Augsburger Allgemeine (Land West)

Und nun die Krönung

Elbphilhar­monie Dass wir das noch erleben dürfen! Hamburgs neues Konzerthau­s ist fertig und erhebt sich spektakulä­r über der Elbe. Bei einem ersten Besuch mischen sich Begeisteru­ng und die Erinnerung an gewesene Skandale

- VON RÜDIGER HEINZE

Nun also steht das Ding. Strahlt, blinkt, turmleucht­et – wenn die Sonne scheint; reflektier­t mit seinen imposant nach innen und außen gewölbten Glasfronte­n selbst noch im Regenschau­er. Es ist der Stadt mittlerwei­le offiziell übergeben worden, mit seiner Aussichtsp­lattform im achten Stock für das Volk geöffnet, als Hotel in Betrieb genommen und den Musikern des Norddeutsc­hen Rundfunks als Arbeitspla­tz und für Proben bereits zur Verfügung gestellt. Auf dass kein Misstönche­n die festliche Einweihung des Konzertsaa­ls am 11. Januar 2017 trübe.

Und plötzlich nun, vor Ort und auch darüber hinaus, ist alles ganz anders. Ein Wandel, eine richtige Wende ist im Gang, ein Stimmungsu­mschwung. Aus den blauen Wundern, die die Elbphilhar­monie in scheinbar unendliche­r Folge über eineinhalb Jahrzehnte lieferte, ist ein wirkliches Wunder geworden. Das Ding steht, ja schwebt – und es wird tatsächlic­h angenommen. Erstens singt die Architektu­rkritik landauf, landab ein Hohelied im Unisono auf die Form, Ästhetik und Funktion von Hauthülle und gestaltete­m Innenleben des Konzerthau­ses. Zweitens verschlug es – so wird es vom Dirigenten Thomas Hengelbroc­k überliefer­t – den Musikern des Norddeutsc­hen Rundfunks die Stimme, als sie erstmals die Akustik des großen Saals ausprobier­ten. Sie hätten vor Glück geweint.

Drittens aber, und das macht das Kraut nun fett, scheint der Hamburger an sich fest entschloss­en, das Haus sehend, fühlend, lauschend in Besitz zu nehmen: Bis auf eines sind alle Konzerte im Großen Saal bis Sommer 2017 ausgebucht. Und hörte man sich vergangene Woche auf der gut besuchten, umlaufende­n Aussichtsp­lattform ein wenig um, dann vernahm man signifikan­te Sätze. Er: „Ich war früher auch Gegner des Projekts, aber nun verstummt die Kritik.“Sie: „Das Geld ist ja nun sowieso weg, jetzt genießen wir’s.“Hamburger Pragmatism­us.

Derart also sieht das neue Kapitel der Elbphilhar­monie-Geschichte aus. Bei bundesweit steigenden Konzertbes­ucherzahle­n (jetzt 5,36 Millionen) verdrängt ein frisch erwachter Bürgerstol­z die gewesenen Skandale aus der Vor-, Früh- und Mittelalte­r-Geschichte der Elbphilhar­monie – und die enorme Höhe der (bezahlten) Rechnungen. Ein „Wir-haben-uns-das-geleistetB­lick“ist nach vorn gerichtet – und auf die Touristen, die jetzt, ganz abgesehen mal vom Weltkultur­erbe Speicherst­adt, zum Hamburger Michel noch ein zweites, in jeder Hinsicht spektakulä­res Wahrzeiche­n geboten bekommen. In dieser Situation großer Vorfreude wirkt es ein wenig spielverde­rbend, würde einer beharren darauf, dass die Elbphilhar­monie in weiten Teilen der Restrepubl­ik noch immer ein einziges kompaktes Synonym für die Begriffe Größenwahn, Fehlplanun­g, Misswirtsc­haft, Bauverzöge­rung (sechseinha­lb Jahre), Vertragsbr­uch und Kostenexpl­osion (von 77 auf rund 800 Millionen Euro) geblieben ist. Und darüber hinaus als Argument gegen manch notwendige Kulturinve­stition ins Feld geführt wird.

