Augsburger Allgemeine (Land West)
Happy Birthday, Geist von Kreuth!
Legende Vor 40 Jahren wollte Franz Josef Strauß seine CSU von der CDU lösen. Der Mythos war geboren. Eine Geschichte von Macht, Bier und Verrat
Augsburg
Es ist schon weit nach Mitternacht, als für Franz Josef Strauß die Sache klar ist. Hinter ihm liegen ein langer Tag und heftige Streitereien. Im Bierstüberl von Wildbad Kreuth sitzt er nun mit den Bundestagsabgeordneten der CSU zusammen. Der Dunst von Tabak, Weißbier und Testosteron liegt in der Luft, als der Parteichef sich zur Revolution entschließt. Jahrzehntelang hatten CSU und CDU in Bonn gemeinsame Sache gemacht. Jetzt will Strauß die Fraktion aufspalten und seine CSU zu einer bundesweiten Partei machen. Es ist ein riskanter Plan. Und die Geburtsstunde eines Mythos.
Am nächsten Morgen in Kreuth hält ein junger Abgeordneter aus Schwaben ein flammendes Plädoyer – gegen den Bruch mit der Schwesterpartei. Der Mann heißt Theodor Waigel, und an diesem 19. November 1976 hat er Glück. Weil es für seinen Chef im Bierstüberl doch recht spät geworden war, verschläft er Waigels Rede. „Andernfalls hätte ich damals wahrscheinlich einen ganz schönen Anschiss von ihm bekommen. Dem bin ich durch Zufall entgangen“, sagt Waigel. Heute kann der 77-Jährige darüber lachen. Damals hätte es ihn die Karriere kosten können. Denn Strauß ist wild entschlossen. Er duldet keinen Widerspruch – und setzt sich durch. Die Abgeordneten fassen mit 30:18 Stimmen den legendären Tren- nungsbeschluss von Kreuth. Was die CSU-Revoluzzer nicht ahnen: In ihren Reihen gibt es eine undichte Stelle.
Noch in der Nacht hatte im rheinland-pfälzischen Oggersheim das Telefon geklingelt. Helmut Kohl schäumt vor Wut, als er vom Plan seines Rivalen Strauß erfährt. Angeblich war es der spätere bayerische Ministerpräsident Max Streibl, der den CDU-Vorsitzenden warnte. So hat Kohl selbst es später immer wieder erzählt. Waigel ist sich da nicht so sicher, schließlich sei Streibl gar nicht in Kreuth dabei gewesen. Hatte er also einen Spion vor Ort? Es ist nur eines von vielen Mysterien, die sich bis heute um die turbulenten Novembertage vor 40 Jahren ranken.
Kohl nutzt sein Wissen jedenfalls eiskalt aus und erwischt Strauß auf dem falschen Fuß. Als CSU-Landesgruppenchef Fritz Zimmermann aus Kreuth anruft, um ihn offiziell über die Entscheidung der Landesgruppe in Kenntnis zu setzen, plant Kohl längst seinen Gegenschlag. Er kündigt an, mit der CDU in Bayern „einzumarschieren“. Und die Drohung zeigt Wirkung. Vor allem in der Münchner Landtagsfraktion brodelt es. Viele Abgeordnete zittern um ihre Mandate. Mit der absoluten Mehrheit der CSU im Freistaat wäre es jedenfalls schnell vorbei – und das alles nur wegen eines Machtkampfes zwischen zwei politischen Alphatieren? Nein, so einfach ist es nicht. Denn Strauß will mit der Abspaltung nicht nur seinem Rivalen eins auswischen. Er sieht darin auch die einzige Chance, endlich die Mehrheit von SPD und FDP zu kippen. Sein Plan: Die CDU soll nach links rücken, und die CSU könnte dafür Wähler rechts von der Mitte ansprechen. Doch Strauß hat diese Rechnung ohne seine Partei gemacht. Sogar CSU-Spitzenleute denken jetzt daran, die Seiten zu geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür“, poltert Strauß. Doch wieder sitzt ein „Maulwurf“am Tisch: Unbemerkt läuft ein Tonbandgerät mit. Über bis heute ungeklärte Wege landet eine Abschrift der Wienerwald-Rede ausgerechnet beim Spiegel. Das Nachrichtenmagazin ist Strauß in herzlicher Abneigung verbunden und zitiert genüsslich aus den Verbalinjurien. Der Artikel