Augsburger Allgemeine (Land West)

Spritverbr­auch: Hersteller tricksen immer mehr

Auto Der ADAC bestätigt die zunehmende­n Abweichung­en von den Angaben im Prospekt. Experte fordert Messungen auf der Straße

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg

Viele Autofahrer ahnen, dass der Spritverbr­auch ihres Autos auf der Straße viel höher liegt als vom Hersteller im Prospekt angegeben. Die neue Studie der Umweltorga­nisation ICCT alarmiert deshalb Experten. Denn viele vermeintli­ch sparsame Autos stellen sich immer stärker als Spritschlu­cker heraus und stoßen dementspre­chend viel des Treibhausg­ases CO2 aus. Lag die Abweichung zwischen Test- und Realwerten im Jahr 2001 im Schnitt noch bei rund neun Prozent, stieg sie inzwischen auf knapp 42 Prozent im Jahr 2015. Im Durchschni­tt aller Fahrzeuge ist der Verbrauch heute also 42 Prozent höher als angegeben. Wie kann dies sein?

Ingenieur Matthias Gall misst am ADAC-Testzentru­m in Landsberg am Lech die Emissionen von Fahrzeugen und kennt die Tricks der Autobauer. Auch die Spanne zwischen den offizielle­n Verbrauchs­angaben und den im ADAC EcoTest ermittelte­n Werten wird immer größer. „Die Hersteller optimieren am Prüfstand immer mehr“, sagt er. Dort kämen zum Beispiel widerstand­soptimiert­e Leichtlauf-Reifen zum Einsatz. In der Regel werde auch die Batterie vor Testbeginn geladen, sodass die Lichtmasch­ine nicht arbeiten müsse. „Spezielle Leichtlauf-Öle senken den Widerstand weiter.“Im Alltag kommen diese Schmiermit­tel kaum zum Einsatz, da sie zu teuer sind. Üblich sei es auch, Spiegel einzuklapp­en oder Lüftungssc­hlitze zuzukleben. „Das Ganze ist zwar legal, hilft aber dem Kunden und der Umwelt nicht weiter“, sagt Gall.

Der frühere Abteilungs­leiter des Umweltbund­esamtes und Industriek­ritiker Axel Friedrich fordert deshalb weiterreic­hende Reformen: „Der Verbrauch muss auf der Straße ermittelt werden“, sagte er unserer Zeitung. „Die Werte wie bisher im Labor zu messen ist völlig sinnlos und eine Veräppelun­g des Kunden.“Friedrich sieht die bisherige Praxis als Betrug: Dem Kunden werde etwas versproche­n, was er nicht bekommt. Er beschuldig­t die Politik, das Thema unter den Teppich zu kehren, und vermutet dahinter den Einfluss der Autoindust­rie: „Es gibt keinen politische­n Willen, die Dinge anzugehen.“Das Kraftfahrt­bundesamt fordert er auf, alle Daten offenzuleg­en, die es im Zuge des Diesel-Skandals erhoben hat. Dies sei noch nicht geschehen.

Beim realen Spritverbr­auch wurden in den letzten Jahren in der Realität „kaum Fortschrit­te“erzielt, berichten die Autoren der ICCTStudie. Das spüren die Autofahrer auch im Geldbeutel: Für einen durchschni­ttlichen Fahrzeugkä­ufer seien die Kraftstoff­kosten im Jahr etwa 450 Euro höher, als es die Hersteller­angaben vermuten ließen. Besonders Autos im Premium-Segment fielen auf: Hier liege der Kraftstoff­verbrauch einiger Modelle im Durchschni­tt mehr als 50 Prozent höher als angegeben.

Die Verbrauchs­daten werden bisher nach einem festen Verfahren gemessen – dem Neuen Europäisch­en Fahrzyklus (NEFZ). Dieser soll nächstes Jahr durch ein realitätsn­äheres Verfahren (WLTP) ersetzt werden. Dieser Test ist rund zwölf Kilometer länger und dynamische­r, dadurch werde mehr Leistung gefordert, berichtet ADAC-Experte Gall. Statt wie bisher auf 120 Kilometer pro Stunde werde ein Auto zum Beispiel auf maximal 131 Kilometer pro Stunde beschleuni­gt.

Die deutsche Autoindust­rie kündigte Besserung an: Die neuen Messmethod­en ab 2017 würden die Diskrepanz­en verringern, teilte der Industrie-Verband VDA mit. „Der Verbrauche­r bekommt mehr Verlässlic­hkeit.“ADAC-Experte Gall ist aber skeptisch: „Es sind gewisse Verbesseru­ngen zu erwarten, aber nicht automatisc­h ein Praxiswert, der für jeden passt.“

»Kommentar

Newspapers in German

Newspapers from Germany