Augsburger Allgemeine (Land West)
VW zahlt einen hohen Preis für Reformfaulheit
Analyse Der Konzern hat es in Zeiten von Patriarch Ferdinand Piëch versäumt, Volkswagen für den revolutionären Umbruch der Branche aufzustellen. Dann kam auch noch der Diesel-Skandal hinzu
Erfolgreiche Unternehmensführung ist ein hartes Geschäft. Manager dürfen sich nicht auf Lorbeeren ausruhen. Kaum ist eine Reform durchgesetzt, gehört die nächste auf den Tisch. Das Spiel hört niemals auf. Wer es unterlässt und im Struktur-Konservatismus erstarrt, landet dort, wo Volkswagen heute steckt – in einer tiefen Krise.
Dass der Konzern nun weltweit in der Kernmarke VW – also nicht bei Audi – bis zu 30 000 Arbeitsplätze abbaut, ist vor allem auf die aufgeschobenen Reformen der späten Ära des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch zurückzuführen. Im Wirtschaftsleben verhält es sich nicht anders als beim Menschen: Wer eine Grippe verschleppt, riskiert ernsthaft seine Gesundheit.
Volkswagen ist krank, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Mit einer Rosskur lässt sich der Konzern heilen. Zwar ist der Absatz von VWAutos in Folge des Abgas-Skandals nicht eingebrochen, aber in den USA und zuletzt auch in Deutschland spürt das Unternehmen eine nachlassende Treue mancher Kunden. Zugleich muss das Unternehmen sündteuer für die systematische Manipulation von Abgaswerten bluten. Von bis zu 30 Milliarden Euro ist die Rede. Was das Tragische daran für VW-Mitarbeiter ist: Das Geld hätte der Konzern dringend für die grundlegende Neuausrichtung der Autoflotte gebraucht.
Die Fahrzeugbranche steht vor einem revolutionären Prozess. Sie muss den Wandel weg von Dieselund Benzinmotoren hin zu elektrisch angetriebenen Fahrzeugen bewältigen. Die alternativlose ökologische Wende ist ein Jahrhun- dertprojekt. Dass sie mächtig im Gange ist, hat sich am Auftritt von Daimler-Chef Dieter Zetsche beim Grünen-Parteitag gezeigt. Nicht nur Grünen-Politiker Anton Hofreiter glaubt, dass VW bei der E-Mobilität mächtig gegenüber BMW und Daimler hinterherhinkt – ein Umstand, der mit dem DieselSkandal direkt zusammenhängt. Denn der VWKonzern hat gerade im dieselskeptischen Amerika auf den Selbstzünder gesetzt. Dabei ging Piëch selbst lange auffällig auf Distanz zum Elektro-Hype.
Das rächt sich jetzt. Trotz aller zuletzt erzielten Fortschritte muss Volkswagen kräftig aufholen. Da aber Milliarden an Strafzahlungen für den Abgas-Skandal fällig werden, treibt der Konzern die Mittel für die ökologische Runderneuerung der Marke auch über einen harten Sparkurs ein. Nun zu folgern, dass vor allem deshalb so viele Arbeitsplätze bei der Marke VW wegfallen, greift jedoch zu kurz.
Das Unternehmen hätte auch ohne Abgas-Skandal harte Einschnitte vornehmen müssen, ist die Rendite der Kernmake VW – also ohne das florierende China-Geschäft – doch kümmerlich. Mit solchen Werten kann ein Konzern nicht ausreichend Gewinn für die anstehenden Riesen-Investitionen erwirtschaften. Doch eine Bruderschaft aus dem Patriarchen Piëch, dem VW-Großaktionär Niedersachsen und der Gewerkschaft IG Metall hat hier zu lange beschwichtigt und dem lieben Betriebsfrieden willen auf eine Therapie der chronischen Volkswagen-Grippe verzichtet.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn sich Elektrofahrzeuge durchsetzen, sind VW-Standorte, an denen klassische Getriebe und Motoren hergestellt werden, gefährdet. Das wird auf lange Sicht tausende Arbeitsplätze – auch in der Zulieferindustrie – kosten. Bei einem Elektroauto ist die Wertschöpfung für heimische Hersteller geringer als bei einem Benziner. Andererseits bietet der technologische Wandel Chancen. Es werden tausende neue Stellen für Ingenieure und Facharbeiter entstehen, die sich mit Elektromobilität, Digitalisierung und dem autonomen Fahren auskennen.
Das Auto der Zukunft ist ein Stromer, der mit der Datenwelt intensiv verschmilzt und erst einmal auf Autobahnen wie von Geisterhand autonom unterwegs ist.