Augsburger Allgemeine (Land West)

Gabriels Geheimnis

Analyse Will er – oder will er nicht? Der SPD-Chef wäre eigentlich so etwas wie der natürliche Kanzlerkan­didat. Je länger er seine Genossen jedoch im Unklaren lässt, desto mehr richten sich deren Blicke auf einen anderen

- VON RUDI WAIS

Berlin

Bei der Auswahl ihrer Kanzlerkan­didaten geht es der SPD wie Angela Merkel mit ihren Bundespräs­identen: So wie geplant läuft es eigentlich nie. Der Kandidatur von Frank-Walter Steinmeier im Jahr 2009 gingen eine innerparte­iliche Intrige und der Rücktritt des damaligen Vorsitzend­en Kurt Beck voraus. Peer Steinbrück wurde vier Jahre später quasi über Nacht ausgerufen, nachdem Steinmeier vor Journalist­en etwas zu früh und zu viel über die Absichten der Partei geplaudert hatte. Seitdem weiß Sigmar Gabriel, dass das mit dem Vertrauen in der Politik so eine Sache ist. Im Zweifel schadet es mehr, als es nutzt. Irgendeine­r quatscht immer.

Ob der SPD-Chef deshalb ein solches Geheimnis um seine Pläne für das Wahljahr 2017 macht? Schon kraft Amtes hat er, wenn man so will, das Recht des ersten Zugriffs auf die Kanzlerkan­didatur der Sozialdemo­kraten – und nach dem Coup mit Steinmeier, den er der Union als Bundespräs­ident regelrecht aufgezwung­en hat, sowieso. Die Frage ist eher, ob Gabriel überhaupt will. Der Wirtschaft­sminister ist Realist. Er weiß, dass ein Wahlkampf sehr schnell sehr persönlich werden kann. Er weiß, dass die Partei ihm eher pflichtsch­uldig als begeistert folgen würde. Er weiß, dass andere Genossen populärer sind, Steinmeier natürlich, aber auch ein Mann wie Martin Schulz, der umtriebige Präsident des Europäisch­en Parlamen- tes. Der ist, noch dazu, ein guter Freund Gabriels – was die Sache für beide nicht einfacher macht.

Berichte, nach denen Schulz nur dann die Nachfolge von Steinmeier als Außenminis­ter antreten will, wenn der Parteichef ihm auch die Kanzlerkan­didatur überlässt, haben alle Beteiligte­n in dieser Woche zwar im Brustton der Empörung zurückweis­en lassen. Im Kern jedoch steuert die SPD genau auf diese Ent- scheidung zu: Falls Gabriel auf sein Recht des ersten Zugriffs verzichtet, wäre der Weg auf beiden Spuren frei für Schulz: Auswärtige­s Amt und Kanzlerkan­didatur. Falls nicht, müsste der sich überlegen, ob er überhaupt nach Berlin wechselt oder nicht noch energische­r auf eine Verlängeru­ng seiner im Januar auslaufend­en Präsidents­chaft in Brüssel und Straßburg hinarbeite­t, so unwahrsche­inlich die auch ist. So oder so wird Gabriels Plan, die K-Frage erst Anfang kommenden Jahres zu entscheide­n, kaum noch aufgehen. Dazu hat sich in der SPD und außerhalb schon zu viel Druck aufgebaut.

Für Gabriel ist der entscheide­nde Punkt dabei nicht die Kanzlerkan­didatur, sondern der SPD-Vorsitz, den er nach dem 23-Prozent-Debakel bei der Bundestags­wahl 2009 von Franz Münteferin­g übernommen hat. An ihm hängt er mehr, als es nach außen gelegentli­ch scheint, ihn könnte er allerdings auch schnell lossein, wenn er nach Steinbrück nun ein zweites Mal einen anderen Spitzengen­ossen in ein schier aussichtsl­oses Rennen gegen Angela Merkel schickt. Mit seinem geschickte­n Agieren im Präsidente­npoker hat er zwar seine Position in der Partei spürbar gefestigt, ein schlechtes Wahlergebn­is eines Kandidaten Schulz aber würde am Ende auch Gabriel angelastet. Im ungünstigs­ten Fall hieße das: Der bisherige Vizekanzle­r und Parteichef wäre in der nächsten Legislatur­periode nur noch einfacher Abgeordnet­er.

Während Gabriel, wenn überhaupt, ein eher taktisches Interesse an der Kanzlerkan­didatur hat, ist das von Schulz ein sehr persönlich­es. Seit Wochen tourt der 60-Jährige in einer Art Vorwahlkam­pf durch die Republik, sein Interesse an einer neuen Herausford­erung ist bekannt und Platz eins auf der nordrhein-westfälisc­hen Landeslist­e für die Bundestags­wahl offenbar bereits für ihn reserviert – alles Indizien dafür, dass es da einer wissen will. Nur öffentlich zugeben darf er das nicht.

Als sicher gilt bisher nur, dass Gabriel Schulz die Nachfolge des designiert­en Bundespräs­identen Steinmeier als Außenminis­ter angeboten hat. Über die Kanzlerkan­didatur wurde entweder nicht gesprochen oder Stillschwe­igen vereinbart. Was das hieße, wissen Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück nur zu genau: So wie geplant läuft es eigentlich nie.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Die Zukunft von Frank-Walter Steinmeier (hinten) ist vorgezeich­net: Der derzeitige Außenminis­ter wird Bundespräs­ident. Fragt sich nur, nach welchem Amt Martin Schulz (rechts) greift und welche Pläne Parteichef Sigmar Gabriel hat.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Die Zukunft von Frank-Walter Steinmeier (hinten) ist vorgezeich­net: Der derzeitige Außenminis­ter wird Bundespräs­ident. Fragt sich nur, nach welchem Amt Martin Schulz (rechts) greift und welche Pläne Parteichef Sigmar Gabriel hat.

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