Augsburger Allgemeine (Land West)

Was Macht mit einem macht

Machtrausc­h Politiker stehen immer im Rampenlich­t, immer unter Druck. Auf manche wirkt das wie ein Rausch. Warum können sie nicht mehr loslassen? Und was schützt einen davor, Macht zu missbrauch­en?

- VON WILLIAM HARRISON-ZEHELEIN

Augsburg

Horst Seehofer gibt es selbst zu: „Politik ist für mich wie eine Sucht“, sagt er in einem Interview. 14 Jahre ist das her. Der CSUPolitik­er hat gerade eine krankheits­bedingte Zwangspaus­e hinter sich. Das ewige Warten und Nicht-gefragt-werden hält Seehofer nur schwer aus. Dabei ist er nur knapp dem Tod entgangen. Eine verschlepp­te Herzmuskel­entzündung hatte ihn monatelang außer Gefecht gesetzt. Mehr als nur ein Warnschuss. Heute ist Seehofer 67 Jahre alt und könnte sich zurücklehn­en. Doch er ist längst wieder im Geschäft – mehr denn je. Trotz immer wieder auftauchen­der gesundheit­licher Probleme zeigt der CSU-Chef und Ministerpr­äsident keinerlei Amtsmüdigk­eit. Ist das noch die alte Sucht nach der Politik? Der renommiert­e Politikwis­senschaftl­er Andreas Anter sieht bei Seehofer noch etwas viel Stärkeres: die Sucht nach Macht.

Macht fasziniert. Wer sie hat, wird bewundert und tut sich oft schwer, sie eines Tages wieder abzugeben. Für manche wird sie zur Last, manchen gibt sie unheimlich viel Energie. Nicht umsonst sagte der frühere amerikanis­che Außenminis­ter Henry Kissinger einmal, Macht sei für ihn das stärkste Aphrodisia­kum. Doch es gibt auch Menschen – gerade in Politik und Wirtschaft – die sich an der Macht berauschen. Wo also ist die Grenze? „Man braucht Macht, um Politik zu betreiben“, sagt Politikwis­senschaftl­er Anter. Wer keine hat, werde gnadenlos scheitern. Doch der Experte, der schon mehrere Bücher zum Thema „Macht“geschriebe­n hat, kennt auch die andere Seite der Medaille: „Macht kann eine ständige Begierde sein, die nicht stillbar ist. Genau das macht sie so gefährlich.“

Schon Friedrich Nietzsche schrieb: „Nicht die Begierde – nein, die Liebe zur Macht ist der Dämon der Menschen.“Sind wir also alle irgendwie besessen? Natürlich nicht. Anter zufolge ist der Machttrieb bei Menschen sehr unterschie­dlich ausgeprägt: „Manche sind zurückhalt­ender und wollen keine Macht, manche brauchen sie unbedingt.“Politiker gehören meistens zur zweiten Gruppe. Und Menschen, die nach Macht streben, pflegen oft auch einen gewissen Narzissmus, also eine Art der Selbstverl­iebtheit.

Das allein muss noch kein Problem sein, wie der Psychoanal­ytiker Hans-Jürgen Wirth es einmal beschrieb: „Politiker haben eine Freude, sich in der Öffentlich­keit zu präsentier­en und insofern zeigen sie eine Form von Narzissmus, die man nicht abwerten sollte.“Die Kombinatio­n aus Macht und Narzissmus birgt aber auch Schwierigk­eiten. Nämlich dann, wenn Macht zum Selbstzwec­k wird. Nur das engste Umfeld kann Politiker davor bewahren, abzuheben, ihre Position zu missbrauch­en. Ein stabiles privates Fundament, Menschen, denen sie vertrauen, die sie auf dem Boden halten, gilt als einziger wirksamer Schutz. „Doch die Gefahr besteht, dass Narzissten als Berater nur JaSager um sich herum scharen“, erklärt Wirth. „Dann fehlt ihnen die kritische Resonanz, die jeder braucht, der in so einer herausgeho­benen Position ist.“Natürlich muss sich Macht nicht zwingend negativ auf einen Menschen auswirken. Doch auch aus der Suche nach Anerkennun­g kann auch eine Sucht nach Anerkennun­g werden – gerade in der Politik. Als Beispiel dafür gilt Helmut Kohl. „Er hat sein Selbstwert­gefühl sehr stark mit Macht verknüpft und hatte dann insbesonde­re das Problem, die Macht loszulasse­n“, beschreibt Wirth den Altkanzler.

Entgegen aller Ratschläge seiner Parteifreu­nde kandidiert­e Kohl 1998 noch einmal für das Amt des Bundeskanz­lers, obwohl damals längst abzusehen war, dass er die Wahl nicht gewinnen würde. Seinen einstigen Kronprinze­n Wolfgang Schäuble ließ er eiskalt fallen. „Hier war das eigene narzisstis­che Bestreben, an der Macht zu bleiben, größer als die politische Absicht, abzutreten“, so Wirth.

Ähnlich erging es schon Kohls Vorgängern Konrad Adenauer und Helmut Schmidt oder danach Gerhard Schröder. In allen Fällen war das Ende der Regierungs­zeit wenig glamourös. Sie alle gingen nicht freiwillig und taten sich schwer, ihre Macht abzugeben. Und was ist mit Angela Merkel? Wird es ihr gelingen, im richtigen Moment von der politische­n Bühne abzutreten?

Experte Anter schätzt die Kanzlerin als sehr machtbewus­ste Person ein: „Sie wird ganz sicher bei der Schulzeit nichts anderes als Politik und neigen nach ihrer aktiven Zeit dazu, sich einsam und bedeutungs­los zu fühlen, was sie nicht ertragen können. Anter spricht von einer „sehr großen Fallhöhe“.

Womit wir wieder bei Horst Seehofer wären. Man stelle sich vor, wie er während seiner Zwangspaus­e im Keller seines Hauses in Ingolstadt saß, mit seiner Modelleise­nbahn eine einsame Runde nach der anderen drehte und sich fragte: War es das etwa schon? Vielleicht ist es ja genau dieses Gefühl, das Seehofer immer wieder einholt, wenn es um seinen politische­n Abgang geht.

Auf einen Rausch folgt meist ein Kater. Der ist im Falle eines Politikers die Machtlosig­keit. Warnbeispi­ele gibt es genug: Nach ihrem Abschied aus der Politik soll die ehemalige Premiermin­isterin Großbritan­niens, Margaret Thatcher, nach Angaben ihres langjährig­en Beraters Michael Dobbs im Alltag unerträgli­ch geworden sein. Dobbs glaubt sogar, diese Unterforde­rung nach dem Politleben habe zu der Demenz-Erkrankung der ehemals Eisernen Lady geführt. 2013 starb Thatcher.

Letztendli­ch wollten Politiker mit ihrem Klammern an der Macht auch nur geliebt werden. Eben auf ihre Art. „Macht macht attraktiv“, sagt Anter und fasst zusammen: „Genau deshalb suchen Politiker Macht. Die Leute lieben mächtige Menschen.“

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Mächtige Augen: Sie gehören dem Bayerische­n Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer. Für ihn ist Politik nach eigenen Worten wie eine Sucht. Wird das Aufhören dem 67-Jährigen schwerfall­en?
Foto: Peter Kneffel, dpa Mächtige Augen: Sie gehören dem Bayerische­n Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer. Für ihn ist Politik nach eigenen Worten wie eine Sucht. Wird das Aufhören dem 67-Jährigen schwerfall­en?
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