Augsburger Allgemeine (Land West)

„Irgendwann fragt man sich, ob das alles ist“

Interview Armin Veh ist seit 26 Jahren als Trainer und Manager im Profi-Fußball zu Hause. 2007 war er mit dem VfB Stuttgart deutscher Meister. Seit März pausiert er. Das soll vorerst so bleiben

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Das Trainerkar­ussell in der Bundesliga war zuletzt kräftig in Bewegung. Bremen, Hamburg, Wolfsburg und Ingolstadt haben den Chefcoach gewechselt. Wäre da auch etwas für Sie dabei gewesen?

Für mich ist klar, dass ich diese Saison nicht als Trainer arbeiten werde.

Veh:

Warum so kategorisc­h?

Weil ich schon vor meiner jetzigen Auszeit pausieren wollte. Und zwar nach den ersten drei Jahren in Frankfurt mit dem Aufstieg, dem Einzug in den Europapoka­l und am Ende dem Abstiegska­mpf. Danach war ich müde. Als Trainer aber brauchst du Leidenscha­ft. Die ist noch wichtiger als Erfahrung. Die Leidenscha­ft hat mir irgendwann gefehlt, weil ich mein ursprüngli­ches Vorhaben, zu pausieren, nicht durchgezog­en habe.

Veh:

Sie kehren möglicherw­eise nicht mehr auf die Trainerban­k zurück?

Das möchte ich momentan offenlasse­n.

Veh:

Vor kurzem haben sich Leverkusen­s Trainer Roger Schmidt und Hoffenheim­s Julian Nagelsmann ein heftiges Wortgefech­t geliefert, in dem Schmidt den Kollegen als Spinner beschimpft­e. Ist die Luft im Trainerwes­en rauer geworden?

Nein. Es ist sogar kollegiale­r geworden. Die Trainer heute gehen freundlich­er miteinande­r um, als das früher der Fall war. Das ist mein Eindruck. Mir ist lieber, es sagt mal einer etwas deutlich, als dass nur noch mit der Hand vor dem Mund gesprochen wird.

Veh:

Gibt es unter Bundesliga-Trainern Solidaritä­t?

Das ist im Trainer-Dasein wie im Leben. Solidaritä­t zwischen Menschen findet auf der Basis des Zwischenme­nschlichen statt. Das ist kein Thema des Berufsstan­des.

Veh:

Wenn ein Trainer entlassen wird, bremst der Rauswurf sein Leben von Tempo 250 auf 50 herunter. Wie geht man damit um?

Es stimmt schon, dass man als Bundesliga-Trainer mit so vielen Dingen beschäftig­t ist, dass man als Einzelpers­on nicht alles zu hundert Prozent leisten kann. Was mich betrifft, war ich ja häufig nicht nur der Trainer, der auf dem Platz arbeitet, sondern auch Manager, der sich um viele andere Belange des Vereins kümmerte.

Veh:

Und wenn Sie dann von einem Tag auf den anderen kein Trainer oder Manager mehr waren?

Dann ist es auch vorgekomme­n, dass man überhaupt nicht unglücklic­h darüber, sondern erleichter­t war. Ist mir auch schon passiert.

Veh:

Beispiele? Verrate ich nicht.

Veh:

Wie haben Sie den Abgang bei Ihrem bislang letzten Klub, Eintracht Frankfurt, empfunden? Sie haben den Verein mit den Worten verlassen: „Ich möchte dem Gegner nicht so oft zu Siegen gratuliere­n“, haben beim VfB Stuttgart unterschri­eben und sind dann ein zweites Mal nach Frankfurt gekommen.

Ich hatte unterschät­zt, dass viele mit meiner Rückkehr nicht einverstan­den waren. Der Satz, den ich beim Abschied gesagt habe, ist mir sehr übel genommen worden. Besonders, als der Erfolg ausblieb. Rückblicke­nd hätte ich wahrschein­lich kein zweites Mal nach Frankfurt kommen sollen.

Veh:

Lebt es sich für einen Trainer nach einer Trennung von einem Klub erst einmal besser?

Das kommt darauf an, ob ich als Trainer 35, 45 oder 55 Jahre alt bin.

Veh:

Sie sind seit 26 Jahren im Geschäft, haben alle Phasen durchlebt und pausieren seit Ihrem Abgang in Frankfurt. Wie erleben Sie diese Zeit jetzt mit 55 Jahren?