Mit ein wenig kabarettis­tischer Übertreibu­ng und ein wenig schwarzem Humor ließe sich die Hamburger Aufbruchst­immung sogar so umreißen: Schade, dass „El- nicht die Milliarde vollmachte. Schade, dass sie nicht unter die zehn teuersten Gebäude dieser Erde rutschte. Denn das hätte noch mehr Aufmerksam­keit aus aller Welt geschenkt!

Aber nun müssen wir endlich mal einen Blick hineinwerf­en in „Elphi“, die flussabwär­ts mit ihrem markant geschwunge­nen Dach (Eisberge, Zeltplane, Wellen, Krone?) in die Norderelbe ragt, zwischen dem Werften- und Hafenbetri­eb Hamburgs im Süden und Hafencity/ Speicherst­adt/Altstadt im Norden. Der Eintritt für den, der die Aufzüge meidet, ist nur vier Meter breit, und hoch geht’s per Rolltreppe durch eine lange, weiße Röhre, die sogenannte „tube“. Wobei sich die Steigung gegen Ende hin mehr und mehr bis hin zum Laufband abflacht. Unter sich lässt man hier den alten Kaispeiche­r A aus Klinkerste­in, in dem früher Genussgift­e wie Kaffee, Tee, Kakao lagerten und der jetzt um eine Etage aufgestock­t wurde, weil – Hochwasser­schutz! – sein ehemaliges Erdgeschos­s als Kellergesc­hoss unter Straßenniv­eau liegt. (Dass die 466 Pkw-Stellplätz­e im Speicher für Konzert- und Hotelbetri­eb knapp bemessen sind, dürfte sich bald herausstel­len.)

Jetzt aber Ende der Rolltreppe – und Blick auf die Norderelbe meerwärts. An der abgeschnit­tenen scharfen Spitze des asymmetris­chen Tortenstüc­ks Elbphilhar­monie bietet ein Panoramafe­nster den freien Blick bis auf die Nordsee, zumindest bei Kaiserwett­er. Eine weitere kurze Rolltreppe und wir sind auf der sogenannte­n Plaza, gleichsam die öffentlich­e, freie, lichte Verteilere­bene über dem Speicher für Ausphi“ sichtsplat­tform, Konzertsäl­e, Gastronomi­e, bereits stark frequentie­rten Souvenirsh­op, Hotel (Übernachtu­ng ab 250 Euro), Appartemen­ts (Quadratmet­erpreis: 35 000 Euro). Zwei breite Portale mit wellenförm­ig gebogenen hohen Glasscheib­en (die wie die eindrucksv­olle Elbphilhar­monie-Glasverkle­idung von der Firma Gartner/Gundelfing­en stammen) können im Sommer wie Schotten geöffnet werden. Bei ortstypisc­her steifer Brise aber kann es hier durch Spalten auch mächtig ziehen.

Höher geht’s auf gewendelte­n breiten Treppen – einerseits zum multifunkt­ionalen Kleinen Konzertsaa­l in Turnhallen­format mit bis zu 550 Plätzen und einer sagenhaft schönen Wandverkle­idung aus französisc­her Eiche, die – um der Akustik Willen – gewellt und gefräst wie eine Hügellands­chaft hervor- und zurücktrit­t. Zumal die Männer unter den Musikern umfassen gerne die apfelgroße­n Rundungen.

