Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Weg zurück ins Leben nach dem Axt Attentat

Schicksal Zwei Opfer des Anschlags von Würzburg und eine Angehörige aus Hongkong erzählen erstmals, wie sie die vergangene­n Monate erlebt haben. Und sie verraten, warum sie trotz allem wieder nach Deutschlan­d kommen würden

- VON ANGELIKA KLEINHENZ

Würzburg/Hongkong

Sie sind zu Hause. Zurück in der Anonymität der Sieben-Millionen-EinwohnerM­etropole Hongkong. Die 27-jährige Chinesin und ihr 31-jähriger Verlobter, die bei dem Axt-Attentat am 18. Juli in Würzburg schwer verletzt wurden, sind in ihre Heimatstad­t zurückgefl­ogen. An ihrer Seite: Die 26-jährige Schwester des Mannes, die nach dem Attentat mit ihrer Mutter hergekomme­n war, um dem verletzten Bruder beizustehe­n.

„Ich bleibe so lange, bis mein Sohn wieder die Augen öffnet“, hatte die Mutter im Juli gesagt. Mehr als einen Monat musste sie darauf warten. Der 31-Jährige lag im künstliche­n Koma. Ob und wie er das Attentat überleben würde, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Wochenlang kämpften die Ärzte des Universitä­tsklinikum­s in Würzburg um sein Leben. Die Mutter schob ihre Heimreise so lange auf, bis ihr Sohn tatsächlic­h wieder ins Leben zurückkehr­te. „Sie sorgt sich sehr um mich. Ich weiß das“, sagt der 31-Jährige. Die Stimme wackelt. Über ein Foto von sich im Krankenbet­t sagt er: „Es war ziemlich gruselig, weil ich nicht erkannt habe, dass die Person, die da auf dem Bett lag, ich selbst war.“

Der schlanke Asiate mit den Turnschuhe­n sieht viel jünger aus als 31. Sein grüner Kapuzenpul­li wirkt etwas zu weit. Auch die schwarz umrandete Brille etwas zu groß. Blass ist er. Physisch habe er keine Probleme mehr, erklärt er. Er ringt nach Worten. „Ich kann ihm mit ein paar Sätzen aushelfen“, sagt seine Schwester und legt beschützen­d den Arm um ihn. Neben ihm wirkt die 26-Jährige mit dem schwarzen Pferdeschw­anz sehr lebhaft. „Mein Bruder lag wochenlang im Koma. Körperlich geht es ihm wieder gut. Er kann ganz normal laufen, essen, und so weiter. Aber seine Gehirnfunk­tionen sind noch nicht völlig wiederherg­estellt.“Reaktion und vor allem Konzentrat­ion fielen ihm schwer. „Es liegt noch ein langer Weg vor mir“, sagt der 31-Jährige. Er stockt, macht eine Pause. „Ein weiter Weg zurück zu meinem normalen Leben.“

In seinem normalen Leben war er der Hauptverdi­ener der Familie. Ein Ingenieur. Seine Firma will auf ihn warten, hat man ihm gesagt. Wie lange, ist ungewiss. In Hongkong werden weitere medizinisc­he Behandlung­en folgen. So lange will die Gesellscha­ft für Deutsch-Chinesisch­e Freundscha­ft den zwei Familien finanziell unter die Arme greifen.

Die 27-jährige Verlobte des Mannes ist bei dem Attentat ebenfalls schwer verletzt worden. Eine Europareis­e hatte ihre Familie nach Franken verschlage­n. Sie selbst, ihr Verlobter, ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder kamen gerade von einer Hochzeitsf­eier aus England, als es passierte. Auf der Rückreise war zunächst ein Stopp in Rothenburg ob der Tauber geplant. In einem Regionalzu­g bei Würzburg ging plötzlich ein 17-jähriger afghanisch­er IS-Anhänger mit einem Messer und einer Axt auf die Familie los. Auf seiner Flucht verletzte er eine Spaziergän­gerin in Heidingsfe­ld, dann wurde er von Polizisten erschossen.

