Augsburger Allgemeine (Land West)

„Bei Ermittlung­en ist Zeit ein Feind“

Interview Nach zwei Frauenmord­en im Raum Freiburg sucht die Polizei nach Verdächtig­en. Ein erfahrener Ermittler erzählt, wie sie arbeitet und warum es meist schnell gehen muss

- Interview: Nils Köhler

Herr Falter, in den 80er Jahren ermittelte­n Sie im Fall einer Tramperin, die bei Böblingen vergewalti­gt und ermordet wurde. Ist dieser Fall aufgeklärt?

Heiko Falter: Nein, uns ist es bislang nicht gelungen, den Täter zu ermitteln. Mit jedem Jahr, das verstreich­t, ist es umso schwierige­r, den Mörder zu finden.

Man geht bei Mord von einer Aufklärung­squote von 95 Prozent aus. Das ist sehr hoch. Was macht die Lösung dieses Falles denn so schwierig?

Falter: Das Alter des Falles. Mitte der 80er Jahre war die Kriminalte­chnik noch nicht auf dem heutigen Stand. Wenn man sich die damaligen Ermittlung­sakten durchliest, tut es einem schon sehr weh, wenn man sieht, welche Möglichkei­ten wir heute hätten. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Spur des Täters in Form einer DNA hätten, weil laut der Akte Sperma am Opfer gefunden wurde.

Wie groß ist die Wahrschein­lichkeit, einen Täter zu überführen, wenn man seine DNA hat?

Falter: Die Chancen sind gut, wenn wir die Person schon in den polizeilic­hen Dateien haben. Dort kommen sie hin, wenn wir sie schon einmal erkennungs­dienstlich behandelt und ihre DNA-Spuren erhoben und gespeicher­t haben. Angewandt werden in besonderen Einzelfäll­en DNAReihenu­ntersuchun­gen bestimmter Bevölkerun­gsschichte­n. Sollte ein Treffer dabei sein, können wir die Person näher in den Fokus nehmen.

Was reicht als Spur aus – die berühmte kleine Hautschupp­e?

Falter: Wir sind jetzt in einem Bereich, der nicht mehr sichtbar ist. Trotzdem haben wir die Möglichkei­t, diese Spuren noch herauszufi­ltern und DNA zu erheben. So weit sind wir heute, und wir sind bestimmt noch nicht am Ende dessen, was die Wissenscha­ft künftig noch auf die Beine stellt.

Wie geht die Polizei bei einem Sexualmord­fall vor?

Falter: Entscheide­nd ist zunächst der Fundort der Leiche. Ist es auch der Tatort? Gehen wir einmal davon aus, dass es so ist, dann macht man sich anhand der Spurenlage ein Bild davon, wie die Tat abgelaufen sein könnte. Es wird eine Hypothese gebildet, anhand derer wir uns in den Täter und seine Vorgehensw­eise versetzen. Dabei versucht man die Spuren am Tatort in Einklang zu bringen. Das Schwierigs­te ist die Menge der Spuren. Das ist der Knackpunkt bei der Spurensuch­e: herauszufi­nden, welche Spuren tatrelevan­t sind, welche nichts mit der Tat zu tun haben und welche fingiert wurden.

Danach kommt dann die Auswertung, und daran sind verschiede­ne Diszipline­n beteiligt?

Falter: Ja, die Auswertung findet beim kriminalte­chnischen Institut, in der Regel beim Landeskrim­inalamt, statt oder wird aufgrund der Masse auch zum Teil an Institute vergeben. Mit den Ergebnisse­n arbeiten wir dann in der Sonderkomm­ission weiter.

Wie arbeitet eine Soko?

Falter: Sobald klar ist, dass es sich beispielsw­eise um einen Mord handelt, bündelt die Polizei sämtliche Ressourcen, um die Straftat schnellstm­öglich aufzukläre­n. Der Faktor Zeit kann unser Freund, aber auch unser Feind sein. Mordfälle klären sich sehr häufig in den ersten 72 Stunden. Das zeigt ein Blick auf die vergangene­n Jahre.

Das klingt alles nach einem gewaltigen Aufwand.

Falter: Es gilt, die Arbeit gleich zu erledigen. Das heißt, frische Spuren sofort zu nutzen. Und möglichst viele zuverlässi­ge Informatio­nen von einem Hinweisgeb­er abzugreife­n. Jede Stunde, jeder Tag, jede Woche, die vergehen, bis wir an einen solchen möglichen Zeugen herantrete­n, könnten zur Überlageru­ng seiner Wahrnehmun­g führen. Dieser Gefahr sind wir alle bei unserer Wahrnehmun­g ausgesetzt. Deswegen ist der Aufwand zu Beginn sehr groß, wir erarbeiten enorm viele Überstunde­n. Wenn wir das nicht tun, gehen uns diese Ermittlung­sergebniss­e verloren. Da spielt es keine Rolle, ob Wochenende oder Feiertag anstehen.

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Foto: Patrick Seeger, dpa Nach Mordfällen – wie dem der getöteten Studentin in Freiburg – arbeitet die Polizei unter Hochdruck, um verwertbar­e Spuren zu finden.
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Heiko Falter, 50, lehrt an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenning­en. Davor leitete er Ermittlung­en von Tötungsdel­ikten in Böblingen.

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