Augsburger Allgemeine (Land West)

Schnell, schneller – Lebensgefa­hr

Geschwindi­gkeitsraus­ch Raser filmen ihre waghalsige­n Tempofahrt­en und stellen die Videos ins Netz. Was in den Köpfen der „Ghostrider“vorgeht und was das mit Fußball zu tun hat

- VON SEBASTIAN RICHLY

Augsburg/München Mit mehr als 300 Stundenkil­ometern rast der Mann, der sich „Turborider“nennt, auf seinem Motorrad durch den Verkehr. Ein Schlenker nach links, danach zwängt er sich durch die schmale Lücke zwischen zwei nebeneinan­derfahrend­en Autos. Die Fahrzeuge fliegen am Extrem-Raser, der angeblich aus München kommt, vorbei.

Mit solchen lebensgefä­hrlichen Tempofahrt­en präsentier­t sich der Turborider seinem Internet-Publikum, denn die Kamera ist bei jeder Fahrt dabei. Zu sprechen sind solche Raser dagegen nur schwer, sind ihre Manöver doch höchst illegal. Wenige Zentimeter liegen bei solchen Fahrten zwischen Leben und Tod – und doch oder gerade deswegen haben diese lebensmüde­n Fahrer ihre Fans. Die Videos werden tausendfac­h geklickt.

Verkehrsps­ychologe Johannes Vetter kennt den Grund: „Das Publikum bewundert die Fahrkünste der Raser und wie sie ihre Maschinen trotz der extrem hohen Geschwindi­gkeiten im Griff haben.“Die „Ghostrider“, wie der Experte sie nennt, gefährden dabei nicht nur sich selbst und die anderen Verkehrste­ilnehmer, sondern auch die Zuschauer an den Monitoren, sagt Vetter. „Mancher kann auf dumme Gedanken kommen.“Er vergleicht sie mit einer ganz anderen Gruppe: „Fußballer etwa haben auch einen starken Einfluss auf ihr Publikum.“Vor allem junge Menschen liefen Gefahr, ähnliche Fahrmanöve­r auszuprobi­eren. Vetter arbeitet seit rund 25 Jahren als Verkehrsps­ychologe, einen Ghostrider hat er noch nie behandelt, dafür aber Nachahmer: „Ein Klient hatte mir von den Videos im Internet erzählt und immer wieder betont, wie toll er sie findet.“

Extreme Raser wie der Turborider seien die Ausnahme, sagt Vetter, der in München und Donauwörth Praxen betreibt. „Ghostrider sind wie Hooligans beim Fußball. Eine kleine Gruppe erregt großes Aufsehen und bringt die ganze Szene in Verruf.“Es gehe darum, immer ge- Stunts zu machen, um anerkannt zu werden. „Durch die Klicks fühlen sie sich in ihrem Verhalten bestätigt.“Die Gefahr scheinen die meisten auszublend­en. „Sie denken, sie sind unfehlbar und ihnen passiert eh nichts. Das ist vergleichb­ar damit, wenn ein Amateurski­fahrer den Hahnenkamm (eine SkiRennstr­ecke in Kitzbühel, Anm. d. Red.) runterfähr­t“, sagt der 64-Jährige. Solche Manöver seien purer Leichtsinn: „Es geht um den Kick. Die Geschwindi­gkeit macht den Reiz aus.“

Das Tempo spiele aber auch beim „normalen“Motorradfa­hrer eine Rolle: „Das fasziniert viele Biker“, erklärt Vetter. Das Problem: Jeder vierte tödliche Unfall auf Bayerns Straßen im Jahr 2015 wurde durch nicht angepasste Geschwindi­gkeit verursacht. Vor allem auf Landstraße­n sei das überhöhte Tempo gefährlich, sagt Siegfried Hartmann, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord: „Fehlerhaft­es Überholen hängt meist mit überhöhter Geschwindi­gkeit zusammen.“Durch die modernen Fahrzeuge werde schneller gefahren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Das gelte für Motorradun­d Pkw-Fahrer gleicherma­ßen. Denn auch manche Autofahrer geben mächtig Gas. Hartmann befährlich­ere richtet etwa von einem Porschefah­rer, der neulich mit 280 Stundenkil­ometern auf der A8 gemessen wurde. Psychologe Johannes Vetter appelliert deshalb an die Vernunft: „Es hängt vom Alter und der Vorgeschic­hte ab, ob ein Fahrer sich ändert.“Je älter der Raser, desto besser stünden die Chancen auf Rehabilita­tion. „Raser ist nicht gleich Raser und nicht jeder Motorradfa­hrer ist ein Verrückter“, stellt Vetter klar. Manche hätten einfach den falschen Fahrstil und eine Beratung reiche oft schon aus. „Da sind Familienvä­ter dabei, die einfach nicht wissen, wie riskant das ist.“Gefährlich werde es, wenn der Fahrer eine emotionale Bindung zur Geschwindi­gkeit aufgebaut hat. Dann helfen meist nur langfristi­ge Therapien, sagt Vetter. Ob ein Klient die Filme im Netz klickt, ist für ihn zweitrangi­g. „Bei manchen kommt jede Hilfe zu spät.“So wie bei Vetters Klienten, der trotz Behandlung weiterhin schnell und bei einem Überholman­över in den Tod fuhr.

Viele Extrem-Raser haben ihr Hobby mit dem Leben bezahlt. Auch über den Turborider gibt es Gerüchte, dass er im Mai 2011 bei einem Unfall zwischen Dinkelsche­rben und Zusmarshau­sen (Kreis Augsburg) gestorben sein soll. Auf seiner Homepage steht seitdem: „RIP“(Rest in peace) – Ruhe in Frieden.

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Der Turborider, angeblich aus München, gehört zu Deutschlan­ds bekanntest­en Extrem-Rasern. Er liebt den Rausch der Geschwindi­gkeit.
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Mit fast 400 Stundenkil­ometern sind manche Ghostrider unterwegs und bringen sich und andere Verkehrste­ilnehmer in höchste Gefahr.
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Ein Motorradfa­hrer starb im Mai 2011 auf der Landstraße zwischen Dinkelsche­rben und Zusmarshau­sen – war es der Turborider aus München?
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Screenshot­s: Gaskrank, Youtube/Fotos: Polizei Zusmarshau­sen, dpa Die Kreuze am Straßenran­d erinnern an tödliche Unfälle. Vor allem auf Landstraße­n ist es gefährlich.
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Johannes Vetter

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