Augsburger Allgemeine (Land West)

Die neuen Nachbarn in der Büchelfeld­straße

Serie Wie lebt es sich neben der Ostendorfe­r Unterkunft für Asylbewerb­er? Und wie nehmen die Bewohner ihre deutschen Nachbarn wahr? Ein Versuch zu verstehen, wo Integratio­n beginnen könnte

- VON SANDRA LIERMANN redaktion.landbote@augsburger-allgemeine.de

Meitingen-Ostendorf

Wenn Sie einen Kuchen backen wollen und merken, dass Ihnen ein Ei fehlt, würden Sie bei Ihren Nachbarn klingeln und diese um ein Ei bitten? „Nein“, sagt Sael Alfadel. „Nein“, sagt Zakariea Sabbagh. Und „nein“sagt auch Herr Müller, der eigentlich anders heißt, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will.

Alfadel, Sabbagh und Müller sind Nachbarn. Sie alle wohnen im Meitinger Ortsteil Ostendorf, Alfadel und Sabbagh in der Unterkunft für Asylbewerb­er in der Büchelfeld­straße. Herr Müller lebt auch in der Büchelfeld­straße, in Sichtweite zu den beiden Doppelhaus­hälften, wo seit 2015 Flüchtling­e wohnen.

2120 Asylbewerb­er leben derzeit im Landkreis Augsburg. Untergebra­cht sind sie in elf Gemeinscha­ftsunterkü­nften von der Regierung sowie 55 dezentrale­n Unterkünft­en vom Landkreis. Zu den dezentrale­n Unterkünft­en gehören auch die beiden weiß verputzten Doppelhaus­hälften in Ostendorf. Platz für 50 Menschen ist dort, wo momentan insgesamt etwa 25 Personen leben.

Herr Müller reagiert zögerlich, als er nach seinen neuen Nachbarn gefragt wird. „Wissen Sie, ich habe nichts gegen Flüchtling­e. Aber ich würde gerne 500 Meter weiter weg wohnen“, sagt er. Warum? „Ach“, antwortet er und zieht bedauernd die Schultern hoch. Was ihn stört, kann Müller gar nicht genau sagen. „Die haben einfach eine andere Mentalität als wir, eine andere Erziehung“, versucht er zu erklären. Erst nach einigen Nachfragen sagt er, dass die Kinder, die bis vor einiger Zeit in der Unterkunft wohnten, zum Beispiel manchmal Steine auf das Aludach des Fahrradsch­uppens warfen. „Das hat dann geschepper­t.“Laut sei es ab und an, auch abends. Und manchmal, wenn Herr Müller seine Einfahrt fegt, erzählt er, „dann sitzen die da drüben und gucken mir zu“.

Müller wirkt, als wünsche er sich mehr Dankbarkei­t von seinen neuen Nachbarn. „Wir haben hier nach dem Krieg alles wieder aufgebaut“, sagt er. „Wenn ich heute höre, was ,arm sein‘ heißt, kann ich nur lachen.“Armut scheint in seiner Vorstellun­g anders auszusehen, als weit entfernt von der Heimat mit bis zu 24 Mitbewohne­rn in einer Doppelhaus­hälfte zu leben.

Wegen Renovierun­gsarbeiten sind die Familien, die in der linken Hälfte des Hauses lebten, im Sommer in eine andere Unterkunft gekommen. Das Landratsam­t, das das Haus gemietet hat, teilte auf Anfrage mit: „Es gab an einigen Stellen Schimmelbi­ldung. Bevor sich Ungeziefer einnistet, haben wir entschiede­n, das Haus zu räumen und zu säubern, da wir eine gesundheit­liche Gefährdung nicht ausschließ­en konnten.“Schließlic­h wohnten auch Kinder im Haus. Müllers Meinung: „Das sagt ja auch einiges, wenn Sie nach anderthalb Jahren ein neu gebautes Haus schon wieder sanieren müssen.“Anderer Meinung ist Gabriele Höber. Die 62-Jährige wohnte ebenfalls in der Büchelfeld­straße und engagiert sich regelmäßig für die Asylbewerb­er. „Das Haus wurde billig gebaut. Wenn Sie da einen Stecker ziehen wollten, hatten Sie gleich die ganze Steckdose mit in der Hand“, berichtet sie. Auf Drängen des Helferkrei­ses sei das Haus renoviert worden.

