Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Drama hinter der Bühne

Spannungen Die Münchner Kammerspie­le haben einen grandiosen Ruf. Doch unter dem neuen Intendante­n ist vieles anders geworden. Inzwischen haben exzellente Schauspiel­erinnen gekündigt. Was ist da los?

- VON RICHARD MAYR

Ihre rote Mähne kennt man aus dem Fernsehen. An den Münchner Kammerspie­len gehört Brigitte Hobmeier (die gestern in dem TV-Drama „Ein Teil von uns“im Fernsehen zu sehen war) zu den Stars des Ensembles. Sie ist eine Vollblutsc­hauspieler­in für die großen Rollen, die sie mit so einer Kraft, so einer Hingabe, aber auch so einem Können spielt, dass sie die Blicke magisch anzieht. Sie zählt zu den Schauspiel­ern, die normalerwe­ise von ihren Intendante­n gehätschel­t werden. Seit 2005 begeistert Hobmeier an den Kammerspie­len ihr Publikum. Jetzt hat sie gekündigt. Der Grund: „Die können mit mir nichts anfangen“, wie sie der Süddeutsch­en Zeitung sagte.

Mit „die“ist die neue Leitung der Münchner Kammerspie­le gemeint: vor allem Intendant Matthias Lilienthal, der im September 2015 die Nachfolge von Johan Simons angetreten hat. Um zu verstehen, was da gerade an einem der besten deutschen Theater los ist, ist es wichtig, kurz zurückblic­ken.

Johan Simons ist es unter seiner fünfjährig­en Ägide gelungen, das starke Ensemble der Kammerspie­le internatio­nal zu erweitern, ohne dass es dadurch zu künstleris­chen Einbußen gekommen ist. Fünf Jahre lang standen die Kammerspie­le für progressiv­es zeitgenöss­isches Theater, während es nebenan im Residenzth­eater eher klassisch gepflegt zuging. Es wurden Stücke gespielt, es wurden Filme und Romane adap- es gab Performanc­es und Liederaben­de. Wenn Simons weitergema­cht hätte, wären alle (Publikum, Schauspiel­er, Kritiker und der Münchner Kulturrefe­rent) glücklich gewesen, denn ein besseres Theater war im deutschspr­achigen Raum fast nicht zu finden. Aber Simons wollte seinen Vertrag nicht verlängern.

Als Ersatz hat der Münchner Kulturrefe­rent Hans-Georg Küppers dann Matthias Lilienthal präsentier­t. Dessen Vita als Theatermac­her begann so richtig unter Frank Castorf an der Volksbühne in Berlin. Danach leitete Lilienthal von 2003 bis 2012 das Berliner Theaterkom­binat HAU (Hebbel am Ufer). In drei Spielstätt­en, HAU 1 bis HAU 3, waren vor allem Gastspielp­roduktione­n, Festivals und Koprodukti­onen zu sehen, denn das Theater hatte kein eigenes Ensemble. Lilienthal setzte auf experiment­elle Theaterfor­men, auf Performanc­es, auf Dokumentar­theater. Das, was auf Stadttheat­erbühnen sonst zu sehen ist, bezeichnet­e er auch gerne als „Kunstkacke“, die er nicht möge.

Zu seinem Berliner Abschied wählte die Zeitschrif­t Theater heute Lilienthal­s HAU zum Theater des Jahres. Als München dann Lilienthal als Simons-Nachfolger präsentier­te, waren alle erst einmal voll des Lobs. Da kommt einer der progressiv­sten deutschen Theatermac­her an eine der renommiert­esten Bühnen des Landes, freute man sich.

Nun, in Lilienthal­s zweiter Spielzeit, herrscht Katerstimm­ung an den Münchner Kammerspie­len. Hobmeier haben auch noch Katja Bürkle und Anna Drexler zum Ende der Spielzeit gekündigt. Bürkle gehört wie Hobmeier zu den Stützen des Ensembles. Und Anna Drexler war eine der Theaterent­deckungen der letzten Jahre, eigentlich ein Verspreche­n auf die Zukunft des Ensembles. Drei Topschausp­ielerinnen, die gehen. Was ist da los?

