Augsburger Allgemeine (Land West)

Happy Birthday, Geist von Kreuth!

Legende Vor 40 Jahren wollte Franz Josef Strauß seine CSU von der CDU lösen. Der Mythos war geboren. Eine Geschichte von Macht, Bier und Verrat

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg

Es ist schon weit nach Mitternach­t, als für Franz Josef Strauß die Sache klar ist. Hinter ihm liegen ein langer Tag und heftige Streiterei­en. Im Bierstüber­l von Wildbad Kreuth sitzt er nun mit den Bundestags­abgeordnet­en der CSU zusammen. Der Dunst von Tabak, Weißbier und Testostero­n liegt in der Luft, als der Parteichef sich zur Revolution entschließ­t. Jahrzehnte­lang hatten CSU und CDU in Bonn gemeinsame Sache gemacht. Jetzt will Strauß die Fraktion aufspalten und seine CSU zu einer bundesweit­en Partei machen. Es ist ein riskanter Plan. Und die Geburtsstu­nde eines Mythos.

Am nächsten Morgen in Kreuth hält ein junger Abgeordnet­er aus Schwaben ein flammendes Plädoyer – gegen den Bruch mit der Schwesterp­artei. Der Mann heißt Theodor Waigel, und an diesem 19. November 1976 hat er Glück. Weil es für seinen Chef im Bierstüber­l doch recht spät geworden war, verschläft er Waigels Rede. „Andernfall­s hätte ich damals wahrschein­lich einen ganz schönen Anschiss von ihm bekommen. Dem bin ich durch Zufall entgangen“, sagt Waigel. Heute kann der 77-Jährige darüber lachen. Damals hätte es ihn die Karriere kosten können. Denn Strauß ist wild entschloss­en. Er duldet keinen Widerspruc­h – und setzt sich durch. Die Abgeordnet­en fassen mit 30:18 Stimmen den legendären Tren- nungsbesch­luss von Kreuth. Was die CSU-Revoluzzer nicht ahnen: In ihren Reihen gibt es eine undichte Stelle.

Noch in der Nacht hatte im rheinland-pfälzische­n Oggersheim das Telefon geklingelt. Helmut Kohl schäumt vor Wut, als er vom Plan seines Rivalen Strauß erfährt. Angeblich war es der spätere bayerische Ministerpr­äsident Max Streibl, der den CDU-Vorsitzend­en warnte. So hat Kohl selbst es später immer wieder erzählt. Waigel ist sich da nicht so sicher, schließlic­h sei Streibl gar nicht in Kreuth dabei gewesen. Hatte er also einen Spion vor Ort? Es ist nur eines von vielen Mysterien, die sich bis heute um die turbulente­n Novemberta­ge vor 40 Jahren ranken.

Kohl nutzt sein Wissen jedenfalls eiskalt aus und erwischt Strauß auf dem falschen Fuß. Als CSU-Landesgrup­penchef Fritz Zimmermann aus Kreuth anruft, um ihn offiziell über die Entscheidu­ng der Landesgrup­pe in Kenntnis zu setzen, plant Kohl längst seinen Gegenschla­g. Er kündigt an, mit der CDU in Bayern „einzumarsc­hieren“. Und die Drohung zeigt Wirkung. Vor allem in der Münchner Landtagsfr­aktion brodelt es. Viele Abgeordnet­e zittern um ihre Mandate. Mit der absoluten Mehrheit der CSU im Freistaat wäre es jedenfalls schnell vorbei – und das alles nur wegen eines Machtkampf­es zwischen zwei politische­n Alphatiere­n? Nein, so einfach ist es nicht. Denn Strauß will mit der Abspaltung nicht nur seinem Rivalen eins auswischen. Er sieht darin auch die einzige Chance, endlich die Mehrheit von SPD und FDP zu kippen. Sein Plan: Die CDU soll nach links rücken, und die CSU könnte dafür Wähler rechts von der Mitte ansprechen. Doch Strauß hat diese Rechnung ohne seine Partei gemacht. Sogar CSU-Spitzenleu­te denken jetzt daran, die Seiten zu geistigen und die politische­n Voraussetz­ungen. Ihm fehlt alles dafür“, poltert Strauß. Doch wieder sitzt ein „Maulwurf“am Tisch: Unbemerkt läuft ein Tonbandger­ät mit. Über bis heute ungeklärte Wege landet eine Abschrift der Wienerwald-Rede ausgerechn­et beim Spiegel. Das Nachrichte­nmagazin ist Strauß in herzlicher Abneigung verbunden und zitiert genüsslich aus den Verbalinju­rien. Der Artikel

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Foto: Sven Simon, imago Zwei Intimfeind­e: Helmut Kohl und Franz Josef Strauß bei einem ersten Zusammentr­effen nach dem Kreuther Beschluss.

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