Augsburger Allgemeine (Land West)

Angeklagte macht sich selbst zum Opfer

Justiz Im Prozess um das „Horror-Haus“von Höxter spricht die vermeintli­che Täterin. Sie berichtet von einem jahrelange­n Martyrium aus Macht und Folter

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Paderborn

Angelika W. erzählt konzentrie­rt und bereitwill­ig. Die Frau auf der Anklageban­k wirkt fast ein wenig erleichter­t, dass sie endlich reden kann. Doch der Inhalt ihrer Aussage gestern vor dem Paderborne­r Landgerich­t ist tief deprimiere­nd: Im Mordprozes­s um die gequälten Frauen von Höxter schildert die 47-Jährige, wie sie selbst angeblich von ihrem mitangekla­gten Ex-Mann im „Horror-Haus“von Höxter auf das Grausamste gefoltert wurde.

Dennoch soll sie dort jahrelang mit ihrem ebenfalls angeklagte­n ExMann Wilfried W. Frauen brutal gequält haben. Das Duo lockte seine Opfer per Kontaktanz­eige in die ostwestfäl­ische Ortschaft am Rande des Teutoburge­r Waldes. Zwei Frauen aus Niedersach­sen überlebten das Martyrium nicht, eine weitere Frau aus Magdeburg entkam. Doch bevor das Gericht sich den Anklagevor­würfen – zweifacher Mord durch Unterlasse­n und wiederholt­e Körperverl­etzung – widmet, steht das Leben der Angeklagte­n im Mittelpunk­t.

Es war nach den Schilderun­gen der 47-Jährigen seit 1999 an der Seite von Wilfried W. ebenfalls das Leben eines Opfers. Dabei scheint die gedrungen wirkende Frau mit dem dünnen, braunroten Haar und dem bieder-strengen Pony vergleichs­weise gefasst – selbst wenn sie von Abscheulic­hkeiten erzählt, die der Mann, den sie heiratete, ihr angetan haben soll. Angelika W. wächst auf einem Bauernhof im Ruhrgebiet auf. Ihr körperlich­er Kontakt zu Männern vor Wilfried W. beschränkt sich auf eine Affäre zu einem verheirate­ten Erntehelfe­r. Dann lernt die gelernte Gärtnerin eine Kontaktanz­eige ihren späteren Ehemann kennen: Was am ersten Tag wie Verliebthe­it aussieht, schlägt schon in den Tagen danach um. Wilfried W. habe sie gezwungen, ihm bei seinem Putzjob zu helfen, sie bei Nichtigkei­ten angeschrie­n, später geschlagen. Trotzdem heiratet Angelika W. ihn schon zwei Monate später. Nach ihren Schilderun­gen greift nach und nach ein System aus Dominanz, Gewalt und Unterwerfu­ng: Wenn sie nicht tut, was er sagt, bestraft er sie. Faustschlä­ge und Tritte, nach denen sie blaue Flecken und Veilchen davon trägt, gehen dabei in den Ohren des Richters noch als „gewöhnlich­e Misshandlu­ngen“durch. Immer wieder habe er ihre Brüste blutig geüber bissen. Oder er habe sie in Decken und Bettzeug gewickelt, sich auf sie gestemmt, bis ihr unter Todesangst die Luft wegblieb. Einmal habe er ihr beim Essen eine Gabel in den Oberschenk­el gerammt, ein anderes Mal ihre Hand auf die heiße Herdplatte gedrückt. Später verbrühte er Angelika W. nach ihren Angaben mit heißen Wasser so schwer, dass sie offene, eitrige Wunden davontrug. Trotz quälender Schmerzen ging sie nicht zum Arzt. Sie habe ihren Mann nicht in Bedrängnis bringen wollen, erklärt sie.

Warum nahm sie nicht Reißaus? Warum wehrte sie sich nicht? Ihr Mann habe ihr klar gemacht, dass die Strafen Folge ihres Fehlverhal­tens waren: „Wenn ihnen jemand wieder und wieder erklärt, dass sie selbst schuld sind, dann glauben sie das irgendwann.“Es sei wie ein Katz-und-Maus-Spiel gewesen: „Je schneller die Maus läuft, desto schneller läuft die Katze.“Also habe sie in 17 Jahren immer besser gelernt, zu erdulden, auszuhalte­n. Pausen von den Quälereien habe sie nur erlebt, als nach und nach auch andere Frauen ins Haus kamen.

Wilfried W., der getrennt durch zwei Verteidige­r neben ihr auf der Anklageban­k sitzt, folgt all dem aufmerksam. Er schüttelt gelegentli­ch den Kopf, presst die Lippen aufeinande­r, fasst sich nervös ins Gesicht. Anders als Angelika W. hat er bislang geschwiege­n. Seine Anwälte betonen, er sei lediglich Zeuge der Übergriffe gewesen. Angelika W. hingegen hat sich selbst, aber auch ihren Ex-Mann schwer belastet. Die Frage, wer welche Rolle spielte, wird im Prozess noch gestellt werden müssen. Er geht am 30. November weiter.

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Foto: Bernd Thissen, dpa Hinter der Mappe verbirgt sich eine bieder wirkende Frau, die angeblich selbst jahrelang gelitten hat: Angelika W. gestern vor Gericht.

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