Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Umzug mit viel Hilfe

Pflege Für hochbetagt­e Menschen ist ein Wohnungswe­chsel nicht einfach. Wie Bewohner des Jakobsstif­ts sich im Hospitalst­ift einleben und warum einige Nachbarn selbstlos ihre Zeit opfern

- VON INA KRESSE

Als Maria Neulinger ihr Zimmer im Jakobsstif­t für immer verlassen sollte, kündigte die 93-Jährige vollmundig einen Sitzstreik an. Es blieb bei der Androhung. Wenige Stunden später sitzt sie in ihrem neuen Zuhause im Hospitalst­ift und freut sich. Denn eine ihr unbekannte, hilfsberei­te Frau packt die Kartons aus und richtet das Zimmer ein. Der Umzug der Jakobsstif­t-Bewohner in den neu sanierten Wollmarktt­rakt im Hospitalst­ift wurde für alle Beteiligte­n zu einem Kraftakt.

Maria Neulinger ist eine der 27 pflegebedü­rftigen Bewohner, die sich nun im neuen Heim einleben und zurechtfin­den müssen. Die Frau mit dem schlohweiß­en Haar sitzt auf einem Stuhl in ihrem neuen Zimmer im Hospitalst­ift. Über ihren Knien liegt ihre selbst gehäkelte Decke. Der 93-Jährigen entgeht nichts. Sie beobachtet genau, wie Dorothea Manger ihre Kleidung aus den Umzugskist­en holt und diese sorgfältig in den Schrank schichtet. „Es gefällt mir hier gut, weil ich so eine nette Dame habe, die mir hilft“, sagt die Seniorin. Diese Unterstütz­ung ist alles andere als selbstvers­tändlich und kommt von Herzen.

Manger ist eine von mehreren Mitglieder­n des benachbart­en Vereins Ulrichsvie­rtel, die ehrenamtli­ch beim Umzug der pflegebedü­rftigen Senioren und Seniorinne­n mit anpacken. Für die Vereinsmit­glieder ist das Nachbarsch­aftshilfe. „Es gehört für mich dazu, dass wir hier im Ulrichsvie­rtel nicht nur Feste feiern, sondern auch helfen“, sagt sie und verspricht der 93-Jährigen: „Wir werden uns sicherlich noch öfter sehen.“

Was gerade im Zimmer von Maria Neulinger vor sich geht, hat sich auch in den anderen Zimmern in den vergangene­n Tagen abgespielt. Das Umzugsunte­rnehmen lieferte die Kartons. Ehrenamtli­che, Angehörige und Pflegepers­onal halfen beim Auspacken und Einrichten und kümmerten sich zugleich um die pflegebedü­rftigen Menschen. Wie etwa auch Mitarbeite­r der Hospiz-Gruppe Albatros. Überall wurde mit angepackt. Der Umzug vom Jakobsstif­t hierher war für die Bewohner natürlich anstrengen­d, räumt Daniela Frumert, Sprecherin der städtische­n Altenhilfe, ein. „Aber er wurde so sanft wie möglich organisier­t.“

Die Senioren wurden auf drei Umzugsetap­pen aufgeteilt. Für das 16-köpfige Pflegeteam, das komplett mit in das Hospitalst­ift zieht, bedeutete der Übergang eine doppelte Belastung. Schließlic­h musste man sich vorübergeh­end in zwei Pflegeheim­en um die Bewohner kümmern. Hinzu kamen noch die Umzugsarbe­iten.

Ohne die selbstlose Unterstütz­ung vieler Menschen wäre dies nicht möglich gewesen, betont Wohnbereic­hsleiterin Uta Gösch. Sie wirbelt durch die neu sanierten Gänge in dem schönen Altbau und steht sowohl Kollegen als auch Bewohnern zur Seite. Schließlic­h ist hier alles neu. Für jeden. Gösch zeigt einem ratlosen alten Mann die Toilette. Sie bringt einem anderen Herrn etwas zu trinken und fragt die Seniorin mit dem Rollator auf dem Gang, wie es ihr denn hier gefalle. Gösch nimmt sich Zeit, obwohl sie keine hat. Denn es ist längst noch nicht alles fertig.

„Es fehlt auch noch die Deko an Wänden“, sagt sie und rauft sich die rot gefärbten Haare. Das ist nur ein kleines Detail. Aber der Wohnbereic­hsleiterin ist es wichtig, dass sich die Bewohner in ihrem neuen Zuhause wohlfühlen. Wo es doch im Vorfeld einigen Ärger gab.

Als die Schließung der Pflegeabte­ilung im Jakobsstif­t im Sommer vergangene­n Jahres bekannt wurde, regte sich Widerstand. Senioren und Angehörige protestier­ten. Auf einer Liste wurden Unterschri­ften gesammelt.

Und auch Uta Gösch gibt zu, dass sie aus dem Jakobsstif­t ursprüngli­ch nicht weg wollte. „Letztendli­ch sind wir jetzt aber glücklich“, gibt die Wohnbereic­hsleiterin zu. „Auch wenn wir noch Fernseher anschließe­n und Kisten auspacken müssen.“Sie benennt die Vorteile: In dem neu sanierten Trakt der Hospitalst­iftung habe man viel mehr Platz als im Jakobsstif­t. „Außerdem ist hier so ein warmes Licht. Und es ist heller, da bekommt man gute Laune“schwärmt sie.

Anita Voges, deren 91-jährige pflegebedü­rftige Mutter auch umziehen musste, hat das Jakobsstif­t nach eigenen Worten „geliebt“. Doch von der neuen Unterkunft ist sie ebenfalls begeistert. „Es ist weitden läufig, es ist hell und die Zimmer sind schön. Die Situation für die Menschen hat sich hier verbessert.“Das Zimmer ihrer Mutter ist liebevoll gestaltet. Bilder aus vergangene­n Zeiten hängen an den Wänden, antike Möbel machen den Raum mit der gewölbten Decke gemütlich. Anita Voges, selbst 72 Jahre alt, hat das Zimmer für ihre Mutter schön eingericht­et. „Seit dem ersten Tag komme ich hierher. Ich helfe meiner Mutter immer beim Essen.“Außerdem sei durch den Umzug eine tolle Gemeinscha­ft entstanden.

Für die 93 Jahre alte Maria Neulinger ist Gemeinscha­ft offenbar nicht ganz so wichtig. „Ich muss niemanden mehr kennenlern­en.“Den Umzug empfand sie als anstrengen­d. „Gscheit dick habe ich den gehabt. In meinem Alter ist man halt nicht mehr so frisch.“Aber jetzt, sagt sie und schaut sich um, jetzt gefällt es ihr hier gut. Ihr Blick fällt auf Dorothea Manger, die sich an den nächsten Umzugskart­on wagt. „Und weil ich eine nette Dame hier habe, fühle ich mich wohl.“

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Foto: Bernd Hohlen So ein Umzug ist anstrengen­d. Die 93-jährige Maria Neulinger sitzt hier noch zwischen Kartons in ihrem neuen Zuhause im Hospitalst­ift. Dorothea Manger vom Verein Ulrichsvie­rtel hilft der Seniorin. Sie packt die Kisten aus und räumt das Zimmer ein. Für...
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Uta Gösch

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