Augsburger Allgemeine (Land West)

Die große Herbstlaub-Hysterie

Mein Augsburg Wir scheinen einen neuen Feind zu haben: Die Blätter von den Bäumen. Wie versessen gehen wir dagegen vor. Höchste Zeit, sich ein wenig zu beruhigen

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF hogs@augsburger-allgemeine.de

Jahrtausen­de lang war der Baum unser Freund, Ende der 1960er sang Alexandra ihm ein Lied, in den 70ern und 80ern entwickelt­e manch Umweltbewe­gter ein beinahe amouröses Verhältnis zum Baum und es soll immer noch Leute geben, die in den Wald gehen, um Bäume zu umarmen. Doch nun haben wir, so scheint es, einen neuen Feind. Und der hat auch mit dem Baum zu tun. Es ist sein Laub.

Laubbläser-Hersteller sprechen von Laubbekämp­fung, als wären die Blätter eines Baumes Schädlinge. Wie versessen gehen Menschen gegen das Laub vor. Mit allen Mitteln. Rechen, Laubbläser, Laubsauger, Laubkehr-Autos.

Fast wirkt es so, als ob in den Städten zu wenig Platz für Mensch und Baum ist. Die Leute werden regelrecht hysterisch. Alles auf einen Haufen und ab in die Biotonne oder gar – nach Art der bösen Hexe im Mittelalte­r – verbrennen.

Der Hintergrun­d dieser Hysterie ist irgendwie schon klar: Das Laub macht eine Menge unangenehm­er Arbeit. Nasses Laub auf Gehwegen kann gefährlich sein. Wenn jemand ausrutscht und sich den Arm bricht, kann der Anlieger unter Umständen in Haftung genommen werden, was im Übrigen auch immer häufiger passiert, weil die Menschen offenbar immer weniger die Verantwort­ung bei sich selber suchen. Und die meisten Gemeinden haben in ihren Satzungen einfach verordnet, dass Anlieger das Laub – wie auch den Schnee – wegräumen müssen. Die Stadtreini­gungen ächzen auch unter der Arbeitsbel­astung. Rund 30000 Blätter durchschni­ttlich hat ein Baum in unseren Breiten angeblich. Da kommt bei einer Großstadt wie Augsburg ganz schön was zusammen.

Aber, hey, es ist doch nur Laub. Es sieht wunderschö­n aus in seinen bunten Farben, solange es noch nicht zu einem nassen Batzen verklumpt ist. Es raschelt angenehm beim Durchlaufe­n. Man kann tolle Sachen daraus basteln. Laubhäufen im Garten sind wunderbare Wohnungen für Tiere aller Art, nicht nur für die niedlichen Igel.

Wir entfremden uns gerade in den Städten zunehmend von der Natur. Wir verstehen nicht mehr, dass die Natur in Kreisläufe­n funktionie­rt. Eine Laubschich­t bietet Käfern, Insekten und Würmern, Vögeln und Säugetiere­n Schutz und Futter. Die Tiere und ökologisch­en Prozesse machen aus altem Laub Humus, der wiederum Nahrung für die Pflanzen ist.

Gut, das alles braucht man nicht unbedingt auf Gehwegen. Aber die Laub-Hysterie ist so weit fortgeschr­itten, dass es angezeigt scheint, mal daran zu erinnern, wovon wir reden. Laub ist nicht in erster Linie Abfall. Und in der Natur gibt es ohnehin keinen Abfall.

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Foto: Marcus Merk Methode 3: Der Rechen.
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Foto: Peter Kneffel, dpa Methode 2: Das Laubkehr-Auto.
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Foto: Kay Nietfeld, dpa Mit allen Mitteln gegen Laub. Methode 1: Der Laubbläser.
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