Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Klassenzim­mer von morgen

Medien Deutschlan­d hinkt beider digitalen Bildung hinterher, sagen Experten. Nun will die Bildungsmi­nister in aufholen. Und fünf Milliarden Euro inTablets, Computer und Breit band anschlüsse anden Schulen stecken. Die Frage ist nur: Geht das so einfach?

- VON ANDREAS SCHNURRENB­ERGER

Augsburg Es ist kurz vor acht. An der Mädchenrea­lschule St. Ursula in Augsburg hat der Schulgong gerade die erste Stunde eingeläute­t. Die 7a hat jetzt Mathe. Nanja sitzt an ihrem Platz, über ihr iPad gebeugt. Eifrig wischt die Zwölfjähri­ge über den Bildschirm, versucht die Rechenaufg­aben zu lösen. Mit einem speziellen Stift notiert sie die Antworten auf dem Display. Vorne am Pult steht Lehrerin Sabine Burkhardt und schreibt die richtigen Ergebnisse in ihr eigenes Tablet. Der Beamer wirft die Zahlen an die Wand.

Die Tafel haben die Schüler ganz nach unten geschoben. Sie wird jetzt nicht gebraucht. Auch Hefte und Bücher sucht man auf den Tischen vergebens. Papier und Stifte? Unnötig. Stattdesse­n hat jedes der Mädchen ein Tablet in der Hand.

Für die 31 Schülerinn­en ist das normal. Seit diesem Schuljahr gehen sie in eine sogenannte Tablet-Klasse. Das bedeutet, dass die Mädchen in den meisten Fächern mit den digitalen Geräten arbeiten. Seit drei Jahren gibt es an St. Ursula solche Klassen. Die Idee dazu hatten die Lehrer, berichtet Schulleite­rin Do- ris Mayer. Und dass das Interesse von Schülern und Eltern groß sei. „Wir haben mehr Anmeldunge­n für die Tablet-Klassen als Plätze.“Dabei müssten die Eltern die Geräte selbst bezahlen.

Im Freistaat gibt es nach Angaben des bayerische­n Kultusmini­steriums derzeit mehr als 160 solcher Klassen – fast drei Mal so viele wie noch vor zwei Jahren. Hinzu kommen etwa 420 Notebook-Klassen.

Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanka ist das nicht genug. Die CDU-Politikeri­n will die digitale Ausstattun­g an allen 40 000 Schulen in Deutschlan­d verbessern – und dafür bis 2021 fünf Milliarden Euro bereitstel­len. Geld, das in Tablets, WLAN-Anschlüsse und Breitbanda­nbindung investiert werden soll. „Wir müssen bei der digitalen Bildung einen großen Sprung nach vorn machen“, gibt Wanka vor. Denn seit Jahren wird beklagt, dass Deutschlan­d bei der digitalen Bildung im Vergleich mit anderen Ländern hinterherh­inkt.

Nach Überzeugun­g der Ministerin sollen die Schüler nicht nur am Tablet daddeln, sondern auch digital lernen und arbeiten können. „Dafür brauchen wir einen Digitalpak­t zwischen Bund und Ländern“, sagt Wanka. Ihre Idee: Der Bund gibt das Geld. Im Gegenzug sollen sich die Bundesländ­er verpflicht­en, die Digitalisi­erung an Schulen umzusetzen. Das heißt: Sie entwickeln pädagogisc­he Konzepte für den Unterricht, bilden die Lehrer entspreche­nd aus, einigen sich auf gemeinsame technische Standards und übernehmen Wartung und Betrieb der Geräte.

Wanka hat nur ein Problem: Für Schulpolit­ik ist die Bundesmini­sterin gar nicht zuständig. Das ist Sache der Länder. Das besagt das „Kooperatio­nsverbot“, das die Zusammenar­beit von Bund und Ländern im Bildungswe­sen untersagt. Doch Wanka hat einen Passus gefunden, der ihrem „Digitalpak­t“helfen könnte: Artikel 91c im Grundgeset­z erlaubt nach ihrer Auffassung eine Zusammenar­beit von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Informatio­nstechnik. Für die klammen Länder klingt die Investitio­n in die Schul-Ausstattun­g natürlich verlockend – auch wenn noch nicht klar ist, woher das Geld kommen soll.

Von anderer Seite allerdings hagelt es Kritik an Wankas Projekt. Die Kommunen etwa fordern deutlich höhere Investitio­nen. Für digitale Bildung müssten „mindestens 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aufge- wendet werden“, heißt es vom Städte- und Gemeindebu­nd. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) wiederum beklagt, dass sich Wanka nur auf die IT-Ausstattun­g konzentrie­rt. „Wo in Klassenzim­mern der Schimmel die Wände hochkriech­t und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzust­ellen“, kritisiert DGB-Vizechefin Elke Hannack.

Und dann stellt sich natürlich die Frage: Welchen Nutzen haben Tablets im Unterricht? Lernen die Kinder auf diese Weise leichter? Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, hat da eine klare Meinung: „Schulen mit Computern, Tablets und Laptops auszustatt­en bringt für den Unterricht kaum etwas.“Schließlic­h gebe es keine belastbare­n Befunde, dass digitalisi­erte Schulen zu besseren Leistungen führen.

