Augsburger Allgemeine (Land West)
Bye bye, Berlin
Staatsbesuch 200 000 Menschen standen kopf, als Barack Obama vor acht Jahren erstmals in die Hauptstadt kam. Nun verabschiedet sich der scheidende US-Präsident deutlich leiser von den Deutschen. Er hinterlässt ein dickes Lob und verspricht eine Reise nach
Berlin
So viel Anfang. So viel Aufbruch. Und so viel Hoffnung, dass sich in einer Welt, die völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist, nun alles wieder zum Besseren wendet, weil sich das Gute durchsetzt. In Berlin lacht die Sonne von einem blauen Himmel. Vor der Siegessäule im Großen Tiergarten steht ein schlanker, groß gewachsener 46-jähriger Mann mit einem strahlenden Lächeln auf einem Podium. Ihm jubeln allein deswegen 200 000 Berliner zu, weil er in jeder Beziehung das Gegenteil des damaligen US-Präsidenten George W. Bush verkörpert. Ein sympathischer Charismatiker und begnadeter Rhetoriker, der das verspricht, was die Menschen hören wollen: Dass er auf eine enge Partnerschaft mit Deutschland und Europa setzt, den Klimaschutz voranbringen und die Atomwaffen abbauen will. Und dass er vor allem den unsäglichen Krieg im Irak beenden, die Soldaten zurückholen und das Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba schließen wird.
Er muss sich mit der Siegessäule als Kulisse begnügen, von den Berlinern spöttisch „Gold-Else“genannt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihm den ganz großen Auftritt vor dem Brandenburger Tor, dem Symbol des überwundenen Kalten Krieges, verwehrt. Er erwähnt das mit keinem Wort. Er hat es auch nicht nötig. So wie er es verschmerzen kann, dass ihn die Kanzlerin zwar trifft, aber einen gemeinsamen Auftritt vor der Presse ablehnt. Die Bilder von seiner Rede in der deutschen Hauptstadt gehen um die Welt und beeindrucken auch seine Landsleute zu Hause.
Acht Jahre und vier Monate später ist Barack Obama wieder in Berlin. Doch die Kontraste zu 2008 könnten größer nicht sein. Nichts ist so, wie es damals war. Kein blauer Himmel, sondern graues, nasskaltes Herbstwetter. Keine 200 000 jubelnden Menschen, sondern Sicherheitsstufe „Eins plus“mit hermetisch abgeriegelten Straßen im Regierungsviertel, einem verwaisten Pariser Platz und einem gesperrten S-Bahnhof am Brandenburger Tor. Kein öffentlicher Auftritt in der Stadt, kein Bad in der Menge.
Nur kurz zeigt sich der Präsident, als er mit einem Kaffeebecher in der Hand den kurzen Weg von der USBotschaft zum Hotel Adlon nimmt das von Höhen und Tiefen, Erfolgen und Rückschlägen geprägt war und im Oktober 2013 seinen absoluten Tiefpunkt erreichte. Da wurde bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst NSA sogar das Handy der Kanzlerin abgehört hatte. Merkel war entsetzt, kritisierte öffentlich den Verbündeten („Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“) und ließ in einem Telefonat mit dem Herrn im Weißen Haus Dampf ab. Ein Abgesandter der CIA wurde sogar des Landes verwiesen. Mehr Kritik war kaum möglich.
Doch das ist an diesem Donnerstag Geschichte – abgehakt und vergessen. Bei seinem sechsten und letzten Deutschland-Besuch als Präsident hängt ein Hauch von Wehmut über der Begegnung. Es heißt Abschied nehmen und sich wieder auf einen Neuanfang im Verhältnis zwischen Berlin und Washington vorzubereiten, wenn am 20. Januar Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, der dritte US-Präsident, mit dem es die Kanzlerin zu tun hat.
