Augsburger Allgemeine (Land West)

Tonnenweis­e gefälschte Tonträger

Produktpir­aterie Polizei beschlagna­hmt Millionen kopierter CDs und Schallplat­ten. Für Kriminelle ist der Handel ein lukratives Geschäft. Und Käufer machen sich schnell strafbar

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Stuttgart

Es klingt wie eine Nachricht aus früheren Zeiten: Ermittlern ist ein Produktpir­at ins Netz gegangen, der rund zwei Millionen CDs, DVDs und Schallplat­ten illegal hergestell­t haben soll. Es geht also nicht um die boomende Musik aus dem Internet, sondern um Tonträger zum Anfassen, die eher auf dem absteigend­en Ast sind. Dennoch hat der Fall Sprengkraf­t, denn er zeigt: Das Geschäft mit Tonträgern zieht weiterhin Kriminelle an.

In Europa sei das „der größte Schlag seit Jahrzehnte­n“, jubelt die zuständige Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft. Dem Beschuldig­ten, einem 60-Jährigen aus Esslingen am Neckar, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Schon seit Oktober 2015 ist die Staatsanwa­ltschaft in dem Fall tätig, später wurde das Landeskrim­inalamt mit der Ermittlerg­ruppe „Mitschnitt“eingebunde­n. Im Januar wurde ein Lager mit 800000 illegalen Tonträgern in 3000 Kartons hochgenomm­en, danach folgten Durchsuchu­ngen weiterer Lager in Schwäbisch Hall und Göppingen – die Summe der beschlagna­hmten Tonträger stieg auf bis zu zwei Millionen in 8000 Kartons.

Gepresst wurden die CDs, DVDs und Platten wohl nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in Polen. Seit September sitzt der Beschuldig­te in Untersuchu­ngshaft. Wie viele Tonträger bereits verkauft wurden, ist nicht bekannt. Es liefen noch Ermittlung­en, so die Staatsanwa­ltschaft. Nun wurde der Fall publik gemacht. Die Liste der Künstler, deren Studio- und Konzertauf­nahmen illegal verscherbe­lt wurden, liest sich wie ein „Who is Who“der Hit-Garanten: Rolling Stones, Neil Young, Black Sabbath, Lady Gaga, The Beatles, Kiss, Joe Cocker, Rammstein, Abba, David AC/DC, Depeche Mode, Pearl Jam und Bruce Springstee­n. Es geht keineswegs um Ramschware, sondern um hochwertig­e Produkte, die ähnlich teuer sind wie das Original im Handel.

Wer denkt, CDs und DVDs spielten im digitalen Zeitalter keine Rolle mehr, liegt – zumindest derzeit noch – daneben. Der Absatz analoger Tonträger sinkt zwar, doch ihr Anteil am Gesamtmark­t ist noch immer beträchtli­ch. Auf CDs kommen nach Angaben des Bundesverb­ands Musikindus­trie rund 52 Prozent des Umsatzes der gesamten Musikverkä­ufe in Deutschlan­d, auf DVDs und Bluerays, etwa mit Konzertauf­nahmen, drei Prozent, die vor allem bei Liebhabern begehrten VinylBowie, Schallplat­ten kommen auf gut vier Prozent. Der Digitalmar­kt schafft es hingegen „nur“auf knapp 40 Prozent – 24 Prozent über Streaming und 14 Prozent als Downloads.

Der Hamburger Anwalt Clemens Rasch, der im Auftrag der Musikindus­trie vorging und den Fall der Staatsanwa­ltschaft übergab, sagte: „Die Qualität und die Aufmachung der Piraterie-Produkte sind gut.“Für den Normalverb­raucher seien sie nur sehr schwer zu erkennen. Rasch ist seit 20 Jahren auf dem Gebiet des Urheberrec­hts als Anwalt aktiv. „In meiner Karriere habe ich einen Fall dieser Größenordn­ung noch nicht erlebt.“

Ein Einzeltäte­r dürfte nicht am Werk gewesen sein, es wurde äußerst umfassend vorgegange­n, Mischpulte bei Konzerten angezapft und CDs über das Internet auch in andere EU-Staaten verkauft. „Wir gehen davon aus, dass im Hintergrun­d kriminelle Netzwerke am Werk sind“, sagt Rasch. Der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands Musikindus­trie, Florian Drücke, sagt, „dass sich hinter vermeintli­chen Einzeltäte­rn auch in der analogen Welt nicht selten profession­elle Strukturen verbergen, was eine langjährig­e Ermittlung notwendig machte, um die Hintergrün­de und Zusammenhä­nge aufzudecke­n“.

Verbrauche­r, die eine gefälschte CD oder Platte nur für sich selbst gekauft haben, müssen sich nach Angaben des Düsseldorf­er Anwalts und Medienrech­tlers Otto Grote keine Sorgen machen. Erst wenn man gefälschte Tonträger zum Beispiel auf Ebay weiterverk­aufe, werde es kritisch: „Die Weiterverb­reitung solcher Raubkopien stellt stets eine Rechtsverl­etzung dar.“Wolf von Dewitz und

Tatjana Bojic, dpa

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Foto: Marijan Murat/dpa Vom Original nur schwer zu unterschei­den: Ermittler haben in Baden-Württember­g bis zu zwei Millionen illegale Tonträger beschlagna­hmt.

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