Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Vorhofflimmern und die Schlaganfall-Gefahr
Kardiologie Unmittelbar lebensbedrohlich ist die Herz-Rhythmus-Störung nicht. Aber sie kann für die Betroffenen belastend sein und birgt das Risiko, dass sich im Herzen Blutgerinnsel bilden, die ins Gehirn geschwemmt werden
Es begann ohne Vorwarnung: Eines Morgens vor drei Jahren spürte Katrin G. beim Aufstehen, dass sie kaum Kraft in den Beinen hatte und ihr ganz schwindelig war. Ihr Puls raste, sie hatte starkes Herzklopfen, außerdem schlug das Herz ganz unregelmäßig. „Es hat sich einfach nicht mehr beruhigt“, beschreibt die damals 69-Jährige ihren Zustand. Sie ging sofort zu ihrem Hausarzt, der nach einem EKG die Diagnose Vorhofflimmern stellte.
Der normale Herzschlag ist das Resultat effektiver Teamarbeit: Im sogenannten Sinusknoten im rechten Vorhof des Herzens wird ein elektrisches Signal gebildet. Dieses breitet sich über den linken Vorhof und dann über die beiden Herzkammern aus. Auf die Kontraktion der beiden Vorhöfe folgt unmittelbar danach die der Herzkammern, wodurch das Blut in den Kreislauf gepumpt wird. Das alles geschieht beim gesunden Herzen im gleichmäßigen Rhythmus etwa 70 Mal pro Minute.
Beim Vorhofflimmern dagegen gerät der geordnete Herzschlag aus dem Takt: Das elektrische Signal läuft ungerichtet und kreisend durch die Wände der Vorhöfe, die sich daraufhin flimmernd und in großer Geschwindigkeit bewegen. Die Erregung kommt nur in unregelmäßigen Abständen in den beiden Herzkammern an, die sich demzufolge auch unrhythmisch zusammenziehen. Es kommt zu einem ungeordneten und meist zu schnellen Herzschlag, der das Blut weniger ef- fektiv in den Körper pumpt als vorher. Das Vorhofflimmern kann schnell wieder vorbei sein, aber auch Tage und Wochen dauern oder sogar chronisch werden.
Eine unmittelbare Lebensgefahr besteht nicht, dennoch können die Symptome wie unregelmäßiger und schneller Puls, Herzrasen, Atemnot, Schwindel und Angstgefühle die Patienten stark belasten. Hinzu kommt das große Risiko, dass sich in den flimmernden Vorhöfen Blutgerinnsel bilden, da das Blut dort nicht stetig und vollständig weitergepumpt wird. Diese Gerinnsel können in den Blutkreislauf gelangen und zum Beispiel im Gehirn einen Schlaganfall auslösen.
Oft lässt sich für das Vorhofflimmern keine eindeutige Ursache erkennen. Wer schon herzkrank ist, den trifft es häufiger. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass auch die genetische Veranlagung eine Rolle spielt: Wenn ein Elternteil bereits Herzrhythmusstörungen hatte, verdoppelt sich das eigene Risiko. Ansonsten können sich Bluthochdruck, Diabetes, Schilddrüsen-Überfunktion oder auch Schlafapnoe negativ auswirken. Da Vorhofflimmern in den meisten Fällen chronisch fortschreitet, bleibt es nicht bei einer einmaligen Attacke.
Zu Beginn sind die Anfälle nur von kurzer Dauer und enden spontan, später dauern sie länger und müssen mit Medikamenten, Betablockern und Anti-Arrhythmika beendet werden. Wenn dies nicht mehr gelingt, bringt die sogenannte Kardioversion das Herz wieder in den richtigen Takt. Bei dieser Me- werden die flimmernden Herzmuskelzellen mit Stromstößen synchronisiert. Der Patient befindet sich dabei in einer Kurznarkose.
Eine andere Möglichkeit, das immer wieder auftretende Vorhofflimmern zu behandeln bzw. zu verhindern, ist die Katheterablation, eine Verödung von Herzgewebe mithilfe eines Katheters. Dabei werden bestimmte Bereiche im linken Vorhof, die die falschen elektrischen Impulse weiterleiten, gezielt ausgeschaltet. Dies geschieht mit einem dünnen, biegsamen Katheter, der durch die Leistenvene bis in den linken Vorhof geführt wird, und der dort das betreffende Gewebe mit Hitze oder Kälte vernarbt. So können von dort keine elektrischen Signale mehr ausgehen, die zum Vorhofflimmern führen. Die Erfolgsrate der Katheterablation liegt bei 50 bis 80 Prozent.