Zwischen Merkel und Obama, das ist nicht zu übersehen, ist im Laufe der Jahre eine Vertrautheit entstanden. Die beiden schätzen einander und wissen, was sie vom jeweils anderen haben. Merkel sei seine „wahrscheinlich engste internationale Verbündete in den vergangenen acht Jahren“, hat der scheidende Präsident schon vor seinem Abflug gesagt. Nun würdigt er sie auch nach dem Treffen mit überschwänglichen Worten. „Merkel ist die standfesteste und zuverlässigste Partnerin, die man sich vorstellen kann“, sagt er in einer gemeinsamen Pressekonferenz am Abend. Beim Kampf gegen den IS und im SyrienKonflikt stehe sie für eine humanitäre Lösung, bei der Flüchtlingskrise habe sie Augenmaß und Mitgefühl gezeigt, sie orientiere sich an Werten und zeige Entschlossenheit und Stärke. Als US-Präsident mische er sich selbstverständlich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein. Aber wenn er ein Deutscher wäre und eine Stimme hätte, „ich könnte sie unterstützen“.
An brisanten Themen herrscht auch bei ihrer letzten Begegnung kein Mangel. Und Obama und Merkel nehmen sich viel Zeit. Schon am Mittwochabend treffen sich die beiden zu einem als privat deklarierten Abendessen im Adlon am Brandenburger Tor, wo sie unter vier Augen fast drei Stunden lang sehr viel offener, persönlicher und ausführlicher reden können als bei dem offiziellen Gespräch mit ihren Delegationen am Donnerstagnachmittag im Kanzleramt. Für dieses sind eigentlich nur eineinhalb Stunden eingeplant. Es dauert dann allerdings fast eine Stunde länger.
Auch wenn über den Inhalt des Meinungsaustausches nichts bekannt wird, darf es als sicher gelten, dass sich Merkel ausführlich mit Obama darüber berät, was von einem Präsidenten Donald Trump zu erwarten ist. Wie dieser sich außenund sicherheitspolitisch positioniert. Welche Haltung er zu den großen Konflikten wie den in Syrien einnimmt. Wie er es mit Russlands Präsident Wladimir Putin halten wird. Und: Wie es im transatlantischen Verhältnis weitergehen könnte. Obama bezeichnet den Wahlerfolg Trumps als den größten politihältnis, schen Umbruch in der jüngeren Geschichte der USA, hält sich bei seinem offiziellen Auftritt aber mit offen kritischen Äußerungen zurück. Der Job zwinge einen, „ernsthaft zu sein, er verlangt Seriosität“. Ohne Seriosität werde man diesen Job „vermutlich nicht lange“haben.
Ohne seinen Nachfolger beim Namen zu nennen, appelliert er an die Politiker diesseits wie jenseits des Atlantiks, an den westlichen Werten, dem freien Handel und den Bündnisverpflichtungen fest- und alle Grundsätze hochzuhalten, die zu Wohlstand geführt hätten. „Wenn wir kein starkes transatlantisches Bündnis haben, werden wir unseren Kindern eine schlechtere Welt hinterlassen.“Zudem glaube er daran, dass die Europäische Union und Merkel der französische Präsident François Hollande, Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sowie die britische Regierungschefin Theresa May und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi erwartet. Gegen Mittag hebt Air Force One dann wieder ab – und die Wege werden sich trennen.
Obama zieht nach zwei Amtszeiten aus dem Weißen Haus aus. Merkel wird, worauf alles hindeutet, im nächsten Jahr für eine vierte Amtszeit kandidieren und mit seinem Nachfolger zusammenarbeiten müssen. Leichter wird es nicht. Die eingespielte Beziehung zwischen Washington und Berlin, bei der jeder wusste, was der andere will, muss erst wieder neu begründet werden.
Aber genau so war es vor acht Jahren auch, als der völlig unbekannte Senator aus Illinois George W. Bush ablöste und Merkels Fremdeln mit dem Neuen unübersehbar war. Angela Merkel, die nüchterne Pragmatikerin, die es mit den großen Gefühlen und dem Pathos bekanntermaßen nicht so hat, sieht es gelassen. Das Abschiednehmen falle ihr schwer, „na klar“, aber schließlich sei man Politiker. „Und Demokratie lebt vom Wechsel.“In der US-Verfassung sei es sehr hart vorgegeben: „Acht Jahre – und dann kommt ein neuer Präsident.“Es gebe ja den freien Reiseverkehr, man sei nicht aus der Welt.
Barack Obama seinerseits weiß schon ganz genau, wann er wiederkommt: „Ich habe noch immer nicht am Oktoberfest teilgenommen.“Als Ex-Präsident, da ist er sich sicher, „habe ich mehr Spaß“.