Augsburger Allgemeine (Land West)
Wer kann Frankreichs Blockaden aufbrechen?
Porträt Das Land wählt nächstes Jahr einen neuen Präsidenten. Im konservativen Lager laufen sich viele Kandidaten warm. Es droht wieder eine Verlegenheitslösung
Französische Meinungsforscher sind sich längst einig: Bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 wird der sozialistische Bewerber nach dem ersten Durchgang hinweggefegt – egal ob der unpopuläre amtierende Präsident François Hollande antritt oder Premier Manuel Valls, der kaum besser dasteht. Das bedeutet, dass wohl der Kandidat der konservativen Republikaner und Rechtspopulistin Marine Le Pen in die Stichwahl gehen. Und da Le Pen zwar beliebt, aber nicht mehrheitsfähig ist, dürfte der nächste Präsident Frankreichs ein Konservativer sein.
Fragt sich nur wer. Bitter bekämpfen sich sieben Bewerber für die Vorwahlen der Republikaner an diesem und dem kommenden Sonntag. Der frühere Premierminister Alain Juppé erscheint als Favorit
vor Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und dessen einstigem Regierungschef François Fillon, der gerade deutlich aufholt.
So weit, so vorhersehbar – oder nicht? Überraschungs-Voten wie jenes der Briten für einen Brexit oder der Amerikaner für Donald Trump mahnen zur Vorsicht bei allzu selbstgewissen Prognosen. Frankreich hat ebenfalls schon Wendungen erlebt: 2002 triumphierte Jacques Chirac in der Stichwahl gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen auch dank der Stimmen der Linken in der Stichwahl. 2012 wurde Hollande, zuvor als „Monsieur 3 Prozent“verspottet, zum Verlegenheitskandidaten, nachdem Starpolitiker Dominique Strauss-Kahn über einen Sexskandal gestolpert war. Hollande siegte, weil die Wähler Sarkozy loswerden wollten. Könnte dieser erneut triumphieren, weil sie Hollande überdrüssig sind? Eine Neuauflage ihres Duells wäre ein verheerendes Signal.
Indem er ausgerechnet jetzt seine Kandidatur angekündigt hat, bringt Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron den Kalender aller Akteure durcheinander. Er muss erst noch beweisen, was sich hinter seinem Versprechen einer „demokratischen Revolution“verbirgt, mit der er Frankreichs Blockaden aufbrechen, das überkommene Links-Rechts-Schema überwinden und dem Land wieder Optimismus schenken will.
Aber mit seiner erbarmungslosen Systemkritik hebt er sich von den übrigen Politikern ab, die oft meilenweit vom Alltag der Franzosen entfernt sind. Ein besonders erschütterndes Beispiel dafür lieferte der konservative Mitbewerber JeanFrançois Copé, der den Preis eines Schoko-Croissants auf eine Journalisten-Frage hin auf zehn Cent schätzte – mindestens das Zehnfache wäre richtig gewesen. Alain Juppé reißt mit seinem technokratischen Auftreten und dem gemäßigt liberalen und wertkonservativen Programm wenig mit. Aber vielen erscheint er als das geringere Übel im Vergleich zu Sarkozy. Denn der Ex-Präsident will Marine Le Pens Front National im Zaum halten, indem er ihn rechts überholt. Mit Forderungen nach „Assimilation“von Einwanderern oder dem Stopp des Familiennachzugs bestimmt er die Themen im innerparteilichen Machtkampf. Seine Feinde unterstellen ihm, er kämpfe so sehr um seine Wiederwahl, um dem Gefängnis zu entgehen.
Bei allen Ungewissheiten erscheint nur eines klar: Es treten überwiegend Politiker der vergangenen Jahrzehnte an, die den großen Vertrauensverlust der Menschen entscheidend mit zu verantworten haben – doch von Juppé über Hollande bis Sarkozy spielen sie zugleich ihre letzten Karten aus. Nur einer von ihnen wird gewinnen, wenn überhaupt – und leider kann erst danach die für die französische Politik notwendige Erneuerung beginnen. Das ist vielleicht die beste Aussicht dieses Präsidentschaftswahlkampfs.