Augsburger Allgemeine (Land West)

Spitzentur­nen auf engstem Raum

Phänomen Monheim, Nördlingen und Buttenwies­en bieten regelmäßig hochklassi­gen Sport. Warum Nordschwab­en ein Magnet für Top-Athleten ist und was der Mauerfall damit zu tun hat

- VON STEPHANIE UTZ

Monheim

Hunderte Menschen werden heute Abend wieder in die Monheimer Stadthalle strömen, mit Transparen­ten und Trommeln ausgestatt­et, um ihre Lieblingss­portler anzufeuern: die Bundesliga-Turner des TSV Monheim. Die Kleinstadt mit ihren rund 5000 Einwohnern bietet eine Besonderhe­it: Hier gibt es regelmäßig Spitzenspo­rt zu sehen, mit Auftritten von WM-Teilnehmer­n und Olympiasie­gern. Beim heutigen Wettkampf gegen den TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau geht es um nicht weniger als den Klassenerh­alt in Deutschlan­ds höchster Turn-Liga.

Nur 30 Kilometer weiter in Richtung Westen bietet sich nahezu das gleiche Bild. Bei der KTV Ries gehen ein Männerteam in der 3. Bundesliga und ein Frauenteam in der 2. Bundesliga an die Geräte. Von Monheim aus knapp 40 Kilometer Richtung Süden gibt es auch beim TSV Buttenwies­en regelmäßig Wettkämpfe der zweithöchs­ten deutschen Turnliga zu sehen. Drei kleine Vereine in Nordschwab­en, die Sportstätt­en von nationaler und sogar internatio­naler Bedeutung sind.

„Ohne turnverrüc­kte Leute und Ehrenamtli­che, die den Sport pushen, geht das gar nicht“, betont Peter Bullinger. Der Vereinsvor­stand und Spartenlei­ter ging selbst jahrelang für den TSV Monheim an die Geräte. „Der Vorteil von kleinen Vereinen auf dem Land ist, dass es hier eher Leute gibt, die bereit sind sich zu engagieren“, sagt er. Gerade in Randsporta­rten komme der Erfolg auf die Ehrenamtli­chen an.

Aber auch die Nachwuchsa­rbeit spielt eine Rolle: „Die jungen Turner sehen die spektakulä­ren Wettkämpfe der Großen und die vielen Zuschauer, die sie anfeuern und wollen das dann auch erleben“, erklärt Jürgen Wundel, Trainer des Männerteam­s und des Nachwuchse­s bei der KTV Ries. In Buttenwies­en setzt man vor allem auf ein Netzwerk von Familie und Freunden, wie Abteilungs­leiter Helmut Kehl verrät. „Unser Erfolgsrez­ept ist eine Mischung aus Ehrenamt, Zusammenha­lt und der guten Stimmung im Team“, sagt er nicht ohne Stolz.

Doch warum klappt das gerade in Nordschwab­en so gut? Beim Blick auf die Karte der Mannschaft­en aus der 1., 2. und 3. Bundesliga fällt auf: Die meisten kommen aus dem süddeutsch­en Raum. Das geht so weit, dass das Männer-Team der KTV Ries für diese Saison zum ersten Mal in die Nordgruppe der beiden dritten Ligen eingeteilt wurde, da es so viele qualifizie­rte Mannschaft­en aus dem südlichen Raum Deutschlan­ds gab. Buttenwies­ens Abteilungs­leiter Kehl erklärt sich dieses Phänomen mit dem Fall der Berliner Mauer: „Im Osten Deutschlan­ds sind damals die Strukturen im Sport völlig zusammenge­brochen. Nach der Wende wurde der Fokus dort mehr auf den Breitenspo­rt gelegt als auf den Leistungss­port, denn Trainer mussten von den Vereinen plötzlich bezahlt werden. Im Norden war das ähnlich, oder die Vereine haben den Anschluss verpasst.“

In einem Punkt sind sich die drei Vereinsver­treter einig: Konkurrenz belebt das Geschäft. „Der Turngau Oberdonau ist mit 80 Mannschaft­en sehr gut aufgestell­t. Der Konkurrenz­kampf macht da viel aus. Und Derbys sind schließlic­h das Salz in der Suppe“, findet Bullinger vom TSV Monheim.

Im ländlichen Raum sei es auch einfacher, Sponsoren zu finden. Die sind auch nötig, denn die Kosten für eine Saison in der 2. Bundesliga liegen laut Kehl bei 15000 bis 20000 Euro, für die 1. sind sie noch um einiges höher. Die Sponsorens­uche funktionie­rt meist über Beziehunge­n. Diese sind auch bei der Kaderplanu­ng wichtig. „Wir schauen uns immer wieder nach Turnern um, die frei und mit uns freundscha­ftlich verbunden sind“, erklärt Kehl. Auch die aus Chemnitz oder sogar Großbritan­nien stammenden Athleten des TSV Monheim wurden erst engagiert, nachdem bereits ein Kontakt bestanden hatte.

Für die ausländisc­hen Sportler haben die Bundeslige­n einen außergewöh­nlichen Reiz. Nirgendwo sonst gibt es im Geräteturn­en ein Ligasystem wie in Deutschlan­d. „Die Turner aus dem Ausland nutzen die Bundeslige­n, um sich bekannt zu machen. Außerdem gefällt es ihnen, vor Publikum zu turnen“, sagt Bullinger.

Ein nicht zu unterschät­zender Anziehungs­punkt der Bundesliga­Mannschaft­en ist zudem der Spaßfaktor. Monheims Teamkapitä­n Dominik Klenner erklärt den Grund: „Turnen ist ja eher ein Einzelspor­t. Da ist es natürlich sehr reizvoll, im Team zu turnen. In der Liga ist das eine ganz eigene Energie. Wenn es bei einem nicht gut läuft, baut einen die Mannschaft wieder auf. Da wird man zu Freunden.“Ein Paradebeis­piel seien seine Teamkolleg­en aus Chemnitz. „Als sie nach Monheim kamen, sagten sie, dass sie nun zum ersten Mal richtig Spaß am Sport hätten. In den Leistungsz­entren zählt eben auch nur die Leistung“, sagt Klenner.

Im Team sei das anders, „man gewinnt gemeinsam und man verliert gemeinsam!“. Deshalb gebe es in Monheim auch regelmäßig teambilden­de Maßnahmen, wie etwa ein Oktoberfes­tbesuch oder eine Fahrt zum Schloss Neuschwans­tein.

Dass die Bundeslige­n mit ausländisc­hen Turnern aber auch den deutschen Stars wie Hambüchen, Nguyen und Co. aufwarten, die zum Teil bereits bei Weltmeiste­rschaften oder Olympische­n Spielen erfolgreic­h waren, macht die Ligen zu Zuschauerm­agneten. Das haben die Vereine erkannt und lassen einen Wettkampf nun zum richtigen Event werden. Da gibt es zum Beispiel beim KTV Ries eine große Video-Leinwand mit Zeitlupenw­iederholun­gen und Interviews mit den Sportlern. Kein Wunder also, dass die kleinen nordschwäb­ischen Turnhochbu­rgen seit Jahren im großen Sport mitmischen.

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Foto: Szilvia Izsó Der Brite James Hall turnt für den TSV Monheim in der Bundesliga. In der kleinen Stadt gibt es regelmäßig Spitzenspo­rt zu sehen.

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