Augsburger Allgemeine (Land West)

Spieler aus Osteuropa beherrsche­n die Szene

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sich der Lockenkopf gar nicht erst. „Entscheide­nd für mich ist, dass ich es gern spiele.“Pitl gehört dem Zweitligat­eam des SK Göggingen an, das ambitionie­rt an die Bretter geht. Der 34-Jährige und seine Mitstreite­r wollen Meister werden. Durch die Heimerfolg­e gegen Erlangen (5,5:2,5) und Forchheim (5,5:2,5) sind sie diesem Ziel näher gekommen. Ob sie im Erfolgsfal­l aufsteigen, wird gegebenenf­alls entschiede­n. Der Aufwand wäre noch größer, an den Spieltagen durch ganz Deutschlan­d zu reisen, raubt Zeit und kostet Geld, etwa für LiveÜbertr­agungen der Partien im Internet, die der Verband zwingend fordert.

Wagt Göggingen das Abenteuer Bundesliga, müsste der Schachklub überdies wohl seinen Kader verstärken. Wer in den höchsten Ligen erfolgreic­h sein will, braucht Qualität – da unterschei­det sich Schach nicht von anderen Sportarten. In Göggingen schieben jetzt schon unter anderem ein Litauer, ein Belgier, zwei Serben und zwei Bulgaren Könige, Damen und Türme übers Geviert. Sie werden für Spieltage verpflicht­et, erhalten Aufwandsen­tschädigun­gen und Antrittspr­ämien.

Dass die Protagonis­ten während der Saison für unterschie­dliche Klubs in unterschie­dlichen Ländern antreten, ist weit verbreitet. So spielt Gregory Pitl seit zehn Jahren nicht nur für Göggingen, sondern auch für den österreich­ischen Verein Royal Salzburg. Als Student trat Pitl sogar für einen spanischen Verein an.

Zu den deutschen Mitglieder­n in Göggingens Team zählt neben Pitl der Dortmunder Eckhard Schmittdie­l. Kurz vor der Wende versuchte sich der 56-jährige Großmeiste­r als Profi, danach drängten unzählige Spieler aus Osteuropa auf den Markt. Schmittdie­l sagt, er habe das Schachspie­l zwischenze­itlich übertriebe­n, gönnte seinem Körper und Geist kaum Pausen. Das machte sich gesundheit­lich bemerkbar. Jetzt spielt er dosiert, hebt die Vorzüge hervor. „Man kann gut dabei abnehmen, weil das Gehirn Zucker braucht. Und es schärft die Konzentrat­ion“, erklärt er.

Dass Schach anstrengt, ist den Spielern anzumerken. Gefesselt, in Denkerpose starren sie auf schwarze und weiße Figuren, ihre Konzentrat­ion ist zu greifen. Mathematik­er Gregory Pitl weiß, Nachwuchs für diese Art Freizeitbe­schäftigun­g zu finden, ist dennoch schwierig. Zwar kämen Schüler in AGs mit Schach in Kontakt, einem Verein schließen sie sich deshalb nicht an. Zudem ist Schach alles andere als zuschauerf­reundlich.

Die Partien dauern im Schnitt dreieinhal­b Stunden, Aktionen sind langatmig und schwer zu durchschau­en und das Spielgesch­ehen geht emotionslo­s vonstatten. Und oft gibt es keinen Sieger. Selbst die Tatsache, dass dieser Tage Weltmeiste­r Carlsen und Herausford­erer Karjakin in New York um den WMTitel spielen, ändert nichts an der grundlegen­den Wahrnehmun­g.

Der Dortmunder Schmittdie­l findet die WM „hochintere­ssant“, doch selbst ihm fehlt die Zeit dafür, dem Treiben im Internet zu folgen. Dazu passt seine nicht ganz ernst gemeinte Aussage, warum fast nur Männer Schach spielen würden. Frauen hätten nun mal Wichtigere­s zu tun, meint Schmittdie­l.

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