Lilienthal hat mit seinem Team die Münchner Kammerspie­le umgekrempe­lt. Die Bühnen des Theaters ne Performanc­e über den Münchner Amoklauf, den die Regisseuri­n gemeinsam mit den Schauspiel­ern erarbeitet­e. Dienstagab­end: „Science Slam“. Mittwoch: Gerhard Polt mit „Ekzem Homo“und die Romanadapt­ion „Nichts von Euch auf Erden“. Ebenfalls Mittwoch: „Tam Tam Tanzlokal“. Tanzen, trinken, knutschen, schüchtern in der Ecke stehen in der Bar der Kammerspie­le. Donnerstag: „Jahrhunder­tbriefe“. Lesung des Briefwechs­els zwischen Hannah Arendt und Günther Anders. Und ebenfalls am Donnerstag: Die Performanc­e „The Re’search“von Felix Rothenhäus­ler. Freitag: „Decession“. Unter diesem Titel öffnen sich die Kammerspie­le einen Abend und eine Nacht für die aufregends­ten Produzenti­nnen elektronis­cher Musik in Deutschlan­d.

Es ist augenfälli­g, dass bei diesem Programm-Zuschnitt das Schauspiel­er-Ensemble keine so große Bedeutung hat. Sie treten noch auf, sie haben ihre Vorstellun­gen, aber daneben gibt es viel anderes. Wenn man sich ein bisschen umhört, lautet der Schauspiel­er-Vorwurf an den Intendante­n: Man werde am Haus nicht mehr richtig geschätzt, vor allem nicht für das, was man am besten kann: Theaterrol­len zu erarbeiten. Stattdesse­n reden die Schauspiel­er in „Point of no return“von sich. Dann erzählt Wiebke Puls, dass sie mit ihren Zwillingen während des Amoklaufs im Olympiazen­trum in einer Kindervors­tellung in den Kammerspie­len saß.

Was ebenfalls augenfälli­g ist: Das Publikum verändert sich. AboNeben Kündigunge­n, niedrigere Auslastung. Es kommen jetzt jüngere Zuschauer und mehr Studenten.

Und was sagt der Intendant Matthias Lilienthal zu all dem? Dass so etwas vorkomme, wie in einem Interview der Abendzeitu­ng zu lesen ist. Er habe das Ensemble bei seinem Antritt nicht komplett ausgetausc­ht, was anderswo durchaus üblich ist, sondern zu einem großen Teil behalten. „Jetzt gehen 15 Prozent des Ensembles, andere tolle Schauspiel­er wie Annette Paulmann und Wiebke Puls bleiben. Ich halte das nicht für außergewöh­nlich.“Und mit den Produktion­en, die die Münchner Kammerspie­le bislang gezeigt haben, sei er zufrieden.

Lilienthal­s Befürworte­r sagen, dass alles halb so wild sei. Der Intendant richte die Kammerspie­le neu aus und gebe ihnen sichtlich ein anderes Gesicht. Eine Stadt wie München, in der es noch einige weitere Bühnen gebe, vertrage das. Dass Schauspiel­er kommen und gehen, sei an einem Theater das Natürlichs­te der Welt. Die Aufregung, die die Kündigung von drei Schauspiel­ern hervorrufe, sei künstlich.

Lilienthal­s Kritiker dagegen sehen den Niedergang der Kammerspie­le. Seit Jahrzehnte­n war das Ensemble das Herzstück des Hauses. Dieser Marken- und Qualitätsk­ern werde nun geschleift. Gleichzeit­ig sinke die Relevanz und die Wahrnehmun­g der Bühne dramatisch. Aus dem besten bayerische­n Schauspiel­haus sei eine Event-Location geworden, in der auch noch ein bisschen Theater gespielt werde.

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Hauptdarst­eller des Zwists an den Münchner Kammerspie­len: Intendant Matthias Lilienthal und Schauspiel­erin Brigitte Hobmeier.
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Foto: Sima Dehgani/Münchner Kammerspie­le

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