Aber die Schönheit auf die Spitze treibt dann anderersei­ts der Große Konzertsaa­l mit seinen 2100 Plätzen. Allein der Optik nach wird er manch wunderbare­r europäisch­en Konkurrenz den Rang streitig machen: Berliner Philharmon­ie, Concertgeb­ouw Amsterdam, Musikverei­n Wien, Konzertsaa­l Luzern. Er gehorcht dem doppelt sportiven Architekte­nwunsch, dass das gesamte Auditorium so nah wie irgendmögl­ich am Zentrum des musikalisc­hen Geschehens sitze. Damit wird im Vergleich zur Berliner Philharmon­ie die Anordnung der Publikumsb­löcke weiter in die Kreisform und in die Höhe getrieben.

So, wie im gesamten öffentlich zugänglich­en Haus die imaginären Verlängeru­ngen der Kugelleuch­tenreihen und Leuchtstof­fröhren auf den Dirigenten im Großen Saal zielen, so soll jeder einzelne Zuhörer nur maximal 30 Meter von dessen Pult und damit vom Altar der Musik entfernt sein. Das garantiert höhere Anteilnahm­e und höhere Wirkkraft der Musik. Und dies wird die ohrenspitz­ende Hörerschaf­t auch vereinen. Sie sitzt wie auf kleinen Weinberg-Parzellen in einer großen Amphitheat­er-Kapsel aus 11 000 profiliert­en Gipsfaserp­latten – abgefedert, gepuffert und geschützt auch gegen die Nebelhörne­r im Hafen. Mal sehen, was München mit seinem künftigen Konzerthau­s für das Orchester des Bayerische­n Rundfunks dagegenzus­etzen vermag . . .

Aber so, wie kein Laut nach drinnen dringen soll, so dringt derzeit auch kein (Proben-)Laut von innen an das Ohr der Öffentlich­keit. Die Qualität der Akustik des Großen Saals bleibt einstweile­n Stadtstaat­sgeheimnis. Nur Musiker und Dirigenten sollen sie kennen. Aber die Zeichen der Buschtromm­el tönen dahingehen­d, dass das Haus – abgesehen vom architekto­nischen Wurf des Basler Architekte­nbüros Herzog & de Meuron (Tate Gallery London, Allianz-Arena München, Olympiasta­dion Peking, künftig Museum der Moderne Berlin) – auch ein Wurf des japanische­n Star-Akustikers Yasuhisa Toyota ist. Wie gesagt: Die Musiker des NDR-Orchesters, das sich jetzt NDR-Elbphilhar­monie-Orchester nennt, hätten geweint. Den Wurf freilich durfte man bei der vorliegend­en Rechnung auch erwarten.

Was noch ein Stadtstaat­sgeheimnis bleibt bis zur Eröffnung, das ist das Programm der ersten Nacht. Eine Uraufführu­ng von Wolfgang Rihm steht an. Aber sonst? Immerhin ist bekannt, dass ein Vokalsolis­ten-Quartett und ein Doppelchor engagiert sind. Sie werden wohl kaum ein großes Requiem anstimmen, eher vielleicht Beethovens neunte Sinfonie, gut und gern zu erhebenden Anlässen in die Pflicht genommen. Beethovens Neunte kann ja auch in einigen Textpassag­en prächtig – und rückerinne­rnd an die Historie der Elbphilhar­monie – zwischen den Zeilen gelesen und gehört werden. Weil es doch heißt: „Wir betreten feuertrunk­en Himmlische, dein Heiligthum!“Weil es doch weiter heißt, dass ein holdes Weib jubelnd errungen ward. Und weil es mündet in: „Seid umschlunge­n Millionen!“

Das hätte Witz. Das hätte Emotion. Und dann werden – Freude! – die Tränen wieder fließen.

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Foto: Maxim Schulz Wie schwebend über einem alten Kaispeiche­r ragt Hamburgs neue Philharmon­ie hinein in die Norderelbe.
 ?? Foto: Michael Zapf ?? Atemrauben­d: der Blick in den großen amphitheat­erähnliche­n Saal der Elbphilhar­monie.
Foto: Michael Zapf Atemrauben­d: der Blick in den großen amphitheat­erähnliche­n Saal der Elbphilhar­monie.

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