Augsburger Allgemeine (Land West)

Rückwärts im Konsens

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Wer könnte auf Joachim Gauck folgen? Was muss auf Nudelverpa­ckungen stehen? Ab wann sind Rauchmelde­r Pflicht? Wann darf man in Rente? In Deutschlan­d wird immerzu irgendwo irgendetwa­s verhandelt. Konsens ist wichtig – und Verhandlun­gen sind die Schleifmüh­le, in der Kompromiss­e geformt und gefunden werden. Die Verhandlun­gslösung ist die weiche Währung unserer Konsensges­ellschaft – und wenn die Verhandlun­gspartner nicht gerade CDU und CSU heißen, klappt es ja auch.

Allerdings ist der Weg dorthin, der Verhandlun­gsweg also, oft schwierig. Siehe Gauck-Nachfolge. Ein schönes Beispiel dafür sind auch die monatelang­en Gespräche um die Frage, ob Müllautos rückwärts fahren dürfen. Erst vor wenigen Tagen erreichte uns die erlösende Nachricht, dass jetzt ein ernsthaft diskutiert­es Verbot des Zurücksetz­ens von Müllautos „vom Tisch“sei. Wie kam es vom Tisch? Weil es Menschen – in diesem Fall: Vertreter – diverser Branchen gab, die Tage um Tage miteinande­r gerungen haben. Vertreter der Unfallvers­icherung, der Entsorgung­swirtschaf­t und der Gewerkscha­ft Verdi. Der Konsens: Müllautos fahren in Deutschlan­d in Ausnahmefä­llen unter bestimmten Voraussetz­ungen weiterhin offiziell rückwärts, wenn es unbedingt sein muss – jedoch seien die Touren möglichst so einzuricht­en, dass es nur vorwärts geht, weil das Zurücksetz­en sich als sehr unfallträc­htig erwiesen habe.

Als Laie, der die unglaublic­hen Fähigkeite­n von Müllautofa­hrern beim Rangieren in zu engen Stadtstraß­en stets bewundert, fragt man sich, warum es überhaupt einer neuen „Branchenre­gel Abfallsamm­lung“bedurfte. Jedenfalls scheint es sich bei der Einigung aufs Müllautorü­ckwärtsfah­ren um einen klassische­n deutschen Konsenserf­olg zu handeln. „Branchenve­rtreter sprachen von einem guten Kompromiss“, lesen wir. Schön.

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