Augsburger Allgemeine (Land West)
Die neuen Nachbarn in der Büchelfeldstraße
Serie Wie lebt es sich neben der Ostendorfer Unterkunft für Asylbewerber? Und wie nehmen die Bewohner ihre deutschen Nachbarn wahr? Ein Versuch zu verstehen, wo Integration beginnen könnte
Meitingen-Ostendorf
Wenn Sie einen Kuchen backen wollen und merken, dass Ihnen ein Ei fehlt, würden Sie bei Ihren Nachbarn klingeln und diese um ein Ei bitten? „Nein“, sagt Sael Alfadel. „Nein“, sagt Zakariea Sabbagh. Und „nein“sagt auch Herr Müller, der eigentlich anders heißt, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will.
Alfadel, Sabbagh und Müller sind Nachbarn. Sie alle wohnen im Meitinger Ortsteil Ostendorf, Alfadel und Sabbagh in der Unterkunft für Asylbewerber in der Büchelfeldstraße. Herr Müller lebt auch in der Büchelfeldstraße, in Sichtweite zu den beiden Doppelhaushälften, wo seit 2015 Flüchtlinge wohnen.
2120 Asylbewerber leben derzeit im Landkreis Augsburg. Untergebracht sind sie in elf Gemeinschaftsunterkünften von der Regierung sowie 55 dezentralen Unterkünften vom Landkreis. Zu den dezentralen Unterkünften gehören auch die beiden weiß verputzten Doppelhaushälften in Ostendorf. Platz für 50 Menschen ist dort, wo momentan insgesamt etwa 25 Personen leben.
Herr Müller reagiert zögerlich, als er nach seinen neuen Nachbarn gefragt wird. „Wissen Sie, ich habe nichts gegen Flüchtlinge. Aber ich würde gerne 500 Meter weiter weg wohnen“, sagt er. Warum? „Ach“, antwortet er und zieht bedauernd die Schultern hoch. Was ihn stört, kann Müller gar nicht genau sagen. „Die haben einfach eine andere Mentalität als wir, eine andere Erziehung“, versucht er zu erklären. Erst nach einigen Nachfragen sagt er, dass die Kinder, die bis vor einiger Zeit in der Unterkunft wohnten, zum Beispiel manchmal Steine auf das Aludach des Fahrradschuppens warfen. „Das hat dann gescheppert.“Laut sei es ab und an, auch abends. Und manchmal, wenn Herr Müller seine Einfahrt fegt, erzählt er, „dann sitzen die da drüben und gucken mir zu“.
Müller wirkt, als wünsche er sich mehr Dankbarkeit von seinen neuen Nachbarn. „Wir haben hier nach dem Krieg alles wieder aufgebaut“, sagt er. „Wenn ich heute höre, was ,arm sein‘ heißt, kann ich nur lachen.“Armut scheint in seiner Vorstellung anders auszusehen, als weit entfernt von der Heimat mit bis zu 24 Mitbewohnern in einer Doppelhaushälfte zu leben.
Wegen Renovierungsarbeiten sind die Familien, die in der linken Hälfte des Hauses lebten, im Sommer in eine andere Unterkunft gekommen. Das Landratsamt, das das Haus gemietet hat, teilte auf Anfrage mit: „Es gab an einigen Stellen Schimmelbildung. Bevor sich Ungeziefer einnistet, haben wir entschieden, das Haus zu räumen und zu säubern, da wir eine gesundheitliche Gefährdung nicht ausschließen konnten.“Schließlich wohnten auch Kinder im Haus. Müllers Meinung: „Das sagt ja auch einiges, wenn Sie nach anderthalb Jahren ein neu gebautes Haus schon wieder sanieren müssen.“Anderer Meinung ist Gabriele Höber. Die 62-Jährige wohnte ebenfalls in der Büchelfeldstraße und engagiert sich regelmäßig für die Asylbewerber. „Das Haus wurde billig gebaut. Wenn Sie da einen Stecker ziehen wollten, hatten Sie gleich die ganze Steckdose mit in der Hand“, berichtet sie. Auf Drängen des Helferkreises sei das Haus renoviert worden.
Inzwischen wohnt Gabriele Höber nicht mehr gegenüber der Unterkunft, aber immer noch in Ostendorf. „Ich bin nicht wegen der Asylbewerber weggezogen, keinesfalls“, betont sie, „sondern wegen Problemen mit dem Vermieter.“
Der Unterschied zwischen Gabriele Töber und Herrn Müller? „Als ich mitbekommen habe, dass die Asylbewerber eingezogen sind, bin ich direkt zu ihnen rübergegangen und habe mich vorgestellt“, sagt Töber. „Ich hab ihnen gesagt, dass sie zu mir kommen können, wenn irgendetwas ist.“Das ist bei Herr Müller anders. Aus der Haustür treten, ein paar Schritte laufen, auf die Klingel drücken und sich seinen Nachbarn vorstellen, das möchte er nicht. Gabriele Töber kann das nur bedingt nachvollziehen. Denn sie hat ausschließlich gute Erfahrungen mit den neuen Bewohnern in der Büchelfeldstraße gemacht. „Wir haben hier in Ostendorf Glück mit den Asylbewerbern. Die wollen alle Deutsch lernen und sich integrieren.“
Inzwischen ist die linke Haushälfte renoviert und wieder bewohnt. Unter anderem von Sael Alfadel. Der 36-jährige Syrer ist seit etwa einem Jahr in Deutschland. In der Büchelfeldstraße lebt er seit einem Monat. Kontakt zu den meisten seiner Nachbarn hatte er – bis auf ein kurzes Grüßen auf der Straße – noch nicht. „Wenn das Wetter besser wird, will ich mehr Nachbarn kennenlernen“, hat er sich vorgenommen. „Das ist auch besser für mich, so lerne ich besser Deutsch.“Bisher hat er sich allerdings noch nicht getraut, ein Gespräch mit seinen Nachbarn zu beginnen. Ähnlich ist es bei Zakariea Sabbagh. Der 22-Jährige, der schon seit anderthalb Jahren in der Büchelfeldstraße lebt und inzwischen gut Deutsch spricht, kann sich trotzdem nicht vorstellen, bei Herrn Müller zu klingeln und Hallo zu sagen. Er schaut zu Boden und sagt: „Ich habe Angst.“Und nach einer kurzen Pause: „Dass er mir sagt: ,Du kannst meine Sprache nicht.‘ “Sabbagh weiß, wie es sich anfühlt, wegen seiner Herkunft beleidigt zu werden. Erst kürzlich in Augsburg sei das wieder geschehen. Worte, die verletzen und Angst machen.
Monika Schmidbaur ist eine freiwillige Helferin in der Ostendorfer Unterkunft, die regelmäßig Hausaufgabenbetreuung für Geflüchtete gibt. Sie versteht die Scheu der Asylbewerber gegenüber ihren deutschen Nachbarn: „Die haben anfangs ganz andere Probleme, sie kommen aus Kriegsgebieten. Und unsere Sprache können sie noch nicht. Da ist die Hemmschwelle groß.“In Syrien hatten Alfadel und Sabbagh gute Verhältnisse zu ihren Nachbarn. „Wir haben oft zusammen Kaffee getrunken, uns gegenseitig eingeladen. Das macht man da so“, erinnert sich Sabbagh an sein Leben in Damaskus. Hier in Deutschland ist das unvorstellbar für ihn. Und auch Herr Müller, der eigentlich anders heißt, kann sich ein wirkliches nachbarschaftliches Verhältnis zu Sael Alfadel, Zakariea Sabbagh und den anderen nicht vorstellen.
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