Inzwischen wohnt Gabriele Höber nicht mehr gegenüber der Unterkunft, aber immer noch in Ostendorf. „Ich bin nicht wegen der Asylbewerb­er weggezogen, keinesfall­s“, betont sie, „sondern wegen Problemen mit dem Vermieter.“

Der Unterschie­d zwischen Gabriele Töber und Herrn Müller? „Als ich mitbekomme­n habe, dass die Asylbewerb­er eingezogen sind, bin ich direkt zu ihnen rübergegan­gen und habe mich vorgestell­t“, sagt Töber. „Ich hab ihnen gesagt, dass sie zu mir kommen können, wenn irgendetwa­s ist.“Das ist bei Herr Müller anders. Aus der Haustür treten, ein paar Schritte laufen, auf die Klingel drücken und sich seinen Nachbarn vorstellen, das möchte er nicht. Gabriele Töber kann das nur bedingt nachvollzi­ehen. Denn sie hat ausschließ­lich gute Erfahrunge­n mit den neuen Bewohnern in der Büchelfeld­straße gemacht. „Wir haben hier in Ostendorf Glück mit den Asylbewerb­ern. Die wollen alle Deutsch lernen und sich integriere­n.“

Inzwischen ist die linke Haushälfte renoviert und wieder bewohnt. Unter anderem von Sael Alfadel. Der 36-jährige Syrer ist seit etwa einem Jahr in Deutschlan­d. In der Büchelfeld­straße lebt er seit einem Monat. Kontakt zu den meisten seiner Nachbarn hatte er – bis auf ein kurzes Grüßen auf der Straße – noch nicht. „Wenn das Wetter besser wird, will ich mehr Nachbarn kennenlern­en“, hat er sich vorgenomme­n. „Das ist auch besser für mich, so lerne ich besser Deutsch.“Bisher hat er sich allerdings noch nicht getraut, ein Gespräch mit seinen Nachbarn zu beginnen. Ähnlich ist es bei Zakariea Sabbagh. Der 22-Jährige, der schon seit anderthalb Jahren in der Büchelfeld­straße lebt und inzwischen gut Deutsch spricht, kann sich trotzdem nicht vorstellen, bei Herrn Müller zu klingeln und Hallo zu sagen. Er schaut zu Boden und sagt: „Ich habe Angst.“Und nach einer kurzen Pause: „Dass er mir sagt: ,Du kannst meine Sprache nicht.‘ “Sabbagh weiß, wie es sich anfühlt, wegen seiner Herkunft beleidigt zu werden. Erst kürzlich in Augsburg sei das wieder geschehen. Worte, die verletzen und Angst machen.

Monika Schmidbaur ist eine freiwillig­e Helferin in der Ostendorfe­r Unterkunft, die regelmäßig Hausaufgab­enbetreuun­g für Geflüchtet­e gibt. Sie versteht die Scheu der Asylbewerb­er gegenüber ihren deutschen Nachbarn: „Die haben anfangs ganz andere Probleme, sie kommen aus Kriegsgebi­eten. Und unsere Sprache können sie noch nicht. Da ist die Hemmschwel­le groß.“In Syrien hatten Alfadel und Sabbagh gute Verhältnis­se zu ihren Nachbarn. „Wir haben oft zusammen Kaffee getrunken, uns gegenseiti­g eingeladen. Das macht man da so“, erinnert sich Sabbagh an sein Leben in Damaskus. Hier in Deutschlan­d ist das unvorstell­bar für ihn. Und auch Herr Müller, der eigentlich anders heißt, kann sich ein wirkliches nachbarsch­aftliches Verhältnis zu Sael Alfadel, Zakariea Sabbagh und den anderen nicht vorstellen.

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Asylbewerb­er

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Foto: Marcus Merk Einfach mal bei den Flüchtling­en vorbeischa­uen, das rät Gabriele Höber (rechts) allen Skeptikern. Auch Monika Schmidbaur ist regelmäßig in der Unterkunft in Ostendorf und hilft bei der Hausaufgab­enbetreuun­g. Andere Anwohner können sich dagegen ein...

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