Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Drama hinter der Bühne
Spannungen Die Münchner Kammerspiele haben einen grandiosen Ruf. Doch unter dem neuen Intendanten ist vieles anders geworden. Inzwischen haben exzellente Schauspielerinnen gekündigt. Was ist da los?
Ihre rote Mähne kennt man aus dem Fernsehen. An den Münchner Kammerspielen gehört Brigitte Hobmeier (die gestern in dem TV-Drama „Ein Teil von uns“im Fernsehen zu sehen war) zu den Stars des Ensembles. Sie ist eine Vollblutschauspielerin für die großen Rollen, die sie mit so einer Kraft, so einer Hingabe, aber auch so einem Können spielt, dass sie die Blicke magisch anzieht. Sie zählt zu den Schauspielern, die normalerweise von ihren Intendanten gehätschelt werden. Seit 2005 begeistert Hobmeier an den Kammerspielen ihr Publikum. Jetzt hat sie gekündigt. Der Grund: „Die können mit mir nichts anfangen“, wie sie der Süddeutschen Zeitung sagte.
Mit „die“ist die neue Leitung der Münchner Kammerspiele gemeint: vor allem Intendant Matthias Lilienthal, der im September 2015 die Nachfolge von Johan Simons angetreten hat. Um zu verstehen, was da gerade an einem der besten deutschen Theater los ist, ist es wichtig, kurz zurückblicken.
Johan Simons ist es unter seiner fünfjährigen Ägide gelungen, das starke Ensemble der Kammerspiele international zu erweitern, ohne dass es dadurch zu künstlerischen Einbußen gekommen ist. Fünf Jahre lang standen die Kammerspiele für progressives zeitgenössisches Theater, während es nebenan im Residenztheater eher klassisch gepflegt zuging. Es wurden Stücke gespielt, es wurden Filme und Romane adap- es gab Performances und Liederabende. Wenn Simons weitergemacht hätte, wären alle (Publikum, Schauspieler, Kritiker und der Münchner Kulturreferent) glücklich gewesen, denn ein besseres Theater war im deutschsprachigen Raum fast nicht zu finden. Aber Simons wollte seinen Vertrag nicht verlängern.
Als Ersatz hat der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers dann Matthias Lilienthal präsentiert. Dessen Vita als Theatermacher begann so richtig unter Frank Castorf an der Volksbühne in Berlin. Danach leitete Lilienthal von 2003 bis 2012 das Berliner Theaterkombinat HAU (Hebbel am Ufer). In drei Spielstätten, HAU 1 bis HAU 3, waren vor allem Gastspielproduktionen, Festivals und Koproduktionen zu sehen, denn das Theater hatte kein eigenes Ensemble. Lilienthal setzte auf experimentelle Theaterformen, auf Performances, auf Dokumentartheater. Das, was auf Stadttheaterbühnen sonst zu sehen ist, bezeichnete er auch gerne als „Kunstkacke“, die er nicht möge.
Zu seinem Berliner Abschied wählte die Zeitschrift Theater heute Lilienthals HAU zum Theater des Jahres. Als München dann Lilienthal als Simons-Nachfolger präsentierte, waren alle erst einmal voll des Lobs. Da kommt einer der progressivsten deutschen Theatermacher an eine der renommiertesten Bühnen des Landes, freute man sich.
Nun, in Lilienthals zweiter Spielzeit, herrscht Katerstimmung an den Münchner Kammerspielen. Hobmeier haben auch noch Katja Bürkle und Anna Drexler zum Ende der Spielzeit gekündigt. Bürkle gehört wie Hobmeier zu den Stützen des Ensembles. Und Anna Drexler war eine der Theaterentdeckungen der letzten Jahre, eigentlich ein Versprechen auf die Zukunft des Ensembles. Drei Topschauspielerinnen, die gehen. Was ist da los?
Lilienthal hat mit seinem Team die Münchner Kammerspiele umgekrempelt. Die Bühnen des Theaters ne Performance über den Münchner Amoklauf, den die Regisseurin gemeinsam mit den Schauspielern erarbeitete. Dienstagabend: „Science Slam“. Mittwoch: Gerhard Polt mit „Ekzem Homo“und die Romanadaption „Nichts von Euch auf Erden“. Ebenfalls Mittwoch: „Tam Tam Tanzlokal“. Tanzen, trinken, knutschen, schüchtern in der Ecke stehen in der Bar der Kammerspiele. Donnerstag: „Jahrhundertbriefe“. Lesung des Briefwechsels zwischen Hannah Arendt und Günther Anders. Und ebenfalls am Donnerstag: Die Performance „The Re’search“von Felix Rothenhäusler. Freitag: „Decession“. Unter diesem Titel öffnen sich die Kammerspiele einen Abend und eine Nacht für die aufregendsten Produzentinnen elektronischer Musik in Deutschland.
Es ist augenfällig, dass bei diesem Programm-Zuschnitt das Schauspieler-Ensemble keine so große Bedeutung hat. Sie treten noch auf, sie haben ihre Vorstellungen, aber daneben gibt es viel anderes. Wenn man sich ein bisschen umhört, lautet der Schauspieler-Vorwurf an den Intendanten: Man werde am Haus nicht mehr richtig geschätzt, vor allem nicht für das, was man am besten kann: Theaterrollen zu erarbeiten. Stattdessen reden die Schauspieler in „Point of no return“von sich. Dann erzählt Wiebke Puls, dass sie mit ihren Zwillingen während des Amoklaufs im Olympiazentrum in einer Kindervorstellung in den Kammerspielen saß.
Was ebenfalls augenfällig ist: Das Publikum verändert sich. AboNeben Kündigungen, niedrigere Auslastung. Es kommen jetzt jüngere Zuschauer und mehr Studenten.
Und was sagt der Intendant Matthias Lilienthal zu all dem? Dass so etwas vorkomme, wie in einem Interview der Abendzeitung zu lesen ist. Er habe das Ensemble bei seinem Antritt nicht komplett ausgetauscht, was anderswo durchaus üblich ist, sondern zu einem großen Teil behalten. „Jetzt gehen 15 Prozent des Ensembles, andere tolle Schauspieler wie Annette Paulmann und Wiebke Puls bleiben. Ich halte das nicht für außergewöhnlich.“Und mit den Produktionen, die die Münchner Kammerspiele bislang gezeigt haben, sei er zufrieden.
Lilienthals Befürworter sagen, dass alles halb so wild sei. Der Intendant richte die Kammerspiele neu aus und gebe ihnen sichtlich ein anderes Gesicht. Eine Stadt wie München, in der es noch einige weitere Bühnen gebe, vertrage das. Dass Schauspieler kommen und gehen, sei an einem Theater das Natürlichste der Welt. Die Aufregung, die die Kündigung von drei Schauspielern hervorrufe, sei künstlich.
Lilienthals Kritiker dagegen sehen den Niedergang der Kammerspiele. Seit Jahrzehnten war das Ensemble das Herzstück des Hauses. Dieser Marken- und Qualitätskern werde nun geschleift. Gleichzeitig sinke die Relevanz und die Wahrnehmung der Bühne dramatisch. Aus dem besten bayerischen Schauspielhaus sei eine Event-Location geworden, in der auch noch ein bisschen Theater gespielt werde.