Augsburger Allgemeine (Land West)
Luigi Malerba – Die nackten Masken (44)
Glaubst du wirklich, daß deine Hände nicht in der Lage sind, das zu tun, was zerbrechliche Frauen und sogar bartlose Jünglinge im Lauf der Geschichte getan haben, während du ein junger Mann auf der Höhe seiner Kraft bist? Wenn das Töten nicht so leicht wäre, dann gäbe es nicht täglich so viele Verbrechen in Rom und anderorts. Dein Widerstand ist verständlich, und im Namen des Teufels zu handeln ist eine lästige Obliegenheit – aber ist es nicht viel schlimmer, sich gegen die Notwendigkeit zu wehren, die Person in Staub zu verwandeln, die einen Giftmord an mir versucht hat – einen Sünder der sowohl den Purpur, den er trägt, entehrt, als auch die Mutter Kirche, die ihn mit dieser großer Würde belehnt hat? Wir wissen seit kurzem, daß Kardinal Ottoboni sich als einziger von allen den Bart abgeschnitten hat, nachdem er alle anderen Kardinäle – unter anderem auch mich – überredet hat, ihn zu behalten – gegen die Anordnung des Papstes, der im Begriff ist, in Rom zu landen. Mit dieser bösartigen List glaubt er, sein Wohlwollen zu erringen und von seiner Gunst zu profitieren, wenn es darum geht, den Vorsitzenden der Apostolischen Kammer zu bestimmen. Scheint dir ein solches Benehmen eines Purpurträgers würdig, oder paßt es nicht eher zu einem gemeinen Höfling?“
Der junge Diakon mußte sich nicht sonderlich anstrengen, um zu verstehen, daß die Worte des Kardinals einen Befehl enthielten. Er wollte aber doch noch einen Versuch von Angesicht zu Angesicht machen, um den Exorzismus zu erlangen und dem furchtbaren Auftrag zu entgehen.
„Ich flehe Euch an, Eminenz, helft mir, einen Exorzisten zu finden, der mich von diesem Teufel befreit, der mich belästigt und bedrückt. Ich bitte Euch im Namen der christlichen Barmherzigkeit darum.“
Die Miene des Kardinals verfinsterte sich plötzlich und er warf dem jungen Diakon einen eiskalten und drohenden Blick zu.
„Ich brauche diesen Teufel, und ich habe nicht die Absicht, auf ein Instrument der Gerechtigkeit zu verzichten, das mir der Herr in seiner unendlichen Güte in meinem eigenen Haus zur Verfügung stellt.“
„Und an mich denkt Ihr gar nicht, Eminenz?“
„Sobald ich meinen Plan ausgeführt habe, werde ich dafür sorgen, dich exorzieren zu lassen, wie du es wünschst. Aber einstweilen bist du für mich nur ein Instrument der Gerechtigkeit. Wir werden deinen Teufel an der Nase herumführen, indem wir ihn für einen guten Zweck benützen. Du müßtest stolz sein und mit Enthusiasmus dabeisein. Stattdessen sehe ich dich unsicher, mißtrauisch und ängstlich. Ich bin wirklich enttäuscht.“
„Körperlich bin ich ängstlich, Eminenz, das muß ich gestehen. Aber ich fürchte auch, eine schwere Sünde zu begehen, wenn ich einen Kardinal töte. Ich bin zum Wohlwollen, zum Frieden, zur Nächstenliebe und zur Vergebung erzogen worden.“
„Während der letzten sieben Jahre wurden in Rom vier Kardinäle getötet, und wie ich annehme ohne die Beteiligung des Teufels wie bei dir.“
Der Kardinal sprach so, als hätte der Diakon den Auftrag inzwischen angenommen.
„Verzeiht mir, Eminenz, aber vielleicht wurden sie von gedungenen Mördern getötet und nicht von einem Kleriker.“
„Einer wurde sogar im Haus des Kardinals Riario vergiftet und die anderen sind durch die Hand von Auftragsmördern gestorben, die alle der Justiz entgangen sind. Vielleicht waren sie Kleriker, vielleicht nicht, wie können wir das wissen? Aber in der Geschichte gibt es einen Fall, der von all jenen akzeptiert und gelobt wird, denen das Schicksal der römischen Kirche am Herzen liegt. Vor nicht viel mehr als zwei Jahrhunderten lehrte Siger von Brabant an der Universität von Paris erfolgreich den radikalen Aristotelismus, bis Thomas von Aquin, der seine Ideen unter Anklage stellte, in die Stadt kam. Der Ketzerei verdächtig, wurde Siger von der Universität entfernt.
Er fand am Päpstlichen Hof in Orvieto Zuflucht und wurde dort von einem Mönch getötet. Auf diese Weise war die Gefahr der Verbreitung von Theorien gebannt, die zu gefährlichen Lehrkonflikten innerhalb der Kirche geführt hätten. Ein ehrlicher Totschlag, durch den der Integrität der christlichen Lehre ein kostbarer Dienst erwiesen wurde.“
Dass die Kirche vor zweihundert Jahren einen Philosophen töten ließ, um eine Idee zu töten, erschien dem Diakon seit jeher als das schlimmste aller denkbaren Verbrechen und gewiß nicht als lobenswerte Unternehmung, wie der Kardinal ihm einreden wollte.
Er hätte ihn gern daran erinnert, daß die historischen Texte in Bezug auf das Ende des Siger von Brabant ziemlich zurückhaltend und unschlüssig waren, aber das Gespräch war nunmehr beendet und wäre durch dieses Argument gewiß nicht wieder in Gang gekommen.
Niedergeschlagen von diesem Treffen und von Schwermut ergriffen betrat der Diakon seine Kammer.
Er setzte sich aufs Bett, preßte die Handflächen gegen die Schläfen und konnte nicht einmal weinen. In seiner Verzagtheit und Einsamkeit sagte er sich, daß bei einem verwirrten Menschen die Schuld abgemildert wird, und daß seine Sünden vielleicht durch die Hilfe des Teufels – welch kolossales Paradox – verziehen werden konnten.
Seine Gedanken stiegen in den Himmel hinauf, um die Heilige Theodora von Alexandrien zu erhaschen, die inmitten von Engeln über die fernen Wüsten flatterte. Wer weiß, wie es ihr da oben ging, dieser so irdischen und sittenlosen Heiligen, in der Gesellschaft der weißgekleideten Scharen und ständig von Gewittern und Luftgeistern geplagt. Bleich und sorgenvoll, diese Engel, und zu Recht immer mit gelangweilten Gesichtern dargestellt, denn natürlich sind auch sie nicht besonders glücklich.
Der einzige lächelnde Engel, den man kennt, an der Fassade der Kathedrale von Reims – in Stein gehauen, den Blick nach Westen gerichtet – wurde gerade deshalb berühmt, weil er im Gegensatz zu all seinen Gefährten lächelt. Nein, weder die Heilige Theodora noch die Engel konnten diesmal seinem unglücklichen Gewissen Linderung verschaffen.
Die Versuchung des Baldassare
Als der Diakon Baldassare ganz verschwitzt in der Locanda del Fico erschien, mit einem kleinen Sack aus grobem Leinen, in den er achtlos etwas Unterwäsche und eine leichte Sommerkutte zum Wechseln gesteckt hatte, begann die Wirtin mit den Händen in der Luft herumzufuchteln, denn sie hatte sofort begriffen, daß der junge, Unterkunft suchende Klosterbruder im Unglück steckte. Fort mit den unglücklichen Menschen, dachte die Wirtin, denn Unglück ist ansteckend wie die Pest. »45. Fortsetzung folgt