Augsburger Allgemeine (Land West)

VW zahlt einen hohen Preis für Reformfaul­heit

Analyse Der Konzern hat es in Zeiten von Patriarch Ferdinand Piëch versäumt, Volkswagen für den revolution­ären Umbruch der Branche aufzustell­en. Dann kam auch noch der Diesel-Skandal hinzu

- VON STEFAN STAHL

Erfolgreic­he Unternehme­nsführung ist ein hartes Geschäft. Manager dürfen sich nicht auf Lorbeeren ausruhen. Kaum ist eine Reform durchgeset­zt, gehört die nächste auf den Tisch. Das Spiel hört niemals auf. Wer es unterlässt und im Struktur-Konservati­smus erstarrt, landet dort, wo Volkswagen heute steckt – in einer tiefen Krise.

Dass der Konzern nun weltweit in der Kernmarke VW – also nicht bei Audi – bis zu 30 000 Arbeitsplä­tze abbaut, ist vor allem auf die aufgeschob­enen Reformen der späten Ära des VW-Patriarche­n Ferdinand Piëch zurückzufü­hren. Im Wirtschaft­sleben verhält es sich nicht anders als beim Menschen: Wer eine Grippe verschlepp­t, riskiert ernsthaft seine Gesundheit.

Volkswagen ist krank, wenn auch nicht lebensbedr­ohlich. Mit einer Rosskur lässt sich der Konzern heilen. Zwar ist der Absatz von VWAutos in Folge des Abgas-Skandals nicht eingebroch­en, aber in den USA und zuletzt auch in Deutschlan­d spürt das Unternehme­n eine nachlassen­de Treue mancher Kunden. Zugleich muss das Unternehme­n sündteuer für die systematis­che Manipulati­on von Abgaswerte­n bluten. Von bis zu 30 Milliarden Euro ist die Rede. Was das Tragische daran für VW-Mitarbeite­r ist: Das Geld hätte der Konzern dringend für die grundlegen­de Neuausrich­tung der Autoflotte gebraucht.

Die Fahrzeugbr­anche steht vor einem revolution­ären Prozess. Sie muss den Wandel weg von Dieselund Benzinmoto­ren hin zu elektrisch angetriebe­nen Fahrzeugen bewältigen. Die alternativ­lose ökologisch­e Wende ist ein Jahrhun- dertprojek­t. Dass sie mächtig im Gange ist, hat sich am Auftritt von Daimler-Chef Dieter Zetsche beim Grünen-Parteitag gezeigt. Nicht nur Grünen-Politiker Anton Hofreiter glaubt, dass VW bei der E-Mobilität mächtig gegenüber BMW und Daimler hinterherh­inkt – ein Umstand, der mit dem DieselSkan­dal direkt zusammenhä­ngt. Denn der VWKonzern hat gerade im dieselskep­tischen Amerika auf den Selbstzünd­er gesetzt. Dabei ging Piëch selbst lange auffällig auf Distanz zum Elektro-Hype.

Das rächt sich jetzt. Trotz aller zuletzt erzielten Fortschrit­te muss Volkswagen kräftig aufholen. Da aber Milliarden an Strafzahlu­ngen für den Abgas-Skandal fällig werden, treibt der Konzern die Mittel für die ökologisch­e Runderneue­rung der Marke auch über einen harten Sparkurs ein. Nun zu folgern, dass vor allem deshalb so viele Arbeitsplä­tze bei der Marke VW wegfallen, greift jedoch zu kurz.

Das Unternehme­n hätte auch ohne Abgas-Skandal harte Einschnitt­e vornehmen müssen, ist die Rendite der Kernmake VW – also ohne das florierend­e China-Geschäft – doch kümmerlich. Mit solchen Werten kann ein Konzern nicht ausreichen­d Gewinn für die anstehende­n Riesen-Investitio­nen erwirtscha­ften. Doch eine Bruderscha­ft aus dem Patriarche­n Piëch, dem VW-Großaktion­är Niedersach­sen und der Gewerkscha­ft IG Metall hat hier zu lange beschwicht­igt und dem lieben Betriebsfr­ieden willen auf eine Therapie der chronische­n Volkswagen-Grippe verzichtet.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn sich Elektrofah­rzeuge durchsetze­n, sind VW-Standorte, an denen klassische Getriebe und Motoren hergestell­t werden, gefährdet. Das wird auf lange Sicht tausende Arbeitsplä­tze – auch in der Zulieferin­dustrie – kosten. Bei einem Elektroaut­o ist die Wertschöpf­ung für heimische Hersteller geringer als bei einem Benziner. Anderersei­ts bietet der technologi­sche Wandel Chancen. Es werden tausende neue Stellen für Ingenieure und Facharbeit­er entstehen, die sich mit Elektromob­ilität, Digitalisi­erung und dem autonomen Fahren auskennen.

Das Auto der Zukunft ist ein Stromer, der mit der Datenwelt intensiv verschmilz­t und erst einmal auf Autobahnen wie von Geisterhan­d autonom unterwegs ist.

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Ferdinand Piëch

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