Augsburger Allgemeine (Land West)
Klinkt sich Gabriel aus dem Kabinett aus?
Wahlkampf Der Wirtschaftsminister und Parteichef erwägt bei einer Kanzlerkandidatur den Rückzug aus der Regierung. Dann müsste er weniger Rücksicht auf Koalitionszwänge legen. Die SPD könnte auf das Thema Rente setzen
Hamburg/Erfurt
SPD-Chef Sigmar Gabriel erwägt nach Informationen des Magazins Spiegel im Falle seiner Kanzlerkandidatur das Kabinett zu verlassen. Mit der Aufgabe der Posten als Wirtschaftsminister und Vizekanzler könnte er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Wahlkampf unbefangener und ohne Rücksicht auf Koalitionszwänge attackieren, erfuhr das Nachrichtenmagazin aus der SPD-Spitze. Offen sei bislang allerdings, ob Gabriel für diesen Fall den Fraktionsvorsitz anstrebt.
In der Führungsriege der Sozialdemokraten wird dem Bericht zufolge auch für denkbar gehalten, dass sich Gabriel für die Zeit des Wahlkampfes mit der Rolle eines einfachen Abgeordneten zufriedengeben könnte, weil der amtierende SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann seinen Posten wohl nicht kampflos räumen würde. Gabriel hat bislang noch nicht öffentlich erklärt, ob er die Kanzlerkandidatur anstrebt. Der offizielle Zeitplan der Sozialdemokraten sieht vor, die K-Frage Anfang kommenden Jahres zu regeln.
Immer deutlicher werden unterdessen die programmatischen Ziele, mit denen die SPD in den Bundestagswahlkampf ziehen will. Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe über ein 71-seitiges „Impuls“-Papier der Partei, das Kernelemente des Wahlprogramms enthält. Unter anderem wollen die Sozialdemokraten dem Bericht zufolge sämtliche Gebühren für Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Hochschule abschaffen. Bei Grundschulen solle bis 2021 ein Rechtsanspruch auf Ganztagsschulplätze eingeführt werden. Auch die bereits bekannten Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz und einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen finden sich demnach in dem Papier.
Anleger müssten sich derweil auf höhere Steuern einstellen: Kapitaleinkünfte sollen „deutlich mehr zu den öffentlichen Einnahmen des Staates beitragen“, heißt es in dem Dokument. Im Bereich Wirtschaft und Arbeit wolle die SPD den Aufbau einer Batteriezellenherstellung für Elektroautos vorantreiben, für 300 000 Langzeitarbeitslose einen geförderten Beschäftigungssektor einrichten und 90 Prozent aller Gebäude bis zum Jahr 2025 ans Glasfasernetz anschließen.
Weiterhin tritt die SPD den Angaben zufolge für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ein. Abgeordnete des Bundestages sollen nach dem Willen der Sozialdemokraten künftig Einkünfte aus Nebentätigkeiten „auf Euro und Cent offenlegen müssen“. Parteispenden dürften nur noch bis 100000 Euro pro Spender und Jahr zulässig sein.
In den vergangenen Monaten hatte die SPD vier Programmkonferenzen mit den Themen Familie, Arbeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Europa veranstaltet. Ende Oktober diskutierten die Sozialdemokraten bei einem „Zukunftskongress“über ihre politischen Prioritäten. Die Ergebnisse sollen in die Erarbeitung des Wahlprogramms einfließen, das vom Parteitag im Frühjahr 2017 beschlossen werden soll.
Eine gewichtige Rolle könnte auch das Thema Rente spielen: SPD-Chef Gabriel will künftigen Rentnern eine Mindestrente garantieren. Wenn die Union dabei nicht mitmache, „dann ist das das Thema im Wahlkampf“, sagte Gabriel am Samstag auf einem Parteitag der Thüringer SPD in Erfurt. „Wer gearbeitet hat, sollte eine auskömmliche Rente erhalten.“Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) wandte sich gegen einen Rentenwahlkampf. „Ich würde ungern über das Rentenniveau streiten im Wahlkampf, das führt zu einem reinen Überbietungswettbewerb und wird zu teuer“, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Das kann sich nur die Linkspartei leisten, die sich einen feuchten Kehricht darum kümmert, was es kostet.“Am Donnerstag treffen sich die Koalitionsspitzen zu Beratungen über die Rente. Nahles bekräftigte, sie werde einen neuen Vorschlag machen für diejenigen, „die ihr Leben lang gearbeitet und eingezahlt haben und trotzdem in der Grundsicherung landen“. Dass die Koalitionsrunde bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) alles abhaken werde, erwarte sie nicht, aber Union und SPD könnten sich über Lösungswege verständigen. „Und die Frage der Ost-West-Rente könnte tatsächlich beantwortet werden.“Derzeit gibt es noch Streit über die Finanzierung der geplanten Anhebung der Ostrenten auf Westniveau.
Unionsforderungen, das Rentenbezugsalter generell an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, erteilte Nahles eine Absage. „Eine pauschale Anhebung des Rentenalters ist nicht sinnvoll.“
Nahles will im Rentensystem eine doppelte Haltelinie einziehen: Das Rentenniveau soll demnach längerfristig nicht zu stark sinken, und die Rentenbeiträge sollen nicht zu stark steigen. Es ist ein schwieriges Thema. Ein Prozentpunkt Rentenniveau mehr oder weniger entspricht laut Nahles etwa sechs Milliarden Euro. Dieses Verhältnis der Rente zum Durchschnittseinkommen liegt heute bei 48 Prozent und soll in den kommenden Jahren stark fallen – außer es werden Milliardenbeträge ausgegeben.
Erwartet wird, dass Nahles nach dem Koalitionstreffen am Donnerstag bis Ende November ein Gesamtkonzept zur Rente vorlegen wird. Zuletzt waren Überlegungen vorwiegend aus der Union bekannt geworden, nach denen eine Expertenkommission die schwierige Frage einer Untergrenze für das Rentenniveau bis 2045 beraten könnte und es dazu erst 2018 Aussagen geben könnte.
„Das kann sich nur die Linkspartei leisten, die sich einen feuchten Kehricht darum kümmert, was es kostet.“ Sozialministerin Andrea Nahles (SPD)