Die große Gefahr, die vom Vorhofflimmern ausgeht, stellt der Schlaganfall dar. „Jeder fünfte Schlaganfall ist auf Vorhofflimmern zurückzuführen“, erklärt Karl Georg Häusler, Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Charité und Leiter des Studienteams im Centrum für Schlaganfallforschung Berlin. In Deutschland sind dies jährlich rund 50 000 Schlaganfälle, die durch die Rhythmusstörung im Vorhof des Herzens entstehen. Dies ist umso bedenklicher, da ein Großteil der Flimmerattacken von den Patienten gar nicht bemerkt wird. Experten schätzen, dass 70 Prozent der Vorfälle unerkannt bleiben. Sie werden nicht richtig wahrgenommen, da sie eventuell nachts im Schlaf stattfinden, oder als harmlos angesehen, wenn sie nur kurz andauern und von allein wieder aufhören. Mit steigendem Alter häufen sich die Rhythmusstörungen: „Bei den über 80-Jährigen sind mehr als 15 Prozent betroffen“, so Häusler.
Durch das Flimmern in den Vorhöfen werden dort die festen und flüssigen Bestandteile des Blutes nicht mehr ausreichend durchmischt. Blutkörperchen und Blutplättchen können so ein Gerinnsel bilden. Davon können größere oder kleinere Teile mit dem Blutstrom ins Gehirn geschwemmt werden, dort ein Gefäß verstopfen und auf diese Weise den Schlaganfall auslösen. Deshalb ist nach der Diagnose Vorhofflimmern eine medikamentöse Therapie zur Vermeidung von Blutgerinnseln unabdingbar – egal, wie das eigentliche Vorhofflimmern anschließend behandelt wird.
Diese „Anti-Koagulation“kann einen großen Teil der Schlaganfälle verhindern. Die eingesetzten Medikamente hemmen die Blutgerinnung und können Gerinnsel sogar wieder auflösen. Besonders groß ist das Risiko, dass ein Blutgerinnsel in die Blutbahn gelangt, wenn beim Vorhofflimmern der normale Herzrhythmus wiederhergestellt wird und die Herzkammern erneut anfangen, koordiniert zu schlagen. Deshalb wird in den meisten Fällen vorher ein Herzultraschall gemacht, mit dem eventuell vorhandene Blutthode gerinnsel entdeckt werden können. Doch diese Vorsichtsmaßnahme greift nur, wenn die Rhythmusstörung bekannt ist. Die Mehrzahl der Fälle bleibt unentdeckt. Oft erfahren die Patienten erst von ihrem Vorhofflimmern, wenn sie mit einem Schlaganfall in der Klinik liegen. „Bei Schlaganfallpatienten findet man vergleichsweise häufig ein bis dato nicht bekanntes Vorhofflimmern“, sagt Häusler, der sich als Leiter der Arbeitsgruppe „Interaktionen von Herz und Hirn“intensiv mit dem Thema beschäftigt.
Gerade um einem weiteren Schlaganfall vorzubeugen, ist der Nachweis der Herzrhythmusstörung enorm wichtig. „Mit der passenden Anti-Koagulation lässt sich das Risiko eines erneuten Schlaganfalls um etwa zwei Drittel senken.“Vorhofflimmern kann im Akutfall leicht mithilfe eines EKGs entdeckt werden. Experten befürworten deshalb für ältere Personen über 65 Jahre ein entsprechendes EKGScreening. Ein nur kurzzeitig auftretendes Flimmern kann eventuell im Langzeit-EKG diagnostiziert werden. Auf jeden Fall sollte man einen Arzt aufsuchen, wenn man Herzrasen und einen plötzlichen Leistungsabfall verspürt. Katrin G. hat seit dem ersten Vorfall noch fünf Episoden des Vorhofflimmerns gehabt, die von Mal zu Mal in kürzeren Abständen erfolgten und heftiger ausfielen. Mit einer Kardioversion wurde das Flimmern jeweils beendet. Jetzt hat sie eine Katheterablation durchführen lassen und hofft in Zukunft auf ein rhythmisch schlagendes Herz.
Gewebe wird per Katheter vernarbt