Augsburger Allgemeine (Land West)
Die fragwürdige Sicherheit in moralischen Fragen
Terror Ferdinand von Schirachs Theaterstück in der Stadthalle Gersthofen. Wie entscheiden die Zuschauer?
Es war ein eindringlicher Appell: „Ich möchte Sie bitten, alles, was Sie gehört und gelesen haben, zu vergessen“, bereitete der spätere „Richter“(Johannes Brandrup) das Publikum vor, „Sie sind jetzt die Schöffen, bitte nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst.“Vor einigen Wochen intensiv im Gespräch war Ferdinand von Schirachs GerichtsThriller „Terror“, als er im Fernsehen gezeigt wurde und die Zuschauer abstimmen konnten. Die Mehrheit hatte sich damals für „nicht schuldig“entschieden. Würde dieses Urteil nach der Aufführung des Stücks in der Stadthalle Gersthofen ebenso ausfallen?
Zur Erinnerung: Angeklagt ist Lars Koch, Major der Luftwaffe. Er hat gegen den Befehl ein von einem Terroristen entführtes Passagierflugzeug der Lufthansa mit 164 Menschen an Bord kurz vor München abgeschossen. Damit wollte Koch verhindern, dass 70000 Menschen in einem Fußballstadion getötet werden, in das der Terrorist das Flugzeug hatte lenken wollen.
Das Bühnenstück (Regie: Thomas Goritzki) bestach ebenso wie der Fernsehfilm durch seine Ernsthaftigkeit und Dichte, in der diese rechtlichen und ethischen Fragen von allen Seiten tief durchdrungen wurden. Die dramatischen Minuten vor dem Abschuss spielten sich vor den Augen der „Schöffen“bis ins letzte Detail noch einmal ab.
Das Stück lebt ausschließlich vom Diskurs. Die Zuschauer waren sichtlich gepackt von den Argumentationen, sei es von der Staatsanwältin, sei es vom Verteidiger, die allesamt klug durchdacht und schlüssig waren. Darf Leben durch Leben aufgewogen werden? Beruht nicht unsere Verfassung auf dem Prinzip der Menschenwürde, die „unantastbar ist“? Andererseits: Dürfen Prinzipien über den Einzelfall gestellt werden, wenn dadurch 70 000 Menschen sterben? Ist ein „kleineres Übel“gerechtfertigt, um ein „größeres Übel“zu vermeiden?
Selten ist zu erleben, dass in der Pause eines Theaterstücks so ernsthaft und intensiv miteinander diskutiert wurde wie an diesem Abend in Gersthofen. Es zeigte sich deutlich, dass es tatsächlich „keine Sicherheit in moralischen Fragen gibt“. Die Frage der Schuld entschied das Publikum, indem es durch entsprechende Türen ging: Major Lars Koch wurde freigesprochen. 412 „Schöffen“waren für Freispruch, 189 für eine Verurteilung. Auch wenn es schwer zu ertragen sei, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, so sei unser Recht nicht in der Lage, moralische Fragen widerspruchsfrei zu lösen.