Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Klassenzimmer von morgen
Medien Deutschland hinkt beider digitalen Bildung hinterher, sagen Experten. Nun will die Bildungsminister in aufholen. Und fünf Milliarden Euro inTablets, Computer und Breit band anschlüsse anden Schulen stecken. Die Frage ist nur: Geht das so einfach?
Augsburg Es ist kurz vor acht. An der Mädchenrealschule St. Ursula in Augsburg hat der Schulgong gerade die erste Stunde eingeläutet. Die 7a hat jetzt Mathe. Nanja sitzt an ihrem Platz, über ihr iPad gebeugt. Eifrig wischt die Zwölfjährige über den Bildschirm, versucht die Rechenaufgaben zu lösen. Mit einem speziellen Stift notiert sie die Antworten auf dem Display. Vorne am Pult steht Lehrerin Sabine Burkhardt und schreibt die richtigen Ergebnisse in ihr eigenes Tablet. Der Beamer wirft die Zahlen an die Wand.
Die Tafel haben die Schüler ganz nach unten geschoben. Sie wird jetzt nicht gebraucht. Auch Hefte und Bücher sucht man auf den Tischen vergebens. Papier und Stifte? Unnötig. Stattdessen hat jedes der Mädchen ein Tablet in der Hand.
Für die 31 Schülerinnen ist das normal. Seit diesem Schuljahr gehen sie in eine sogenannte Tablet-Klasse. Das bedeutet, dass die Mädchen in den meisten Fächern mit den digitalen Geräten arbeiten. Seit drei Jahren gibt es an St. Ursula solche Klassen. Die Idee dazu hatten die Lehrer, berichtet Schulleiterin Do- ris Mayer. Und dass das Interesse von Schülern und Eltern groß sei. „Wir haben mehr Anmeldungen für die Tablet-Klassen als Plätze.“Dabei müssten die Eltern die Geräte selbst bezahlen.
Im Freistaat gibt es nach Angaben des bayerischen Kultusministeriums derzeit mehr als 160 solcher Klassen – fast drei Mal so viele wie noch vor zwei Jahren. Hinzu kommen etwa 420 Notebook-Klassen.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka ist das nicht genug. Die CDU-Politikerin will die digitale Ausstattung an allen 40 000 Schulen in Deutschland verbessern – und dafür bis 2021 fünf Milliarden Euro bereitstellen. Geld, das in Tablets, WLAN-Anschlüsse und Breitbandanbindung investiert werden soll. „Wir müssen bei der digitalen Bildung einen großen Sprung nach vorn machen“, gibt Wanka vor. Denn seit Jahren wird beklagt, dass Deutschland bei der digitalen Bildung im Vergleich mit anderen Ländern hinterherhinkt.
Nach Überzeugung der Ministerin sollen die Schüler nicht nur am Tablet daddeln, sondern auch digital lernen und arbeiten können. „Dafür brauchen wir einen Digitalpakt zwischen Bund und Ländern“, sagt Wanka. Ihre Idee: Der Bund gibt das Geld. Im Gegenzug sollen sich die Bundesländer verpflichten, die Digitalisierung an Schulen umzusetzen. Das heißt: Sie entwickeln pädagogische Konzepte für den Unterricht, bilden die Lehrer entsprechend aus, einigen sich auf gemeinsame technische Standards und übernehmen Wartung und Betrieb der Geräte.
Wanka hat nur ein Problem: Für Schulpolitik ist die Bundesministerin gar nicht zuständig. Das ist Sache der Länder. Das besagt das „Kooperationsverbot“, das die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungswesen untersagt. Doch Wanka hat einen Passus gefunden, der ihrem „Digitalpakt“helfen könnte: Artikel 91c im Grundgesetz erlaubt nach ihrer Auffassung eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Informationstechnik. Für die klammen Länder klingt die Investition in die Schul-Ausstattung natürlich verlockend – auch wenn noch nicht klar ist, woher das Geld kommen soll.
Von anderer Seite allerdings hagelt es Kritik an Wankas Projekt. Die Kommunen etwa fordern deutlich höhere Investitionen. Für digitale Bildung müssten „mindestens 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aufge- wendet werden“, heißt es vom Städte- und Gemeindebund. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wiederum beklagt, dass sich Wanka nur auf die IT-Ausstattung konzentriert. „Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulklos verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzustellen“, kritisiert DGB-Vizechefin Elke Hannack.
Und dann stellt sich natürlich die Frage: Welchen Nutzen haben Tablets im Unterricht? Lernen die Kinder auf diese Weise leichter? Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hat da eine klare Meinung: „Schulen mit Computern, Tablets und Laptops auszustatten bringt für den Unterricht kaum etwas.“Schließlich gebe es keine belastbaren Befunde, dass digitalisierte Schulen zu besseren Leistungen führen.
