monheims Teamkapitän Dominik Klenner erklärt den Grund: „Turnen ist ja eher ein Einzelsport. Da ist es natürlich sehr reizvoll, im Team zu turnen. In der Liga ist das eine ganz eigene Energie. Wenn es bei einem nicht gut läuft, baut einen die Mannschaft wieder auf. Da wird man zu Freunden.“Ein Paradebeispiel seien seine Teamkollegen aus Chemnitz. „Als sie nach Monheim kamen, sagten sie, dass sie nun zum ersten Mal richtig Spaß am Sport hätten. In den Leistungszentren zählt eben auch nur die Leistung“, sagt Klenner.
Im Team sei das anders, „man gewinnt gemeinsam und man verliert gemeinsam!“. Deshalb gebe es in Monheim auch regelmäßig teambildende Maßnahmen, wie etwa ein Oktoberfestbesuch oder eine Fahrt zum Schloss Neuschwanstein.
Dass die Bundesligen mit ausländischen Turnern aber auch den deutschen Stars wie Hambüchen, Nguyen und Co. aufwarten, die zum Teil bereits bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen erfolgreich waren, macht die Ligen zu Zuschauermagneten. Das haben die Vereine erkannt und lassen einen Wettkampf nun zum richtigen Event werden. Da gibt es zum Beispiel beim KTV Ries eine große Video-Leinwand mit Zeitlupenwiederholungen und Interviews mit den Sportlern. Kein Wunder also, dass die kleinen nordschwäbischen Turnhochburgen seit Jahren im großen Sport mitmischen.