Augsburger Allgemeine (Land West)
Selbstkritik statt Zensur
Der Presserat wird 60 Jahre alt
Nach dem Absturz des Germanwings-Airbus im März 2015 kommt ein Foto in Umlauf. Es zeigt angeblich den verantwortlichen Co-Piloten, der den Jet an einer Bergwand zerschellen ließ. Zeitungen und Onlineportale veröffentlichen das Bild. Später kommt heraus: Der Mann auf dem Foto ist jemand anderes.
Die Katastrophen-Berichterstattung enthält oft Spekulationen, die sich dann als falsch herausstellen. Überhaupt steigt in Zeiten des Echtzeitjournalismus das Risiko für Journalisten, Fehler zu machen. Danach hagelt es meist Eingaben beim Deutschen Presserat. Im Fall Germanwings gab es 430 Beschwerden, der Rat rügte mehrere Verstöße gegen den Opferschutz.
Mit der journalistischen Berufsethik beschäftigt sich der Presserat nun seit 60 Jahren. Als Kanzler Konrad Adenauer ein Bundespressegesetz plante, gründeten Zeitungsverleger und Journalisten das Gremium. Das Ziel: Selbstkontrolle statt staatlicher Medienaufsicht.
An den Deutschen Presserat kann sich jeder wenden. Viermal im Jahr beraten Beschwerdeausschüsse über Verstöße gegen den Pressekodex, der Regeln für die tägliche Arbeit von Journalisten enthält. Dabei geht es etwa um Persönlichkeitsschutz, Trennung von Werbung und Redaktion oder den Schutz vor Diskriminierung.
Echte Sanktionen, Bußgelder etwa, kann das Gremium nicht verhängen. Bei Verstößen gegen den Pressekodex spricht der Rat Hinweise, Missbilligungen oder Rügen aus. Die härteste Sanktion ist die öffentliche Rüge, die das betroffene Medium drucken oder online veröffentlichen soll – aber nicht muss.
Kritiker bemängeln daher, dem Selbstkontrollorgan fehle der Biss. Vom Bild des „zahnlosen Tigers“will der Sozialwissenschaftler Horst Pöttker aber nicht sprechen. „Es suggeriert, dass es stärkere Instrumente geben müsste, um Medien zu regulieren“, sagt er. „Zwangssanktionen sind hier aber nicht angebracht, dafür haben wir Gerichte.“
Seit der Gründung des Presserats hat sich die Medienwelt grundlegend verändert. Durch die sozialen Medien etwa kann jeder seine Meinung öffentlich machen. „Die Diskussion und damit auch die Medienkritik im Internet ist spontan und tagesformabhängig. Der Presserat setzt hingegen auf feste Strukturen der Streitkultur mit der Möglichkeit zu Rede und Gegenrede“, sagt Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats – und betont: „Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist proaktiv“. Der Presserat wolle Journalisten Hilfestellung liefern.
Aktuell etwa entwickelt der Rat einen Leitfaden zur Nennung der Nationalität von Straftätern. Diese soll laut Pressekodex nur dann erwähnt werden, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Kritiker halten das für Selbstzensur. Der Presserat sieht das anders. Die Nennung sei nicht verboten, das entscheide jede Redaktion selbst. Der Kodex gebe lediglich Orientierung.