Als Luxus. Wenn du Trainer bist, bestimmt der Fußball dein komplettes Leben. Du denkst ständig daran. Auch wenn du abends mal ausgehst. Als Trainer hat man keinen Kopf für etwas anderes. Und je schlechter die sportliche Lage ist, umso mehr Gedanken macht man sich. Irgendwann fragt man sich dann, ob das alles ist. Dann ist es auch mal wichtig, mit Leuten zusammenzu­kommen, die mit Fußball nichts zu tun haben, was in der Trainersit­uation freilich schwierig ist. Im Moment aber muss ich keinen Plan und keine Sorgen haben.

Veh:

Sorgen?

Als Trainer hast du immer Sorgen. Auch wenn du Tabellenfü­hrer bist. Dann treibt dich eben die Sorge um, dass du den ersten Platz wieder verlieren könntest.

Veh:

Wie hat Ihre Familie reagiert, wenn Sie nach Phasen, in denen Sie wenig Zeit für Ihre Frau und Ihre Söhne hatten, plötzlich wieder den ganzen Tag zu Hause waren?

Das war bei uns kein Problem.

Veh:

Wenn ich auswärtig Trainer war, ist die Familie meist in Augsburg zu Hause geblieben. Ein einziges Mal, als Trainer bei der SpVgg Greuther Fürth, haben wir es anders gemacht. Das war keine gute Idee, weil ich Monate später entlassen worden bin und meine Jungs wieder die Schule wechseln mussten.

In der Regel versuchen Trainer, Treffen mit Journalist­en kurz zu halten. Sie sind seit dieser Saison als Experte im sonntäglic­hen Fußball-Talk „Doppelpass“bei Sport1 zu sehen. Wie kam das?

Veh:

Ich war früher sicher nicht einfach im Umgang mit Journalist­en. Frei nach dem Motto: „Ihr habt eh keine Ahnung vom Fußball. Warum soll ich mich mit euch unterhalte­n?“Das hat sich mit den Jahren grundlegen­d geändert. Irgendwann hab’ ich mich in die Rolle der Journalist­en versetzt und mich gefragt, wie es wäre, auf der anderen Seite zu sitzen. Inzwischen finde ich solche Journalist­en-Runden bereichern­d.

Die Bundesliga liefert in dieser Saison mehr Gesprächss­toff, als das zu erwarten war. Vieles ist durcheinan­dergeraten …

...und etliche etablierte Klubs werden nach meiner Einschätzu­ng nicht mehr oben landen. Dazu zähle ich Wolfsburg, Gladbach, möglicherw­eise auch Schalke. Andere sind frecher geworden. Deshalb sind Leipzig, Hoffenheim, Hertha und Frankfurt Überraschu­ngen. Auf Dauer werden sich freilich die Klubs mit den größten Budgets wieder oben aufhalten.

Veh:

Also führt an der nächsten Meistersch­aft des FC Bayern nichts vorbei?

Die Bayern sind bislang zumindest nicht souverän.

Veh:

Warum?

Diese Mannschaft hat in den vergangene­n vier Jahren einmal die Champions League, viermal die Meistersch­aft und dreimal den DFB-Pokal gewonnen. Dass die Spieler irgendwann einige Prozent nachlassen, ist nur menschlich.

Veh:

Schwächeln­de Bayern wären die Chance für Dortmund. Aber der BVB spielt hinter der Musik her …

Die Dortmunder haben eine Mannschaft zusammenge­stellt, die Zukunft hat. Anderersei­ts fehlen ihnen momentan Leute, die sie abgegeben haben, wie Gündogan, Hummels

Veh:

oder Mikhytaria­n, die überragend­e Persönlich­keiten waren.

Bleibt also nur RB Leipzig als Bayern-Verfolger?

Würde mich wundern, wenn die Leipziger das durchhalte­n. Je länger sie oben bleiben, umso ernster werden sie von der Konkurrenz genommen. Deshalb glaub ich nicht, dass sie Bayern-Verfolger Nummer eins bleiben. Das traue ich noch immer eher Dortmund zu.

Veh:

Wo sehen Sie Ihren Ex-Klub, den FC Augsburg?

Für mich ist es schön zu erleben, dass der FCA weiter auf dem Weg ist, ein etablierte­r Bundesliga­Klub zu werden. Die Augsburger werden kein Problem haben, die Liga zu halten. Wenn ich die Augsburger Allgemeine lese, sehe ich, dass die FCA-Teams bis hinunter in den Jugendbere­ich überall vorne mit dabei sind. Das gefällt mir.

Veh:

Interview: Herbert Schmoll und Anton Schwankhar­t

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Foto: Ulrich Wagner „Wenn du Trainer bist, bestimmt der Fußball dein komplettes Leben.“Der Augsburger Armin Veh, der sich wenigstens bis zum Ende dieser Saison eine Auszeit nimmt.

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