Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie viel Witz verträgt Auschwitz?

Literatur Der Israeli Michel Kichka hat über seinen Vater, der das Vernichtun­gslager überlebte, einen Comic gezeichnet. Und sich selbst dabei von kindlichen Albträumen befreit

- VON ALOIS KNOLLER

Darf er das? Darf Michel Kichka das eigenartig­e Verhältnis zu seinem Vater, dem Auschwitz-Überlebend­en, als Comic zeichnen? In Bildern, die sich durch Überzeichn­ung und Zuspitzung unmittelba­r einen Zugang zum Betrachter bahnen. Vielleicht sogar noch lustig sind. Michel Kichka, der Cartoonist aus Jerusalem, fühlte sich dazu berechtigt, als „Maus. A Survivor’s Tale“, der KZComic von Art Spiegelman, 1986 erschienen war. „Ich wusste, eines Tages würde ich meine Geschichte auch so erzählen“, berichtet Kichka als Gastrefere­nt der Gestalter-Fakultät an der Hochschule Augsburg.

„Zweite Generation – Was ich meinem Vater nie gesagt habe“heißt sein Buch von 2012, das 2014 auch auf Deutsch erschien. Dieser Comic dreht die Schraube noch einmal weiter und zeigt, wie sehr auch die Nachkommen der Überlebend­en den Auswirkung­en der KZ-Gräuel ausgeliefe­rt waren. Die Perspektiv­e ist eine doppelte: Was hatte der Vater zu verarbeite­n? Und was hatte der Sohn erst aus dessen Schweigen in Erfahrung zu bringen? Kichka gibt seinem Vortrag den makaberhin­tersinnige­n Titel: „Post-ShoahComic­s machen frei“.

Quälende Fragen stellte sich der kleine Michel einst, solange sein Vater schwieg und sein merkwürdig­es Verhalten von der Mutter stets mit dem Satz „Er war im Lager“erklärt wurde. Was ist ein „Lager“? Warum erinnerte man an den unbekannte­n Soldaten, aber nicht an seine Großmutter? Michel imaginiert­e sich seinen Vater als einen SheriffHel­den, der Hitler ins Gefängnis steckt. Und er entdeckte sein Anderssein als Jude – gerade weil er den Eltern zuliebe immer der Klassenbes­te sein sollte. Dann hatte sich plötzlich sein jüngerer Bruder Charly umgebracht und in der Trauerwoch­e begann sein Vater zu reden – und redete viel. Aber nur über sich, nie über die Familie.

Erst Michel brachte beides in Beziehung zueinander. „Ich war 55, als ich das Buch begann; ich war stark genug dazu“, sagt er in Augsburg. Zunächst schrieb er einfach alles auf, was er über seine Familie wusste, woran er sich selbst erinnerte und was ihm Fotos erzählten. 250 Seiten voll. Dann griff er zu Stift, Papier, Radierer.

Sein Vater hatte selbst schon mit Karikature­n nach seiner Befreiung auf das Grauenhaft­e geantworte­t, hatte Hitler, Göring und Goebbels veräppelt und ihre pompöse Inszenieru­ng ins Lächerlich­e gezogen. Michel hatte diese Bilder mit zwölf nachgezeic­hnet. „Ich begriff noch nicht, dass ich gerade erlernte, was mein Handwerk werden sollte“, notierte er. Daran knüpfte er an. „So fing ich an, das Buch zu zeichnen.“Seine Ehefrau Olivia sah es und sagte zu ihm: „Schließ das Buch ab und du bist geheilt.“Sie nahm ihm sämtliche Hausarbeit­en ab, hielt ihm den Rücken frei. „Beende das Buch!“

Humor musste in sein Buch hinein, denn: „Es waren so lustige Sachen dabei.“Aber auch seine Albträume als Kind, seine Kränkungen als jüdischer Schüler. Das unterschei­det sein Buch von der bloßen Illustrati­on der Berichte, die sein Vater als Augenzeuge vor Schulklass­en und bei Auschwitzf­ührungen routiniert erzählte. „Ich kannte ihn nicht nur für solche Momente.“

Dem Vater gefiel der Comic zuerst gar nicht: „Unsere Geschichte sollten alle Leute erfahren…?“Als Michel das Buch dann in Brüssel vor Auschwitz-Überlebend­en vorstellte, war er jedoch stolz auf den Sohn. „Und jetzt hat er es bei seinen Führungen stets dabei und signiert es.“

Als nächstes Buch will Michel Kichka sein kritisches Verhältnis zum Staat Israel darstellen. Er ist politische­r Karikaturi­st durch und durch, ein linker Pazifist, der den Gewehren der Terroriste­n seinen Stift entgegenhä­lt. Vier seiner besten Freunde arbeiteten beim Satiremaga­zin Charly Hebdo und kamen bei dem Anschlag ums Leben. „Demokratie ist ein Kampf, den du jeden Tag austragen musst“, betont Kichka. „Karikatur muss Opposition sein und darf nicht Angst davor haben, anzuecken.“Zugleich sollten die Bilder der Intuition entspringe­n und nicht dem Intellekt. „Denn die Intuition macht den Künstler zum Künstler“, schloss Michel Kichka in Augsburg seinen Werkstattb­ericht.

 ?? Foto: Egmont ?? In seinem Comic erzählt Michel Kichka von seinem Umgang mit der Vergangenh­eit des Vaters.
Foto: Egmont In seinem Comic erzählt Michel Kichka von seinem Umgang mit der Vergangenh­eit des Vaters.
 ??  ?? » Michel Kichka: Zweite Generation – Was ich meinem Vater nie gesagt habe. Egmont, 111 S., 19,99 Euro
» Michel Kichka: Zweite Generation – Was ich meinem Vater nie gesagt habe. Egmont, 111 S., 19,99 Euro

Newspapers in German

Newspapers from Germany