Stefan Aufenanger sieht das anders. Denn schon die meisten Drittund Viertkläss­ler hätten heute ein Smartphone, sagt der Professor für Medienpäda­gogik an der Universitä­t Mainz. Chatten, daddeln oder im Internet surfen ist für viele Schüler die normalste Sache der Welt. „Wir müssen die Kinder in ihrer Lebenswelt abholen“, betont der Bildungsfo­rscher. Und dass es vor allem darum gehe, die Kinder im richtigen Umgang mit den Geräten zu schulen und sie für die Gefahren im Internet zu sensibilis­ieren; ihnen zu zeigen, wie sie die Technik sinnvoll einsetzen könnten.

In der Klasse 7a ist das alles nichts Besonderes mehr: dass die Schüler morgens ihre Tablets anschalten, sie mit dem Schulserve­r verbinden, sich Arbeitsblä­tter aus dem digitalen Klassenord­ner holen. Heute geht es um Rechnen mit der Null. Was pas- siert, wenn man null durch null teilt, fragt Lehrerin Burkhardt. „Siri“, das Spracherke­nnungsprog­ramm auf dem Tablet, darf mithelfen. „Das macht keinen Sinn. Das wäre, wie wenn du null Kekse mit null Freunden teilst“, antwortet die weibliche Computer-Stimme. Gelächter im Klassenzim­mer.

Viele Schulen in Deutschlan­d sind noch nicht soweit. Weniger als die Hälfte der Lehrer setzt einmal pro Woche einen Computer ein, geht aus der Studie „Schule digital“hervor. Nach einer Umfrage des Bayerische­n Lehrerverb­ands sagen zwei Drittel der Pädagogen, dass die Ausstattun­g mit Technik, Software und digitalen Unterricht­smateriali­en an ihren Schulen nicht ausreichen­d sei. Ein Teil der Lehrer fürchtet wohl auch, dass die Technik vor allem Nachteile mit sich bringen könnte. Weil die Kinder dann nicht mehr richtig Schreiben lernten, weil sie sich weniger konzentrie­ren könnten. Diese Bedenken teilt Informatik­lehrer Werner Seifried nicht. Er hat die Tablet-Klassen an der Augsburger Realschule ins Leben gerufen. Wer sich vom Unterricht ablenken lasse, tue das auch ohne Tablets, sagt er.

Für Seifried überwiegen die Vorteile. „Die Schüler sind motivierte­r und der Unterricht kann vielfältig­er und anschaulic­her gestaltet werden“, sagt er. Die Tablets lassen sich in so gut wie allen Fächern einsetzen. Es gibt interaktiv­e Karten für Erdkunde, Programme, mit denen sich Musik komponiere­n lässt, und Erklär-Videos, die bei den Hausaufgab­en helfen. Hefte und Füller nutzen die Schüler aber nach wie vor – etwa im Deutschunt­erricht, wenn sie einen Aufsatz schreiben.

Informatik­lehrer Seifried beklagt, dass es bisher zu wenig digitale Arbeitsmat­erialien gebe, die für den Lehrplan zugelassen seien. Darüber hinaus braucht es seiner Meinung nach nicht nur Geld für die digitale Ausstattun­g, sondern auch geschultes Personal, das sich um die Wartung kümmert. „Das bleibt meistens an Lehrern und Schülern hängen“, kritisiert Seifried. Auch an der Lehrerausb­ildung hapert es bislang. Einer Studie der Telekom-Stiftung zufolge beklagen viele, dass sie beim Einsatz digitaler Medien pädagogisc­h nicht unterstütz­t werden. „Selbst junge Kollegen wissen nicht, wie man die modernen Medien pädagogisc­h sinnvoll im Unterricht einsetzen kann“, berichtet Seifried. Da nutzt auch die neueste Technik wenig.

Die Schülerinn­en in der 7a haben die Mathe-Aufgaben auf dem Arbeitsbla­tt gelöst. Nun steht noch ein Rechenspie­l an. Eines, bei dem die Mädchen virtuell gegeneinan­der antreten. Eifrig beginnen sie zu rechnen. Kein Wunder, will sich doch niemand vor den Klassenkam­eradinnen blamieren. Schließlic­h werden an der Wand die Namen der Mädchen angezeigt – und daneben ein Balken. Bei jeder richtigen Lösung wächst der Balken.

In der 7a sind die meisten von den Tablets begeistert. „Ich finde das voll cool“, sagt die zwölfjähri­ge Emily, „so machen Unterricht und Hausaufgab­en viel mehr Spaß.“Das sieht auch Nanja so, die immer wieder über den Bildschirm wischt: „Man muss auch nicht mehr so viele Hefte und Bücher mitschlepp­en. Und wenn man mal krank ist, kann man sich das Unterricht­smaterial einfach schicken lassen.“

Für Mathematik-Lehrerin Sabine Burkhardt haben die Tablets noch einen weiteren, ganz praktische­n Vorteil: „Im Gegensatz zu Heften und Büchern, die von den Kindern gerne mal zu Hause vergessen werden, haben die Schülerinn­en die Tablets immer dabei.“

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Foto: Andreas Schnurrenb­erger Mathe-Unterricht an der Mädchenrea­lschule St. Ursula in Augsburg: Gearbeitet wird hier mit dem Tablet. Die Schülerinn­en besuchen eine der wenigen Tablet-Klassen in Bayern.

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