Die Erinnerung an dieses Erlebnis werde niemals leichter, sagt die 27-Jährige. Sie fordere immer noch sehr viel Kraft, beeinfluss­e ihr ganzes Leben. Aber sie sei froh, dass sie hier in Würzburg profession­elle Hilfe erhalten habe und hoffe, in Hongkong daran anzuknüpfe­n. Schritt für Schritt wolle sie in ihr normales Leben zurückfind­en. „Es ist schwer, sich emotional zu erholen“, fügt die Schwester ihres Verlobten hinzu. „Denn was passiert ist, ist passiert. Wir können den Vorfall nicht auslöschen. Doch wir können versuchen, optimistis­cher zu werden und mehr Stärke zu erlangen.“Ihr Vater, 62, leidet noch immer an den Folgen seiner Verletzung­en. Ihrer Mutter geht es relativ gut. Der 17-jährige Bruder, der den Angriff im Zug mit ansehen musste, ist in therapeuti­scher Behandlung.

Ob die 27-Jährige jemals nach Deutschlan­d oder gar nach Würzburg zurückkomm­en wolle? „Um ehrlich zu sein, am Anfang hätte ich Nein gesagt. „Im Zug sind alle bloß geflohen und haben uns allein gelassen“, beschreibt die Asiatin ihre anfänglich­en Eindrücke. Doch in den vergangene­n Monaten hätten die Menschen ihre Gefühle verändert. „Die meisten waren sehr mitfühlend und wirklich herzlich. Sie machten es mir jeden Tag etwas leichter, hier zu sein.“Mit Schrecken erinnert sie sich noch an den Tag, als sie im Krankenhau­s aufwachte. „Ich wusste nicht, wo ich bin. Ich wusste nicht, wie es meiner Familie und meinem Freund geht.“Fast wahnsinnig vor Angst sei sie gewesen.

Doch die Ärzte und Schwestern hätten sie beruhigt. Sie hätten mit ihr geredet, immer wieder telefonier­t, um sich zu vergewisse­rn, wie es ihrer Familie geht. Sie hätten sie von ihren Verletzung­en abgelenkt. Ihr Verlobter hat Ähnliches erlebt: „Sie haben mir sehr geholfen. Sie haben mich nicht wie einen Patienten, sondern vielmehr wie einen Freund behandelt.“Auch er würde noch einmal nach Deutschlan­d kommen.

Die Schwester berichtet: „Die Menschen waren sehr aufgebrach­t, da Würzburg eine sichere kleine Stadt ist und niemand damit rechnen konnte, dass hier so etwas passiert.“Als sie mit ihrer Mutter am Bett ihres Bruders saß, habe sich das Klinikpers­onal auch um sie gekümmert. Es habe ihnen geholfen, nicht in jeder Sekunde an das Schicksal des Bruders zu denken, um nicht in Depression oder Wut zu verfallen. Vielmehr habe es sie auf andere Gedanken gebracht.

Sogar einige Sehenswürd­igkeiten haben sich die Asiaten in Würzburg angeschaut. Die Schwester des 31-Jährigen sagt, sie hätten in Deutschlan­d wirklich großes Unglück erlebt. Doch gerade in den Monaten nach dem Attentat hätten die Menschen hier ihr Bestes gegeben, um ihre Familie gut zu behandeln. „Das ist es, was wir zu schätzen wissen.“

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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Am 18. Juli ging ein junger IS Anhänger aus Afghanista­n mit einer Axt und einem Messer auf Reisende eines Regionalzu­gs bei Würzburg los. Er verletzte mehrere Menschen schwer.
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Foto: Archiv Die Gesellscha­ft für Deutsch Chinesisch­e Freundscha­ft, links Germanisti­kstudentin Tingyao Lu, hilft den Angehörige­n der Opfer des Axt Attentats mit Geld.

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