Augsburger Allgemeine (Land West)
Spritverbrauch: Hersteller tricksen immer mehr
Auto Der ADAC bestätigt die zunehmenden Abweichungen von den Angaben im Prospekt. Experte fordert Messungen auf der Straße
Augsburg
Viele Autofahrer ahnen, dass der Spritverbrauch ihres Autos auf der Straße viel höher liegt als vom Hersteller im Prospekt angegeben. Die neue Studie der Umweltorganisation ICCT alarmiert deshalb Experten. Denn viele vermeintlich sparsame Autos stellen sich immer stärker als Spritschlucker heraus und stoßen dementsprechend viel des Treibhausgases CO2 aus. Lag die Abweichung zwischen Test- und Realwerten im Jahr 2001 im Schnitt noch bei rund neun Prozent, stieg sie inzwischen auf knapp 42 Prozent im Jahr 2015. Im Durchschnitt aller Fahrzeuge ist der Verbrauch heute also 42 Prozent höher als angegeben. Wie kann dies sein?
Ingenieur Matthias Gall misst am ADAC-Testzentrum in Landsberg am Lech die Emissionen von Fahrzeugen und kennt die Tricks der Autobauer. Auch die Spanne zwischen den offiziellen Verbrauchsangaben und den im ADAC EcoTest ermittelten Werten wird immer größer. „Die Hersteller optimieren am Prüfstand immer mehr“, sagt er. Dort kämen zum Beispiel widerstandsoptimierte Leichtlauf-Reifen zum Einsatz. In der Regel werde auch die Batterie vor Testbeginn geladen, sodass die Lichtmaschine nicht arbeiten müsse. „Spezielle Leichtlauf-Öle senken den Widerstand weiter.“Im Alltag kommen diese Schmiermittel kaum zum Einsatz, da sie zu teuer sind. Üblich sei es auch, Spiegel einzuklappen oder Lüftungsschlitze zuzukleben. „Das Ganze ist zwar legal, hilft aber dem Kunden und der Umwelt nicht weiter“, sagt Gall.
Der frühere Abteilungsleiter des Umweltbundesamtes und Industriekritiker Axel Friedrich fordert deshalb weiterreichende Reformen: „Der Verbrauch muss auf der Straße ermittelt werden“, sagte er unserer Zeitung. „Die Werte wie bisher im Labor zu messen ist völlig sinnlos und eine Veräppelung des Kunden.“Friedrich sieht die bisherige Praxis als Betrug: Dem Kunden werde etwas versprochen, was er nicht bekommt. Er beschuldigt die Politik, das Thema unter den Teppich zu kehren, und vermutet dahinter den Einfluss der Autoindustrie: „Es gibt keinen politischen Willen, die Dinge anzugehen.“Das Kraftfahrtbundesamt fordert er auf, alle Daten offenzulegen, die es im Zuge des Diesel-Skandals erhoben hat. Dies sei noch nicht geschehen.
Beim realen Spritverbrauch wurden in den letzten Jahren in der Realität „kaum Fortschritte“erzielt, berichten die Autoren der ICCTStudie. Das spüren die Autofahrer auch im Geldbeutel: Für einen durchschnittlichen Fahrzeugkäufer seien die Kraftstoffkosten im Jahr etwa 450 Euro höher, als es die Herstellerangaben vermuten ließen. Besonders Autos im Premium-Segment fielen auf: Hier liege der Kraftstoffverbrauch einiger Modelle im Durchschnitt mehr als 50 Prozent höher als angegeben.
Die Verbrauchsdaten werden bisher nach einem festen Verfahren gemessen – dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ). Dieser soll nächstes Jahr durch ein realitätsnäheres Verfahren (WLTP) ersetzt werden. Dieser Test ist rund zwölf Kilometer länger und dynamischer, dadurch werde mehr Leistung gefordert, berichtet ADAC-Experte Gall. Statt wie bisher auf 120 Kilometer pro Stunde werde ein Auto zum Beispiel auf maximal 131 Kilometer pro Stunde beschleunigt.
Die deutsche Autoindustrie kündigte Besserung an: Die neuen Messmethoden ab 2017 würden die Diskrepanzen verringern, teilte der Industrie-Verband VDA mit. „Der Verbraucher bekommt mehr Verlässlichkeit.“ADAC-Experte Gall ist aber skeptisch: „Es sind gewisse Verbesserungen zu erwarten, aber nicht automatisch ein Praxiswert, der für jeden passt.“
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