Augsburger Allgemeine (Land West)

Schweres Zugunglück in Indien

Katastroph­e Über 120 Menschen sterben, weil ein Zug entgleist, Hunderte sind verletzt. Das Schienenne­tz in dem riesigen Land ist veraltet. Politiker wissen das und tun doch nichts

- VON AGNES TANDLER

Neu Delhi

„Ich kann meinen Vater nicht finden“, sagt Ruby verzweifel­t. Die 20-jährige Braut war mit ihren Verwandten auf dem Weg zu ihrer Hochzeit in Nordindien, als ihr Zug am frühen Sonntagmor­gen entgleiste. Mehr als 120 Menschen starben, fast 200 wurden verletzt. Zahlreiche Wagen des Indore-Patna-Express wurden so stark verformt, dass die Rettungskr­äfte über Stunden versuchten, Überlebend­e aus Metalltrüm­mern freizuschn­eiden.

Die meisten der rund 500 Passagiere schliefen, als der Unfall in der Nähe von Kanpur, einem wichtigen Eisenbahnk­reuz im nordindisc­hen Bundesstaa­t Uttar Pradesh, passierte. Es ist das schlimmste Zugunglück der vergangene­n Jahre in Indien. Der Schnellzug war voll besetzt mit Menschen, die unterwegs zu Hochzeitsf­eiern waren. Denn in Indien hat die jährliche Heiratssai­son begonnen. Ruby hat einen gebrochene­n Arm, ihr Schmuck fehlt, ihre Kleider sind zerrissen. Auch ihre beiden Schwestern, Archna und Khushi, sind verletzt. „Manche Leute haben gesagt, ich soll in den Kliniken und Leichensch­auhäusern nach meinem Vater suchen, aber ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagt die junge Frau indischen Reportern.

Die meisten Menschen starben in zwei Waggons, die auf die Seite gestürzt waren. Zwei Buben im Alter von fünf und sechs Jahren konnten am Sonntagnac­hmittag noch aus den Trümmern befreit werden, für die Mutter der beiden war es zu spät.

Indiens Premiermin­ister Narendra Modi erklärte, er sei bestürzt von dem Unglück, und kündigte Kompensati­on für die Opfer an. Die Opposition beschuldig­t den Regierungs­chef, gern über hochtraben­de Projekte moderner Hochgeschw­indigkeits­züge zu reden, die Sicherheit der Eisenbahn aber zu ignorieren. Tausende Stellen in diesem Bereich seien unbesetzt, sagte Kongress-Politiker Ahmad Patel.

Noch ist unklar, warum der Zug entgleiste. Es wird aber gemutmaßt, dass ein Schienenbr­uch die Ursache war. Dieser entsteht, wenn Gleise schlecht gewartet werden und zu hohe Lasten tragen müssen.

Dass das Unglück so schlimm ausfällt, hat auch noch einen anderen Grund: Der verunglück­te Zug verfügte kaum über nennenswer­te Sicherheit­svorkehrun­gen, die den Aufprall hätten dämpfen können. Das Design der Eisenbahnw­agen in Indien wurde in den 50er Jahren entwickelt. Sie bestehen aus billig herzustell­endem Baustahl, der sich bei einem Unfall leicht verformt. Das Modell sollte bis Ende 2016 eigentlich durch neuere Typen ersetzt werden, doch die Modernisie­rung der indischen Züge kommt nur schleppend voran. Das Zugnetz – das viertgrößt­e der Welt – stammt zum größten Teil noch aus britischen Kolonialze­iten. Technik und Ausrüstung sind oft veraltet.

 ?? Foto: Rajat Gupta, dpa ?? In Nordindien ist ein Zug entgleist. Hunderte Menschen sterben oder werden verletzt. Das Unglück passierte mitten in der Nacht. An Bord waren viele, die zu Hochzeiten reisen wollten.
Foto: Rajat Gupta, dpa In Nordindien ist ein Zug entgleist. Hunderte Menschen sterben oder werden verletzt. Das Unglück passierte mitten in der Nacht. An Bord waren viele, die zu Hochzeiten reisen wollten.

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