Stefan Aufenanger sieht das anders. Denn schon die meisten Drittund Viertklässler hätten heute ein Smartphone, sagt der Professor für Medienpädagogik an der Universität Mainz. Chatten, daddeln oder im Internet surfen ist für viele Schüler die normalste Sache der Welt. „Wir müssen die Kinder in ihrer Lebenswelt abholen“, betont der Bildungsforscher. Und dass es vor allem darum gehe, die Kinder im richtigen Umgang mit den Geräten zu schulen und sie für die Gefahren im Internet zu sensibilisieren; ihnen zu zeigen, wie sie die Technik sinnvoll einsetzen könnten.
In der Klasse 7a ist das alles nichts Besonderes mehr: dass die Schüler morgens ihre Tablets anschalten, sie mit dem Schulserver verbinden, sich Arbeitsblätter aus dem digitalen Klassenordner holen. Heute geht es um Rechnen mit der Null. Was pas- siert, wenn man null durch null teilt, fragt Lehrerin Burkhardt. „Siri“, das Spracherkennungsprogramm auf dem Tablet, darf mithelfen. „Das macht keinen Sinn. Das wäre, wie wenn du null Kekse mit null Freunden teilst“, antwortet die weibliche Computer-Stimme. Gelächter im Klassenzimmer.
Viele Schulen in Deutschland sind noch nicht soweit. Weniger als die Hälfte der Lehrer setzt einmal pro Woche einen Computer ein, geht aus der Studie „Schule digital“hervor. Nach einer Umfrage des Bayerischen Lehrerverbands sagen zwei Drittel der Pädagogen, dass die Ausstattung mit Technik, Software und digitalen Unterrichtsmaterialien an ihren Schulen nicht ausreichend sei. Ein Teil der Lehrer fürchtet wohl auch, dass die Technik vor allem Nachteile mit sich bringen könnte. Weil die Kinder dann nicht mehr richtig Schreiben lernten, weil sie sich weniger konzentrieren könnten. Diese Bedenken teilt Informatiklehrer Werner Seifried nicht. Er hat die Tablet-Klassen an der Augsburger Realschule ins Leben gerufen. Wer sich vom Unterricht ablenken lasse, tue das auch ohne Tablets, sagt er.
Für Seifried überwiegen die Vorteile. „Die Schüler sind motivierter und der Unterricht kann vielfältiger und anschaulicher gestaltet werden“, sagt er. Die Tablets lassen sich in so gut wie allen Fächern einsetzen. Es gibt interaktive Karten für Erdkunde, Programme, mit denen sich Musik komponieren lässt, und Erklär-Videos, die bei den Hausaufgaben helfen. Hefte und Füller nutzen die Schüler aber nach wie vor – etwa im Deutschunterricht, wenn sie einen Aufsatz schreiben.
Informatiklehrer Seifried beklagt, dass es bisher zu wenig digitale Arbeitsmaterialien gebe, die für den Lehrplan zugelassen seien. Darüber hinaus braucht es seiner Meinung nach nicht nur Geld für die digitale Ausstattung, sondern auch geschultes Personal, das sich um die Wartung kümmert. „Das bleibt meistens an Lehrern und Schülern hängen“, kritisiert Seifried. Auch an der Lehrerausbildung hapert es bislang. Einer Studie der Telekom-Stiftung zufolge beklagen viele, dass sie beim Einsatz digitaler Medien pädagogisch nicht unterstützt werden. „Selbst junge Kollegen wissen nicht, wie man die modernen Medien pädagogisch sinnvoll im Unterricht einsetzen kann“, berichtet Seifried. Da nutzt auch die neueste Technik wenig.
Die Schülerinnen in der 7a haben die Mathe-Aufgaben auf dem Arbeitsblatt gelöst. Nun steht noch ein Rechenspiel an. Eines, bei dem die Mädchen virtuell gegeneinander antreten. Eifrig beginnen sie zu rechnen. Kein Wunder, will sich doch niemand vor den Klassenkameradinnen blamieren. Schließlich werden an der Wand die Namen der Mädchen angezeigt – und daneben ein Balken. Bei jeder richtigen Lösung wächst der Balken.
In der 7a sind die meisten von den Tablets begeistert. „Ich finde das voll cool“, sagt die zwölfjährige Emily, „so machen Unterricht und Hausaufgaben viel mehr Spaß.“Das sieht auch Nanja so, die immer wieder über den Bildschirm wischt: „Man muss auch nicht mehr so viele Hefte und Bücher mitschleppen. Und wenn man mal krank ist, kann man sich das Unterrichtsmaterial einfach schicken lassen.“
Für Mathematik-Lehrerin Sabine Burkhardt haben die Tablets noch einen weiteren, ganz praktischen Vorteil: „Im Gegensatz zu Heften und Büchern, die von den Kindern gerne mal zu Hause vergessen werden, haben die Schülerinnen die Tablets immer dabei.“